Die EU und der Balkan

Protektionismus verliert

Die Antipathien waren von Anfang an auf beiden Seiten gleich stark: Weder die jugoslawische Regierung noch die Repräsentanten der Europäischen Union sahen sich nach 1991 veranlaßt, miteinander ins Geschäft zu kommen. Während die meisten der ehemaligen Ostblock-Staaten von der EU mit Handels- und Kooperationsabkommen bedrängt wurden, stellte die Bundesrepublik Jugoslawien erst gar keinen Assoziierungs-Antrag.

Obwohl die EU zwischen 1992 und 1997 selbst die jugoslawischen Nachbarn Albanien und Mazedonien mit den Anschlußtickets in die Union ausstattete, biß Slobodan Milosevic nicht an. Zunächst als jugoslawischer Ministerpräsident und danach als Präsident lehnte er alle Kooperationsangebote der EU ab. Den Preis dafür zahlte er nicht erst mit dem Nato-Krieg gegen sein Land. Wenn auch mit Unterbrechungen, hat die EU Jugoslawien seit 1992 ständig mit Embargos belegt.

Daß auch kriegerische Ausflüge Jugoslawien den Anschluß an die Europäische Union nicht unbedingt vermasseln müssen, beweist der Fall Kroatien. Zwar duldeten die EU-Staaten den Vertreibungskrieg der kroatischen Armee in der Krajina - freilich kamen die Europäer nicht umhin, ihn als Bruch ihrer Charta zu werten. Doch führte der Krajina-Feldzug nur zum vorübergehenden Abbruch der Beziehungen zum kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman. Schließlich kennt man sich: Den kriegerischen Austritt Kroatiens aus der jugoslawischen Föderation honorierte die EU schon 1992 mit der Anerkennung des Tudjman-Staates. Inzwischen steht die zweite Abspaltung des alten Jugoslawien auf den vorderen Plätzen der südosteuropäischen EU-Beitrittskandidaten.

Wie sie ihre Volkswirtschaften mittelfristig in den EU-Club hineinbekommen können, schreibt auch den Südosteuropäern die Agenda 2000 vor, der acquis communitaire der Union: Die dort aufgestellten Kriterien lesen sich wie das Abziehbild funktionierender kapitalistischer Nationen der gehobenen Sorte. Und das, wo auf dem Balkan zum Teil nur noch magere Subsistenzwirtschaften die Menschen am Leben erhalten.

Darüber hinaus verlangt die EU den Aufbau einer an partnerschaftlicher Konkurrenz mit den westeuropäischen Staaten orientierten Ökonomie. Kandidaten und Bewerber sind bis zum Beitritt gefordert, heißt es in der Agenda, eine "funktionsfähige Martkwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck der Union standhält" auf die Beine zu stellen. Und: "Preise und Außenhandel müssen liberalisiert sein"; es "darf keine nennenswerten Schranken für den Marktzugang und das Ausscheiden (Konkurs) geben". Daß die zweite Forderung der ersten entgegensteht, da bulgarisches oder mazedonisches Kapital nie mit deutschem oder italienischem konkurrieren könnte - und somit auch eine erfolgreiche nationale Akkumulation ausbleiben wird -, weiß natürlich auch die EU-Kommission.

Das Projekt verfolgt denn auch einen anderen Zweck: Die Kandidaten und Bewerber sollen äußerer Einflußnahme entzogen werden und ihre Ökonomien - samt Bevölkerung, Militärapparat und sonstigem Staatsinventar - ins EU-Europa einbringen, auf daß die südosteuropäische Staatsraison nur noch eine abhängige Variable der Großmächte sei.

Eben dieser Version der Modernisierung in Form eines Unterordnungsverhältnisses hat sich das Jugoslawien Milosevics bislang versperrt - und statt dessen an der Perspektive einer eigenständigen Entwicklungsdiktatur mit alten Geschäftsbeziehungen nach Osten und Süden festgehalten. Während Slowenien, Kroatien, Mazedonien und die Führung der kroatisch-muslimischen bosnischen Föderation nach der Anerkennung durch die EU die erfolgversprechendere Nord- und Westperspektive als Karrieremittel wählten, wollte sich Belgrad mit dem Status quo nach 1992 nicht anfreunden und hielt an seinem gegenüber dem Westen protektionistischen Kurs fest. Den ökonomisch rentableren Teil Vorkriegs-Jugoslawiens hatte es damit verloren.

Bei einem Sieg der Nato und der darauffolgenden Installierung eines pro-westlichen Regimes in Belgrad wird sich an der für Südosteuropa vorgesehenen peripheren Situation nichts ändern, außer der gänzlichen Enthebung von russischem Einfluß. Jugoslawien dürfte sich beim EU-Schulspiel um Zensuren, Nachsitzen, Hausaufgaben machen und Reifeprüfung mitbemühen. Doch auf absehbare Zeit wird das Brüsseler Lehrerkollegium hauptsächlich Mahnungen und Verweise verteilen - und ab und an, das zeigen die Nato-Angriffe, setzt es auch mal eins mit dem Rohrstock.