Über allen Gipfeln war Ruh

Anti-EU-Protest

Vom monatelang vorbereiteten Kölner Gipfelsturm blieb am Ende eher ein laues Lüftchen. Am Abend des 3. Juni war gute Stimmung im Kölner Stadtteilzentrum Alte Feuerwache. Nachdem die Anti-EU-Demo zu Ende war, heizte Klaus der Geiger, local hero der rheinischen Kleinkunstszene, mit seinen Schunkelliedern kräftig ein. Als er dann zum Abschluß: "Nein, wir wollen nicht Eure Macht, wir wollen nicht Euer Geld..." anstimmte, fielen fast alle Linksradikalen lauthals in den Refrain ein.

Die Reichen und Mächtigen Europas, die nur wenige Kilometer entfernt in der Kölner Altstadt flanierten, konnten beruhigt sein. Nächtliche Pfeifkonzerte oder gar Blockaden, die bei ähnlichen Großevents 1988 in Berlin oder 1992 in München die Gipfelteilnehmer bis in den Schlaf begleiteten, blieben in Köln weitgehend aus. Analog zur Regression der einstigen Hardcore-Punk-Szene zu soften Liedermacherfans haben auch auf dem politischen Terrain längst sanfte Töne den harten Sound abgelöst. Die Mobilisierungsflugblätter und -plakate ähnelten zwar in Wortwahl und Aufmachung den linken Verlautbarungen von vor zehn oder acht Jahren. Manche Textpassagen des linksradikalen Köln-Aufrufs hätten sogar wortwörtlich den Mobilisierungstexten zu den Münchner Aktionstagen 1992 entnommen sein können.

Anders als in München oder gar beim großen Anti-IWF-Event in Berlin 1988 aber hatte der größte Teil der linksradikalen Restszene wenig Interesse, nach Köln zu fahren. So blieben in Berlin von einem Dutzend Gruppen bei Kampagnenbeginn im letzten Herbst gerade mal drei übrig, als der Gipfelsturm beginnen sollte.

Auch im Ruhrgebiet war das Interesse nicht größer. Daß dann doch rund 3 000 TeilnehmerInnen auf die Straße gingen, muß unter diesen Umständen schon als Erfolg gewertet werden.

Dort wurden dann die EU, die Nato oder die Weltordnung im allgemeinen in Wort und Schrift gegeißelt. Nur die Losung "We want Biofarming", die die indischen TeilnehmerInnen der Internationalen Continentalen Caravane (ICC) vor sich her trugen, konnte man bisher noch auf keiner linksradikalen Demo in Deutschland lesen. Daß die genehmigte Route weiträumig um die Orte des Gipfeltreffens herumführte, wurde erstaunlich gleichmütig akzeptiert.

Als dann am Ende die Polizei noch einen Demonstranten vorübergehend festgenommen hatte, kam aus dem Lautsprecherwagen die beschwörende Aufforderung an die Staatsmacht, doch jetzt keinen Streß mehr zu provozieren, wo man die ganze Zeit so friedlich demonstriert hat. Als der Festgenommene nach einigen Minuten wieder frei war, zerstreuten sich die nach kilometerlangem Fußmarsch müden DemonstrantInnen schnell.

So mau wie die linksradikale Praxis blieb in Köln auch deren theoretische Arbeit. Beteiligten sich in Berlin und München noch Tausende an Gegengipfeln, so fehlten den 80 TeilnehmerInnen des großspurig als Internationaler Widerstandskongreß apostrophierten linksradikalen Familientreffens die kontroversen Themen. Die waren beim zeitgleich tagenden Antinationalen Forum in Köln-Mülheim vorhanden, dafür fehlte dort die Zeit für die gründliche Diskussion.

Vielleicht hat sich ja die linke Szene auch bei den ihr eher unbekannten Anti-EU-Themen zurückgehalten, um ihre ganze Kraft den ihr vertrauteren Protesten gegen den Weltwirtschaftsgipfel zu widmen. Vom Widerstandscamp über einen Alternativgipfel bis zu Straßenaktionen und der obligatorischen Großdemo steht in Köln vom 17. bis zum 19. Juni alles auf dem Programm.