Nachschub für den Waschsalon

Die rosaroten Zeiten sind vorbei, Hanif Kureishi wird privat

Wenn ein Mann seine Familie verläßt, ist das eine ernste Sache. Und wenn dieser Mann Schriftsteller ist und ein berühmter noch dazu und es nicht einfach beim Verlassen beläßt, sondern auch noch das Buch zum Ende der Beziehung schreibt, dann ist final Schluß mit lustig.

Zumindest bei Hanif Kureishi und seinem Roman "Rastlose Nähe" verhält es sich so. Waren seine bisher erschienenen Romane und Drehbücher ("Sammy und Rosie tun es", "Mein rosaroter Waschsalon") eher von einer Haltung geprägt, die Klappentexte auf die Formel "satirisch-grotesker Erzählstil" brachten, und ging es meist um die pakistanische Community in Großbritannien und all die Probleme, die man als Minderheit entweder aufgedrückt bekommt oder sich selber macht, geht es jetzt um den Ernst des Lebens. Kureishi tritt nicht mehr als angry young man, sondern als angry old husband auf. Kein Rock'n'Roll mehr und keine brennenden Vorstädte. Kein Spaß mehr, kein Salman-Rushdie-light. Mann-Frau-Kinder-Mann-Geliebte. Treue-Untreue. Das volle Programm.

Da ist also der Held des Buchs, Jay, der sich eine Nacht lang darüber Gedanken macht, ob er seine Freundin und seine beiden Söhne sitzen lassen soll, oder ob er die Beziehungs- und Kleinfamilienhölle noch weiter ertragen kann. Zwischendurch unterhält er sich mit seiner Freundin, schaut seinen Söhnen beim Baden zu, ärgert sich über seine Freundin, die eine Soap-Opera im Fernsehen schaut, obwohl die echte Soap ja wohl gerade durch seinen Kopf tobe, denkt an seine Geliebte, onaniert im Badezimmer unter Zuhilfenahme der Unterwäsche der Freundin und ihrer Faltencreme, denkt an seine Anzüge oder an seine Kumpels, die entweder Familie haben und zufrieden oder alleine und zufrieden sind, begibt sich auf die Suche nach seiner Freundin und bekommt in einem Club eins über die Rübe, packt ein paar Sachen zusammen und - geht.s

Eine schwere Nacht. Das Ganze dauert 160 Seiten und läßt einen etwas ratlos zurück. Denn was ist von einem Helden zu halten, für den das Pissen im Stehen eine Glaubensfrage ist, wenn er, als weiteren Beleg dafür, wie sehr seine Freundin und das Wickeln seiner Söhne ihn zermürben, anführt, daß er nicht mehr in der Lage sei, ohne Anstrengung "einen halbwegs ordentlichen Bogen in die Schüssel zu schicken". Ist das schlicht peinlich, oder ist das Leben wirklich so? Und wenn es wirklich so ist, ist es nicht vielleicht trotzdem peinlich? In Großbritannien fand die Kritik es peinlich. Ob es daran lag, daß die Rezensenten Frauen waren, wie der Spiegel durchblicken läßt, sei dahingestellt.

In Deutschland glaubt man eher, es sei das wahre Leben. Oder, wie der Spiegel schreibt, "das Drama des modernen Mannes", eines Mannes, "der in den Trümmern des Geschlechterkriegs die Orientierung verloren hat". Und die Zeit glaubt sogar, dies sei "ein Roman aus der vaterlosen Gesellschaft". "Rastlose Nähe" oder "Intimacy", wie es im Original, nicht ganz so dick aufgetragen, heißt, dreht sich um Kureishi. Genau wie sein Held Jay schreibt der Autor Drehbücher und wurde für einen Oscar nominiert. Die Freundin von Jay arbeitet ebenso in einem Verlag wie die Ex-Freundin Kureishis, in beiden Fällen ist es der Sohn, der fürderhin in vaterloser Gesellschaft aufwachsen muß, und im echten Leben genau wie im Buch angelt sich der Held eine zwanzig Jahre Jüngere.

Nun ist Kureishi nicht der erste Autor, der, um sein familiäres Versagen zu legitimieren, zur Feder greift, um den ganzen schmutzigen Wäschekorb schreibenderweise der Ewigkeit zu überantworten, und wenn er von dem Honorar wenigstens regelmäßig seine Unterhaltszahlungen leisten sollte, wäre im Unterschied zu den Legionen seiner Vorgänger wahrscheinlich schon eine Menge gewonnen. Auch Kureishis bisherige Bücher waren nicht frei von Zugriffen auf seine nähere Umgebung. Wo aber bislang die Realität in die Groteske überführt wurde, liegen die Dinge jetzt anders. Kureishi versucht, aufrichtig zu sein und sich und der Welt Rechenschaft abzugeben, warum ein Mann zu tun hat, was ein Mann zu tun hat. Auf einmal ist es dann kein Text mehr, der eine Realität verhandeln würde, auf einmal liest sich das als Roman über solchen Unfug wie die Orientierungslosigkeit in Zeiten des Geschlechterkriegs.

"Wie ich zu schreiben beliebe? Mit weichem Stift und hartem Schwanz" - ein Merksatz wie dieser hätte zwar auch in anderen Kureishi-Büchern stehen können, aber eben ohne diese authentizitätsheischende Aufladung. Und zwischen drogenschluckenden Hochschuldozentinnen, tiltenden islamischen Fundamentalisten, schwulen Skinheads und sonstigem Großstadtpersonal hatten sie eine andere Funktion als im Wohnzimmer der zerbrechenden Familie Kureishi. So schlau der Autor bislang alle möglichen Stereotype überzeichnet hat, so dumm stellt er sich an, wenn er dies einmal nicht tut.

Zuviel Ehrlichkeit endet oft in Kitsch und Klischee, das ist bei Wolfgang Petry so und bei Kureishi nicht anders. Etwa, wenn er sich darüber ausläßt, früher sei das Fernsehen Befreiung gewesen und heute Wiederholung. Oder wenn ihn der schwule Kumpel fragt, warum die Heteros eigentlich so viel Aufhebens um die Treue machen würden, und zur nächsten Orgie spaziert. Oder wenn es um die junge Geliebte Nina geht, die quasi als das Abziehbild der postfeministischen Frau herumgereicht wird, die nicht nur den besseren Sex hat, sondern sich auch noch chic anzieht, clever ist und kein Nest bauen will, kurz die wandelnde Männerphantasie der Neunziger, die wirklich emanzipierte Frau ist. Aber, wer weiß. Vielleicht ist das Leben ja wirklich so, oder aber auch nicht.

Kureishi zumindest lebt jetzt mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau zusammen, und sie haben auch schon ein Kind.

Hanif Kureishi: Rastlose Nähe. Kindler, München 1999, 160 S., DM 29,80