Szenen einer Scheidung

Der sächsische NPD-Landesverband streitet sich mit sich selbst, der Basis und der Bundespartei

"Saubere Spielplätze für Dresden" lautete das Motto ganz kommunal- und ordnungspolitisch am vergangenen Samstag in Gorbitz, Dresdens größtem Neubaugebiet. Die NPD rief das deutsche Volk zum Infostand. Für die zumeist jugendlichen Kader hieß es gleichzeitig aber auch, den Bürgersteig zu kehren und Unkraut zu jäten. Derweil versuchten sich teilweise ältere Parteimitglieder am Infotisch im Smalltalk mit Passantinnen und Passanten.

Die Dresdner NPDler setzen damit die bereits Ende vergangenen Jahres vom Landesvorstand vorgegebene Linie um. Die Partei soll weg von ihrem Schmuddel-Image einer rechtsradikalen Partei, die Heimat für gewalttätige Skinheads ist. Und so zelebrieren sie Bürgernähe und mimen die netten Jungs und Mädels von nebenan.

Diese Strategie ist innerhalb des sächsischen Landesverbandes, vor allem aber im Bundesverband heftig umstritten. Viele Parteimitglieder setzen nach wie vor auf den besonders in den letzten zwei Jahren erfolgreichen aktionistischen Kurs, mit dem es der NPD hauptsächlich in Ostdeutschland gelungen ist, die jugendliche rechte Szene hinter sich zu sammeln.

Die Ereignisse am 1. Mai des vergangenen Jahres in Leipzig gaben dem Flügel um den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Jürgen Schön aus Leipzig den letzten Impuls, sich in dieser Frage offen gegen die Bundespartei zu stellen. In der Weigerung, 1999 wieder eine Demonstration vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal anzumelden, fand dies seine praktische Umsetzung.

Die immer wiederkehrenden Großaufmärsche wurden als zu martialisch und für die NPD kontraproduktiv kritisiert. Demonstrativ hielt sich der sächsische Landesverband aus den Mobilisierungen nach Rostock (im vergangenen September) und nach Bremen (am 1. Mai dieses Jahres) heraus. Entsprechend gering war die Teilnahme sächsischer Nazis.

Ganz im Gegensatz zum Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern im letzten Jahr oder dem gegenwärtigen in Brandenburg, bei denen immer wieder kleine Aufmärsche stattfanden und -finden, verzichtet die sächsische NPD bislang auf Demonstrationen. Die muß also, wenn sie marschieren will, alles selbst organisieren. So demonstrierten am 1. Mai rund 100 Nazis in Leipzig-Grünau. Unter ihnen waren etliche ehemalige NPD-Mitglieder, die wegen ihrer Unzufriedenheit mit dem Kurs der sächsischen NPD sich nicht an deren Demonstrationsverbot hielten. Für den alljährlich stattfindenden Holger-Müller-Gedenkmarsch am 3. Juli in Zittau fungiert die örtliche NPD zwar noch als Anmelder, das Mitbringen von Parteifahnen ist aber untersagt.

Aber nicht nur über die Präsentation in der Öffentlichkeit wird gestritten, auch ideologisch gibt es Konflikte. "Die DDR war das bessere Deutschland", erklärte der sächsische Landesverband jüngst in einem Flugblatt. Offensiv werden ehemalige SED-Mitglieder und Funktionäre umworben. Ähnlich wie in der PDS wird an einer ostdeutschen Identität gebastelt. Dies sind Positionen, die gerade aus Westverbänden stark kritisiert werden, dafür aber im Osten um so erfolgreicher sind.

Daß dieser Kurs auch innerhalb der sächsischen NPD nicht unumstritten sind, zeigte sich zuletzt bei der Aufstellung der Kandidatenliste zur Landtagswahl im September 1999. Erst nach mehreren Anläufen gelang es der Partei, sich zu einigen. Einmal waren den Partei-Sponsoren zu viele "Glatzen" auf den vorderen Listenplätzen; sie drohten damit, den Geldhahn zuzudrehen. Das andere Mal scheiterte die Verabschiedung an ehemaligen Stasi-Mitarbeitern, die mit aufgestellt worden waren.

Derlei Querelen lassen viele Mitglieder frustriert zurück. So sind erste Austritte aus der NPD zu verzeichnen. Teile der jugendlichen Basis wenden sich von ihr ab und organisieren sich parallel in sogenannten Freien Kameradschaften. Das Modell der Freien Nationalisten aus Norddeutschland um die Hamburger Christian Worch und Thomas Wulff erscheint für sie gegenwärtig attraktiver. In Sachsen, wo bereits Anfang der neunziger Jahre starke Kameradschaften existierten, entstehen diese wieder verstärkt neu. Allerdings auf einem höheren organisatorischen Niveau.

Mit dem durchaus absehbaren Scheitern des stärksten NPD-Landesverbandes bei der Wahl im September wird die Partei weiter an Attraktivität verlieren. Ihr Führungsanspruch innerhalb der rechten Szene könnte entscheidend zurückgedrängt werden, während sich der Trend, sich jenseits der NPD "autonom" zu organisieren, noch verstärken würde. Eine nicht unerhebliche Anzahl von militanten Neonazis würde sich damit aus der gegenwärtig verordneten Parteidisziplin, die sie zur Zurückhaltung auffordert, selbst entlassen.

Viele dieser ehemaligen NPD-Mitglieder werden wohl aus ihren Erfahrungen bei der NPD gelernt haben und so schnell für keine Parteiarbeit mehr zugänglich sein. Selbst wenn die NPD ihren Kurs ändern sollte, wird sie für dieses Klientel eher unglaubwürdig, als daß sie sich zu einer erneuten Mitgliedschaft oder Mitarbeit bewegen lassen.

Im Gegensatz zu der Zeit, als die Kameradschaften in der NPD aufgegangen sind, innerhalb der NPD als Mitglieder ideologisch und organisatorisch geschult wurden, steht wohl nun wieder der Rückzug in die ehemaligen Kameradschaften an. Hinzu kommt, daß sich die Kameradschaften in einer wesentlich gößer gewordenen rechten Subkultur bewegen.

Die so entstandene Situation birgt ein wesentlich größeres Gefahrenpotential, als es noch zu Hochzeiten der NPD bestanden hat. Diese Entwicklung ist in Sachsen relativ weit fortgeschritten. Es ist aber zu erwarten, daß andere Landesverbände nachziehen werden. Anzeichen für eine ähnliche Entwicklung sind beispielsweise auch aus Brandenburg bekannt.