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Die extreme Rechte in Europa setzt vor den Wahlen zum Europaparlament auf neue Bündnisse und alte Feindschaften

Sie ist ein Widerspruch in sich: die Vision einer nationalistischen Internationalen. Da sich aber Nationalisten und Neofaschisten meist durch ihre Abwehr gegen Kommunismus und Liberalismus definieren, wobei Liberalismus in jüngster Zeit meist als "Diktatur der One World" und "geist- und seelenloser Mondialismus" beschrieben wird, kann es für sie durchaus opportun erscheinen, sich für diesen Abwehrkampf Verbündete in anderen Ländern zu suchen. Schließlich wird am 13. Juni das Europaparlament (EP) in Brüssel gewählt.

Der Chef des französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, war bei der Bündnissuche wieder einmal einer der ersten: Bereits auf dem Strasbourger Parteitag 1997 präsentierte er einen Zusammenschluß namens Euro-Nat - Europa der Nationalisten -, in dem auch die italienische traditionsfaschistische Movimento sociale - Fiamma tricolore unter Giuseppe "Pino" Rauti vertreten ist. Rauti hatte sich von der Alleanza nazionale (AN) Gianfranco Finis, über deren Liste er noch 1994 ins Europaparlament gekommen war, abgespalten. Durch das Bündnis der AN mit dem Medienmogul Silvio Berlusconi und dessen rechtsbürgerlicher Partei Forza Italia war ihm die eigene Partei zu "dekadent" geworden.

Außerdem gehört Euro-Nat der belgisch-flämische Vlaams Blok an. Dessen zwei EP-Abgeordnete unterhalten sogar zusammen mit der elfköpfigen FN-Gruppe ein gemeinsames Sekretariat in Brüssel - ungeachtet der Gebietsansprüche, die der Vlaams Blok in seinen völkischen Großflandern-Visionen an Frankreich stellt. Jüngste Mitgliedspartei von Euro-Nat aus einem EU-Land ist die im vergangenen Jahr hinzugekommene Portugiesische Nationalistische Partei (PNP); sie steht bislang aber noch ohne EP-Mandat da.

Für eine gemeinsame Fraktion nach den Regeln der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments reicht das freilich nicht. Seit den letzten Europawahlen vom Juni 1994 werden zur Bildung einer Fraktion mindestens 16 Abgeordnete benötigt (vorher: zwölf), wenn diese aus drei EU-Ländern kommen. Bei zwei Mitgliedsstaaten sind mindestens 21 (vorher: 18) und bei einem Herkunftsland sind 26 Parlamentarier (vorher: 23) zur Fraktionsbildung nötig.

Dem Namen nach müßte mit dem Front National Le Pens eigentlich auch die belgisch-wallonische Partei desselben Namens koalieren. Die Partei ist seit 1994 mit Daniel Féret im EP vertreten und hatte sich ursprünglich am französischen Vorbild orientiert. Sie propagiert einen ultra-belgischen Kurs und ist deswegen zur Zeit nicht mit dem Vlaams Blok unter einen Hut zu bringen.

Neue euro-rechte Bündnisoptionen könnten sich allerdings durch die Ost-Erweiterung der EU ergeben, da Euro-Nat auch die tschechischen Republikaner und die ungarische Partei der Wahrheit und des Lebens (MIEP) angehören. Weitere osteuropäische Mitglieder kommen aus Rumänien, der Slowakei und Kroatien. Erschwert wird diese mögliche Euro-Koalition aktuell aber durch den Zerfall des bisherigen Front National in die Traditionalisten unter Le Pen und die Mégretisten vom Mouvement National. Für beide Gruppen soll die Europawahl als Testlauf für künftige Wahlen und mögliche Wahlerfolge dienen.

Somit könnten sich neue Bündnismöglichkeiten für Gianfranco Fini, den Chef der italienischen AN, ergeben und damit auch die Chance, aus der bisherigen Fraktionslosigkeit im EP herauszukommen. Denn daß nach den letzten Europawahlen vom Juni 1994 keine euro-rechte Fraktionsgemeinschaft zustande kam, lag seinerzeit vor allem an der nachhaltigen Entfremdung zwischen dem französischen FN und der AN.

Schon die Europaparlamentarier der AN-Vorgängerpartei MSI-DN saßen zwischen 1989 und 1994 fraktionslos in Brüssel, obwohl in dieser Zeit eine Technische Fraktion der Europäischen Rechten (DR) gegründet wurde. Die Führungsposition darin hatte der Front National. Die deutschen Republikaner (Rep), die durch ihren bislang einzigen Wahlerfolg in Baden-Württemberg auf nationaler Ebene sechs Mandate erhalten hatten, und ein Vertreter des Vlaams Blok kamen hinzu. Daß dabei die MSI-DN außen vor blieb, geschah vor allem auf Drängen der deutschen Republikaner, denen die Italiener zu "faschistisch" waren.

In der Folge mußte der in eigenen Kreisen als moderat geltende Fini seinen Posten als MSI-Generalsekretär zugunsten des Traditionsfaschisten Rauti räumen. Le Pen bemühte sich damals noch vor allem um die Pflege der Kontakte zu den Gegenspielern Rautis.

In der Wahlperiode davor, von 1984 bis 1989, hatte der Front National im Europaparlament noch mit der MSI-DN sowie mit den Abgeordneten der griechischen Obristenpartei Nationale Politische Union die erste Fraktion der Europäischen Rechten gebildet. Anfang 1987 stieß überraschend John David Taylor von der nordirischen Offical Ulster Unionst Party (UUP) hinzu. Den Hintergrund dafür bildete ein anglo-irisches Abkommen, das von Taylor als Verrat an den nordirischen Intressen begriffen wurde. Taylor zog nun Le Pen den Abgeordneten der britischen Tories vor, da er nicht - wie sein EP-Kollege Paisley, Chef der Democratic Unionist Party (DUP) - fraktionslos sein wollte. Kleines Pech am Rande: Am Tag nach dem Fraktionswechsel Taylors wurde der britische Konservative Lord Plumb zum Parlamentspräsidenten gewählt. Die entscheidenden Stimmen in einem Kampfvotum kamen von der Truppe Le Pens.

Die in der nächsten Legislaturperiode folgende technische Fraktion der Europäischen Rechten zeichnete sich hingegen vor allem durch ihre inneren Probleme aus, die hauptsächlich durch die Selbstzerfleischung der Rep-Abgeordnetengruppe verursacht wurden.

1990 eskalierte der partei-interne Machtkampf zwischen Franz Schönhuber und seinem damaligen Generalsekretär Harald Neubauer und fand auf dem Ruhstorfer Parteitag vom Juni 1990 seinen vorläufigen Endpunkt. Neubauer und seine EP-Kollegin Johanna-Christina Grund wurden aus der Partei ausgeschlossen, da sie, wie Schönhuber es formulierte, zu "radikal" seien. Schönhuber forderte auch ihren Ausschluß aus der Fraktion im EP, konnte sich aber in der technischen Fraktion nicht durchsetzen und kündigte schließlich im Dezember 1990 das Bündnis mit Le Pen. Gerade mal ein Jahr später folgten die Parteiaustritte der übrigen Rep-Parlamentarier, ferner traten die als "radikal" Gescholtenen Anfang 1994 auch noch aus der Fraktion aus.

Offen bleibt nun, wie sich die mittlerweile wiederbelebte Männerfreundschaft zwischen Le Pen und Schönhuber, der sich inzwischen für die DVU engagiert und ein Buch über den "Rebellen" Le Pen verfaßt hat, auswirken wird. Offen ist auch, wie sich nach den Wahlen zum EP am 13. Juni Jörg Haider und die österreichischen Freiheitlichen verhalten werden. Seit dem EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 sind sie zwar im EP vertreten. Doch mochten sie dort bislang offiziell lieber nicht in noch anrüchigere Gesellschaft kommen und blieben, wie andere extreme Rechte auch, lieber fraktionslos.