Arbeit, Arbeit, Arbeit

Joseph Fischers "Stabilitätspakt für den Balkan" bietet die Chance zur Realisierung alter deutscher Europa-Pläne.

Bei aller Liebe zur wiedergewonnenen Normalität: Ständig Krieg zu führen, ist einfach zu teuer, und immer mehr mißfällt der Bundesregierung die US-amerikanische Führerschaft beim Bombardieren.

Deshalb will Joseph Fischer die Staaten Ost- und Südosteuropas erst einmal ruhigstellen. EU-Verfahren zum Schuldenerlaß sollen eine ökonomische Umstrukturierung Südosteuropas nach deutschen Vorstellungen ermöglichen, denn als Voraussetzung für den EU-Beitritt werden "demokratische und wirtschaftliche Reformen" verlangt.

Im Klartext: eine knallharte Privatisierungs- und Abwicklungspolitik. Die ist in Rumänien, Bulgarien, vor allem aber in Jugoslawien in den neunziger Jahren nie so recht in Gang gekommen. Jetzt wird die Modernisierungsruine Jugoslawien in Grund und Boden gebombt, um für die "freie" Marktwirtschaft eine tabula rasa zu schaffen.

Natürlich ist die Regierung in Belgrad ebenso wenig staatssozialistisch wie die in Bukarest oder Sofia. Immer wieder hat Milosevic der EU in den vergangenen Jahren den jugoslawischen Staat als Agrarlieferanten und Billiglohn-Produktionsstandort angeboten. Doch aus Machtinstinkt und Angst vor sozialen Revolten sperrte er sich wie seine Kollegen in Bulgarien und Rumänien gegen Massenentlassungen und den Ausverkauf der Staatsbetriebe für ein paar Deutsche Mark: Lediglich die jugoslawische Telekommunikationsgesellschaft wurde bislang - als einziger großer Staatsbetrieb - privatisiert.

In den anderen wesentlichen Wirtschaftssektoren schafft nun der Krieg die Marktbereinigung. Eine jugoslawische Schwer- und Rüstungsindustrie - das war einmal. Die eigenständige Autoproduktion ist durch die Bombardierung der Zastava-Fabrik vernichtet worden - einer uneingeschränkten Marktführerschaft von Volkswagen in Südosteuropa steht nun nichts mehr im Wege. Die jugoslawische Chemieproduktion, abgehakt - Bahn frei für die IG Farben, Pardon: für Bayer, BASF und Hoechst. Auch der deutschen Bauindustrie, die über eine schleppende Binnennachfrage klagt, bieten sich Perspektiven: Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Wer das alles bezahlen soll? Zur Verabschiedung eines Förderungsprogrammes für Südosteuropa, das besonders der deutschen Wirtschaft zugute kommt, werden auf dem Petersberg erwartet: die Vereinten Nationen, die Nato, der Europarat, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, die Europäische Investitionsbank und die Londoner Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Mit diesen Organisationen soll die Verwirklichung des rheinischen Kapitalismus von Fischers Gnaden auf dem Balkan in Angriff genommen werden.

Kurzfristig mindert die fehlende Kaufkraft der Bevölkerung Südosteuropas die deutschen Exportaussichten. Doch langfristig bietet die Diskussion um Joseph Fischers "Stabilitätspakt für den Balkan" die Chance zur Realisierung alter deutscher Europa-Pläne. Das weiß auch die Zeit: "Schon lebt das Bild vom Europa der konzentrischen Kreise wieder auf: Euroland als Kernzone, darum die reiferen Nachbarn aus Warschau, Budapest, Prag. Und hinzu kommt als dritte Klasse der Balkan."

In der nationalsozialistischen Großraumkonzeption nannte man dies die "Neuordnung Europas" nach gestaffelten und zonierten Verwertungsräumen. In die zweite Verwertungszone soll nach Angaben spanischer EU-Experten im Zuge der Petersberger Verhandlungen doch noch der alte deutsche Verbündete Kroatien aufgenommen werden.

Für Albanien und das Kosovo aus der dritten Verwertungszone geht es weniger um die Errichtung deutscher Freihandelszonen als um die Schaffung eines Protektorats. Durch Mindestversorgung und Ruhigstellung sollen die "in der Logik der modernen Wirtschaft überflüssigen Menschen (...) daran gehindert werden, (...) in die EU-Arbeitsmärkte zu dringen", heißt es etwa in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Wie lange diese Ruhigstellung durch militärische Besetzung, Schuldenmoratorien, EU-Assoziierungsverträge und Care-Pakete von Cap Anamur funktionieren wird, bleibt offen. Aber auch in Südosteuropa wird man erkennen, daß Fischers Stabilitätspakt keineswegs eine Perspektive auf Wohlstand und europäische Gleichberechtigung bietet.

Sollte es dann zu einem neuen Krieg kommen, wird sich Deutschland kaum noch einmal der "raumfremden" Ordnungsmacht USA unterordnen.