Kill Mutti, werde Popstar

Das KLF-Handbuch zum Nummer-eins-Hit sagt euch, wie es vor elf Jahren funktionierte

Preisgelder sind nützlich. Sie bedeuten Anerkennung und bringen vorübergehenden Reichtum. Man kann sich dann endlich die Waschmaschine oder den Videorecorder kaufen oder das Geld anderweitig verjubeln. Der Hamburger Zeichner Horst Janssen ließ sich 1952 von den 1 000 Mark des Licht-Mark-Stipendiums mit einem Taxi solange um die Binnen-Alster fahren, bis das Geld verbraucht war.

Weit medienwirksamer verpulverten Bill Drummond und Jimmy Cauty von der britischen Band KLF ihre Millionen: Sie verbrannten am 23. August 1994 auf einer kleinen Insel vor der schottischen Westküste eine Million Pfund - Einnahmen aus Plattenverkäufen und das Preisgeld des Brit-Award. Das Motiv, das Geld zu verbrennen, war fast noch absurder als die Aktion selbst. Als Jimmy Cauty das Video zu Michael Jacksons "Earthsong" sah, war er völlig fertig; dieses Lied erschien ihm großartiger als alle KLF-Stücke. Er schickte ein Fax an Bill Drummond und forderte ihn auf, gemeinsam eine Millionen Pfund ins Feuer zu werfen, weil sie "niemals so talentiert sein werden wie Michael Jackson". Die Verbrennung wurde gefilmt, und später erschien sogar ein Buch darüber. In Belgrad, wo der Film uraufgeführt wurde, gab es Proteste, und auch auf der kleinen britischen Insel Jura brach im Dörflergemeinschaftshaus Tumult aus.

An heftige Reaktionen waren die Musiker aber längst gewöhnt. Bereits von ihrem 1988 in Großbritannien erschienenen Handbuch, in dem sie detailliert beschreiben, wie man einen Nummer-eins-Hit landet, fühlte sich das Music-Business angegriffen, weil hier die Welt des Pop entmystifiziert und die Funktionsweise der Kulturindustrie dargestellt wurde. Immerhin dokumentiert das nun erstmals in deutscher Übersetzung erschienene Handbuch "Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit" die Entstehung ihres ersten Erfolgstitels "Doctorinâ The Tardis", der damals unter dem Pseudonym The Timelords veröffentlicht wurde.

Alles sei ganz leicht, versichern die Autoren, man müsse nur pleite und arbeitslos sein, um einen "Einblick in die gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen" zu bekommen. Musik-Instrumente, soweit vorhanden, seien zu verkaufen. Alle anderen Verpflichtungen, z.B. Fußball, sollten zugunsten der großen Idee abgesagt werden. Die Fernseh-Hitparade "Top of the Pops" müsse fortan der wöchentliche Gottesdienst sein.

Auf Originalität kommt es nicht an, es geht darum, möglichst viel von früheren Hits zu klauen. KLF wissen, worüber sie schreiben. Was heute selbstverständlich ist, war damals ein Skandal. Ihr erstes Album mußte nach einer Klage von Abba zurückgezogen werden. Aus urheberrechtlichen Gründen. KLF hatten den Song "Dancing Queen" mit Samples von Queen und Led Zeppelin gemischt.

Der Erfolg gab ihnen recht. Wie auch immer sich Drummond und Cauty nannten, ob Timelords, KLF (Kopyright Liberation Front) oder Justified Ancient of MuMus, mit Titeln wie "What Time Is Love?", "3 a.m. Eternal", "Last Train to Trancentral" und "Justified and Ancient" verkauften sie Anfang der Neunziger weltweit mehr Platten als jede andere britische Band. Vor allem das Album "The White Room", auf dem sie Hip-Hop-Beats mit Techno-Sounds kombinierten, und der gleichnamige Film von Bill Butt sicherten ihren Ruhm. Hinter jedem Namen verbarg sich ein anderes Projekt: The Timelords sollte ein One-Hit-Wonder werden, The Jams eine Undergroundband sein und KLF der Chartbreaker.

Einen Chartbreaker versprechen sie auch ihren Lesern, sofern die ihre Anleitung befolgen. So einfach es klingen mag, so banal ist der Alltag des Chartstürmers. Den ganzen Tag hat man mit Anwälten, Steuerberatern, Designern und Promotern zu tun. Man muß sich mit Graphikern auseinandersetzen, deren Kleidungsstil und Brillen abstoßend sind. Radio-Plugger tragen meist pinkfarbene Pullover und Goldkettchen mit Anhänger. Den Studiomanager und den Produzenten muß man mit viel Tee ruhig halten, damit sie nicht zu Drogen greifen, und man selbst muß natürlich auch einen klaren Kopf behalten. Auch die letzte Illusion wird zerstört: "Der Ruhm blüht kurz auf und verblaßt gleich wieder, und Sex wird nach wie vor ein Problem darstellen."

Wenn man es auf diesem Weg aber einmal geschafft hat, dann gibt es kein Halten mehr. Weil es kein Label gibt, an das man sich vertraglich bindet, kann man mit jeder verkauften Platte das Sechsfache dessen verdienen, was man durch einen normalen Plattenvertrag bekommt.

Sollten sich die Anweisungen nicht umsetzen lassen, garantieren die Autoren die Rückerstattung des vollen Kaufpreises. Bei einer österreichischen Band war das nicht nötig. 1989 landete die Band Edelweiß mit "Bring Me Edelweiß" tatsächlich europaweit einen Hit, nachdem sie das "Handbuch" gelesen hatten. Nichts ist also unmöglich.

Daß sie die einzigen Nachahmer blieben, ist nicht weiter verwunderlich und war vorauszusehen. "Die meisten Leute trauen sich einfach nicht, ihre genialen Ideen in die Tat umzusetzen. Man könnte Bände füllen mit den Gründen, warum sie es niemals probiert haben. Das hat irgend etwas mit Mutti zu tun und damit, als sie das erste Mal 'Nein!' sagte." Offenbar hat die Mutter zu Bill Drummond und Jimmy Cauty immer "Ja" gesagt, denn ein Ende des Erfolges und des Medienrummels war auch nach den ersten Alben nicht in Sicht.

Bei den 11. Brit Awards 1992 traten sie mit der Trashmetal-Band Extreme Noise Terror im Londoner Hammersmith Odeon auf und schossen mit Platzpatronen aus Maschinengewehren ins Publikum. Eigentlich wollten sie auf der Bühne auch noch ein Schaf schlachten und die Ehrengäste mit Blut bespritzen, aber die Metal-Männer von ENT entpuppten sich als Vegetarier und verweigerten sich der Aktion. Das Schaf mußte trotzdem dran glauben. Auf den Treppenstufen des After-Show-Hotels. Bei der Gelegenheit gaben sie auch gleich bekannt: "The KLF have now left the music business" und zogen alle ihre Platten vom Markt.

Aber damit nicht genug. 1993 gründeten sie die K-Foundation und nahmen mit dem Chor der Roten Armee die offizielle Hymne der Organisation auf. Der Song sollte erst veröffentlicht werden, wenn überall auf der Welt Frieden herrscht. Und da das auf absehbare Zeit nicht der Fall sein wird, wird das Werk wohl ewig in den Archiven lagern. Die K-Foundation stiftete einen Preis, als Gegenstück zu dem seit 1983 verliehenen Turner-Preis für junge britische Kunst, und verdoppelte das Preisgeld. So bekam die Objektkünstlerin Rachel Whiteread von der offiziellen Seite 20 000 Pfund sowie anerkennende Worte und von Drummond und Cauty 40 000 Pfund und eine spöttische Laudatio.

Die Verbrennung des eigenen Vermögens bildete den Höhepunkt ihrer Provokationen gegen das britische Establishment. Die Zeiten haben sich geändert. Aber das "Handbuch" verfaßten sie schon damals in dem Bewußtsein, "daß es innerhalb der nächsten 12 Monate überholt sein" wird. Auch wenn es wie "Spanisch in drei Tagen" klingt - man liest es, löst alle Aufgaben, und ist am Ende doch kein Stück schlauer -, hat die Grundidee, daß ein Charterfolg neben Zufall und Ehrgeiz auch in strengen objektiven Regeln begründet ist, auch nach zehn Jahren nichts an Gültigkeit verloren.

Drummond und Cauty sind inzwischen Anfang Vierzig, tragen Cordhosen und Wanderstiefel, haben Kinder und leben außerhalb von London. Drummond schreibt Bücher über Leute, die mit Elvis-Ikonen zum Nordpol fahren, damit sich die "good vibes" über die ganze Welt verbreiten. Ruhe geben sie noch lange nicht. Fürs nächste Jahrtausend planen die beiden den Bau einer Pyramide. Die Peoples Pyramid soll mit jedem Backstein einen im 20. Jahrhundert geborenen Briten symbolisieren. Musikalisch haben sie sich aber auch schon zurückgemeldet. In Rollstühlen und mit Blaskapelle intonierten sie noch einmal "What Time Is Love?", während ein Werftarbeiter-Chor brüllte: "Fuck the Millennium".

Bill Drummond und Jimmy Cauty: Das Handbuch. Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit. Die Gestalten Verlag, Berlin 1998, 135 S., DM 24,80