Schwerter zu Flugis

Von "Nato zerschlagen" bis "Alle Männerbünde entwaffnen". Je kleiner die Gruppierung, desto umfassender die Forderungen. Flugblatt-Texte von linken und rechten Kriegsgegnern.

Der Krieg kurbelt die Wirtschaft an, z.B. die Copy-Shop-Branche. Auf den jüngsten Anti-Kriegs-Demos sprossen die Flugis wie Blätter im Frühling. Und wie in der Natur sind auch die Flugblätter von einer ungemeinen Vielfalt.

Erstaunlich ist, wie viele kommunistische Gruppen es im Untergrund gibt. Sie müssen im Untergrund existieren, denn wenn mal kein Krieg ist, hört man auch nichts von ihnen. Meist lesen sich ihre Verlautbarungen wie Passagen aus Grimms Märchen, so wenn z.B. die MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) schreibt: "Die internationale Arbeiterklasse und die werktätigen Massen aller Länder haben ein Interesse an einem echten Völkerfrieden auf dem Balkan." Keine Ahnung, wie es im Ausland aussieht, aber von der deutschen "Arbeiterklasse" war in dieser Richtung bisher nichts zu vernehmen.

Die Kaz (Gruppe Kommunistische Arbeiterzeitung) fordert die "Bestrafung der Verantwortlichen in Bonn für diesen Verstoß gegen das Völkerrecht". Da wird sich die Staatsanwaltschaft aber sputen. Die ansonsten recht vernünftige Gruppe Fels (Für eine linke Strömung) empfiehlt: "Zerschlagen wir die Nato!" Viel Spaß dabei, wir sehen uns dann im Atombunker. Je kleiner die Gruppierung, um so größer die Wünsche. Völlig unzufrieden mit der Konkurrenz zeigt sich die Spartakist - Arbeiterpartei Deutschlands: "Unsere pseudotrotzkistischen Opponenten a lˆ (!) GAM und RSB wollen uns weismachen, der Weltimperialismus könne dazu gebracht werden, rational vorzugehen." Dagegen verspricht die BSR (Berliner Stadtreinigung): "Wir bringen das in Ordnung."

Verschiedene Lösungsvorschläge für den Krieg gegen Jugoslawien sind in den diversen Flugschriften im Angebot. Die Sozialistische Initiative und Sozialistische Liga weiß: "Der einzige Weg, der eine wirkliche politische Lösung für das kosovarische Volk und den ganzen Balkan durchsetzen kann, ist die Mobilisierung der ArbeiterInnen, Jugendlichen und aller demokratischen Sektoren." Durchaus plausibel, nur: Wer ist das "kosovarische" Volk , und wer sind die "demokratischen Sektoren"?

Optimistisch bleibt auch die AK - kein Flugblatt, sondern die "Zeitung für eine linke Debatte und Praxis". Die Nato "ist zwar militärisch unschlagbar, aber politisch verwundbar. Sie selbst hat sich mit ihrer Aggression in eine Sackgasse manövriert, sie ist jetzt Gefangener der von ihr eingeleiteten militärischen Eskalationsdynamik." Die Nato, ein Gefangener in einer Sackgasse - arme Nato. Laßt uns eine UnterstützerInnengruppe gründen. Das Kritische Anti-Kriegs-Plenum hat dagegen im Angebot: "Frieden heißt für uns nicht nur Stopp des Nato-Bombardements und des Balkan-Krieges, sondern auch: Überwindung der Diktatur der Sachzwänge und der strukturellen Gewalt!" Mal sehen, ob wir das alle gemeinsam hinbekommen.

Wenn das Bombardement demnächst beendet, die Nato zerschlagen und die "Entwaffnung aller Männerbünde" (Frauen/Lesben-Bündnis gegen den Krieg) abgeschlossen ist, kann man sich der Frage zuwenden, wer eigentlich schuld ist am Ausbruch des Krieges. Für die meisten Revolutionäre ist klar: die USA. Denn: "Vom Völkermord verstehen die USA etwas, schließlich gehört das zu ihrer Gründungsgeschichte", schreibt Hans A. Turm ("Bitte kopieren und weitergeben"). Andererseits weiß die FDJ (Freie Deutsche Jugend), daß es keinen Angriffskrieg gegen Jugoslawien gegeben hätte, bestünde die DDR noch. Beweis: "In ihrer 40jährigen Existenz führte die DDR keinen einzigen Angriffskrieg gegen andere Staaten." Hinsichtlich des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen in Ungarn 1956 und in die CSSR 1968 drücken wir mal beide Augen zu.

Die Schuldfrage wird in den meisten Schriften in einem Dreischritt analysiert: Das größte Interesse am Krieg hätten die USA, Deutschland sei mehr oder weniger hineingezogen worden, und daß es nicht um die Menschen im Kosovo gehe, zeige schon die Tatsache, daß die Türkei und Israel nicht ebenso bombardiert würden. Und die Unschuldigen? "Arno Schmidt war ohne Zweifel unschuldig am 3. Reich, als er einen späteren Teil Polens aufgrund seiner Volkszugehörigkeit verlassen mußte, unschuldig war die Mehrheit der zu ihrem Pech am falschen Platz siedelnden Palästinenser in der Mitte, der über 1,5 Millionen 'ausgetauschten' Griechen und Türken im ersten Viertel dieses Jahrhunderts und ohne Zweifel auch die Mehrheit der hauptsächlich von Tito im Kosovo angesiedelten Albaner und deren allzu zahlreiche Nachkommen." (Bund gegen Anpassung/Rotes Forum) Eine gewagte These: Vermehren sich wie die Karnickel, diese Albaner, und sind trotzdem unschuldig.

Für eine andere Gruppierung ist nicht nur Arno Schmidt unschuldig, sondern gleich noch ein paar Deutsche mehr. "Einige Kollegen aus Berlin" schreiben in ihrer "2.Stellungnahme seit Kriegsbeginn": "Unser Volk mußte einen hohen Preis zahlen, dafür daß es teilweise geduldet hat, teilweise daran beteiligt war, daß menschenverachtende Verbrechen ungekannten Ausmaßes in seinem Namen begangen wurden. Diesen Preis zahlen wir noch heute, 54 Jahre nach Kriegsende."

Apropos "zahlen": Rolf Philipp fragt in seinem Flugblatt: "Herr Scharping! Was kostet ein Tag Krieg? Bezahlen Sie ihn aus Ihrem Privatvermögen?" Aber sicher! Preisgünstig kommen in jedem Fall die Israelis weg: "Wie Israel, der Statthalter der USA im Nahen Osten, sich gegenüber seinen Nachbarstaaten verhält (Annexion von Teilen dieser Staaten, Bombardierungen) ist bekannt. Daß in Israel Folter von Gefangenen offiziell erlaubt ist und die Sippenhaft unschuldiger Menschen, in erster Linie Palästinenser, gängige Praxis ist, wird nicht allgemein bekannt sein." Diese Stellungnahme kommt nicht von der DVU, sondern von "Einigen Kollegen aus Berlin", die ihre "3.Stellungnahme seit Kriegsbeginn" verteilt haben.

Während Deutschland immer noch dafür zahlen muß, daß "in seinem Namen" Verbrechen begangen wurden, dürfen sich die Israelis ungestraft so aufführen wie - die Deutschen damals ("Sippenhaft"). "Kein Wunder", schreibt die AGM (Arbeitsgruppe Marxismus): "Der Zionistenstaat ist der loyalste und militärisch wichtigste Kettenhund des US-Imperialismus in der Region."

Dagegen argumentieren die Pamphlete rechter Gruppen, die auf den jüngsten Friedensdemos verteilt wurden, fast schon human. Die Naturgesetzpartei kennt einen Weg aus der Sackgasse: "Eine gewaltfreie Friedenstechnologie, die 'Maharishi Technologie des Einheitlichen Feldes'" - das Yogi-Fliegen. "Unser wissenschaftlich bestätigter Friedensplan für den Kosovo lautet: Statt weitere Schuld durch Töten von Menschen mitzutragen, sollte die Bundesregierung unverzüglich in Deutschland und Mazedonien innerhalb von ca. 12 Wochen je eine Gruppe von 2 000 Soldaten in die Vedischen Friedenstechnologien einweisen lassen. (...) Denn bei den Jugoslawen käme durch den Abbau von Kollektivstreß die Vernunft zurück! Schon in kürzester Zeit würden die von Haß bestimmten serbischen Kriegshandlungen abklingen."

Daran schließen sich nahtlos die Öko-Sozialen aus dem Umkreis des verstorbenen Ökoreaktionärs Rudolf Bahro an: "Was Du denkst, fühlst, tust, interessiert niemensch. (...) Wir sind zurückgeworfen auf unsere Körperkraft, unser Denkvermögen und auf unsere Stimme." Sie fordern "Parteinahme gegen die Metropolen-Interessen", denn: "Das kapitalistische Patriarchat als dessen letzte und barbarischste Form wird die Erde als ein schwarzes Loch hinterlassen: unbewohnbar, wüst und leer." Illustriert ist diese Prognose mit dem Target-Zeichen. Nicht mal dagegen können sich die Serben wehren.

Gekrönt wird die Flugi-Flut durch die esofaschistische Hetzschrift: "Gesellschaftsreform jetzt! - Monatszeitung für Wissenschaft, Kultur und Politik". Hier tritt der "ewige Jude" als Verantwortlicher für den Krieg auf, vorerst allerdings noch in der Gestalt eines Außerirdischen namens "Ashtar Sheran". "Ashtar Sheran" habe Bill Clinton durch "Eindringen in irgendwelche charakterliche Schwächen eines Menschen" umgepolt, er habe den "Fatima-Schwindel" inszeniert, Moses die Zehn Gebote überreicht und damit den Grundstein gelegt "für den gegenwärtigen jüdischen und christlichen Religionswahnsinn". Er habe auch die "Arier-Nachfahren" für die Zwecke der "Gizeh-Intelligenzen" mißbraucht, Resultat: Erster und Zweiter Weltkrieg. Unsere "Evolutionsgestörtheit" liege in einer Genmanipulation begründet, die "unsere indirekten Vorfahren aus den Sirius-Gebieten" an uns vornahmen. Eigentlich seien aber die "Erzeuger-Herrscher selbst schuld an ihrer Entartung". Also nicht die Deutschen waren die Nazis, und Milosevic ist auch nicht Hitler, sondern der Jude E.T. ist Goebbels.

Dazu keine weiteren Fragen. Schließen wir mit einer Stimme der Besonnenheit im Tal des Schwachsinns, der Bahamas-Redaktion: "Eine Linke, die mit ihrem Ethno-Gefasel statt Internationalismus, ihrem Antiamerikanismus statt Haß aufs Vaterland, ihrem Ökologismus statt Solidarität mit den Leuten verdienterweise an die Regierungsmacht gekommen ist? Wo gibt es sowas? Erraten."