Po-Chih Leongs Vampirfilm "Die Weisheit der Krokodile"

Beiß doch einfach eine andere!

Wer sich sein Wohnambiente mit altertümlich raunendem Plunder herrichtet, ist entweder ein Spinner oder ein Antiquitätenhändler. Wer zudem noch mit humanistischer Bildung klotzt, Morgenmäntel aus Brokat trägt, die Kunst der Bleistiftzeichnung pflegt und ab und zu ein Gedicht aufsagt, ist todsicher ein Vampir. Steven ist einer.

"Steven, wo kommen Sie eigentlich her?"- "Meine Vorfahren stammen aus Bulgarien." - "Ist man dort schon so arm, daß man sich nicht einmal mehr Vokale leisten kann?" Sehr witzig! Der Nachname Grlscz ist zwar ungewöhnlich, doch Anne ist mit ihrem neuen Freund ganz glücklich. Steven ist nett, er ist schön, er ist gebildet. Gespielt von Jude Law, ist er der Lichblick dieses Films. Kein Sonnenstrahl, kein Knoblauch, kein Kruzifix kann ihm etwas anhaben.

Gerade erst hat er seine letzte Freundin blutleer im englischen Wattenmeer versenkt. Aus ihrem Blut hat er die Gefühle und Empfindungen extrahiert, die er zum Überleben braucht. Seine Blutsaugerei ist seine Suche nach der großen Liebe, findet er sie, könnte er vielleicht aufhören.

Viele Frauen mußten sterben, penibel führt er über seine Opferliste Buch. Dann kommt Anne. Anne ist anders. Anne arbeitet auf dem Bau mit einer neuen Sorte Beton. Steven ist Mediziner. Sie liebt ihn, er liebt sie, gern zeichnet man gemeinsam Bilder. Das Leben könnte schön sein.

"Die Weisheit der Krokodile" ist ein cinematographischer Vampirplunder, gedreht von einem Hongkong-Chinesen unter den Bedingungen des europäischen Autorenfilms. Po-Chih Leongs "Die Weisheit der Krokodile" ist Werner Herzogs "Nosferatu" für Wallpaper-Abonnenten mittleren Alters. Zwischen edlen Massivholzschränken und großformatiger Ölmalerei steht man sich nachdenklich im Weg und redet dabei möglichst wenig. Der unbedingt ereignisarme Plot möchte durch vehemente Schweigerei an Bedeutung gewinnen. Um wenigstens halbwegs elegant über die anderthalb Stunden zu kommen, hat Po-Chih Leong einen dramaturgischen Hakenschlag zur dümmsten Straßengang Londons eingebaut.

Die bunte, multi-ethnische Truppe trägt Kostüme, die man Duran Duran geklaut hat und wird mit fernöstlicher Kampfsport-Technik von Steven souverän aus dem Weg gekantet - und schon ist die Action wieder vorbei. Die Halunken haben sich getrollt, im zweiten Gang schnurrt der Film weiter. Vielleicht noch mal ein Gedicht aufsagen, ein Porträt von der Geliebten zeichnen, etwas schweigen, den Brokatmantel überwerfen? Der gemarterte Zuschauer sondert hilflos Stoßgebete ab. Beiß Sie! Bringt ihn um! Verhaftet ihn! Vertrockne, Sohn Draculas! Stirb, du verlorene Seele der Finsternis! Ach, wenn du sie liebst, beiß doch einfach eine andere, Weichei!

Dabei ist die unangebrachte Blutarmut gar nicht mal das Problem Nummer eins, sondern die ungefähr zwölfhundertfünfte Variante des ewigdämlichen Melodrams vom Tier im Mann, das die zivilisierte Seele zerreißt, die Geschichte vom einsamen Jäger, der hin- und hergerissen zwischen phylogenetischer Trieblast und der eventuellen Möglichkeit einer Vernunft sein Opfer lauernd umkreist. Dümmer und prätentiöser wurde dieser Murks selten verfilmt.

"Die Weisheit der Krokodile". GB 1998. Regie: Po-Chih Leong, Darsteller: Jude Law, Elina Löwensohn, Timothy Spall, Jack Davenport.
Start: 10. Juni