Ein Votum gegen Golkar

Bei den indonesischen Wahlen errang Megawati Sukarnoputri die Mehrheit - ohne jede programmatische Aussage
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Indonesien hat gewählt. Und schon allein diese Tatsache genügte, das Vertrauen der Wirtschaft in diese nun "drittgrößte Demokratie" der Welt zu stärken. Die Börse reagierte positiv auf die Nachricht vom friedlichen Verlauf des Wahltages, und der IWF bewilligte umgehend die Auszahlung der nächsten Dollarmilliarde an den ehemaligen Tigerstaat.

Nach der Phase der "gelenkten Demokratie" unter dem ersten Staatspräsidenten Sukarno und den darauf folgenden 32 Jahren Diktatur unter Suharto hatten die Wähler zum ersten Mal seit 44 Jahren wieder die Möglichkeit, in freien Wahlen ihre Stimme abzugeben. 48 Parteien waren angetreten, mehrere Dutzend weitere hatten nicht die zur Teilnahme erforderlichen Voraussetzungen erfüllt.

Nicht zugelassen waren alle Parteien, die nicht in mindestens einem Drittel der Provinzen organisiert sind - keine Chance also für die Vertretung regionaler Interessen. Nach wie vor verboten sind Parteien, die sich auf den Marxismus-Leninismus oder andere Spielarten des Kommunismus berufen. Weil nach Jahren der Verfolgung und politischen Gehirnwäsche niemand mehr so genau weiß, was sich dahinter verbirgt, herrscht größte Vorsicht: So kommt auch der Begriff "Sozialismus" im Vokabular des neuen Parteienspektrums Indonesiens nirgendwo vor.

Nach den blutigen Unruhen in mehreren Landesteilen während der letzten Monate befürchteten viele gewaltsame Zusammenstöße auch während des Wahlkampfes. Bei der Wahl 1997, als es politisch nichts zu entscheiden gab, da die Wähler nur zwischen der Regierungspartei Golkar und zwei gleichgeschalteten Blockparteien wählen konnten, hatte der Wahlkampf mehrere Hundert Menschenleben gefordert. Lediglich in der nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Aceh und im indonesisch besetzten Osttimor kam es diesmal zu schwereren Zwischenfällen, ansonsten verlief die Wahl ruhig.

Dabei war sie keineswegs unumstritten. Als die Beratende Volksversammlung im November 1998 die Richtlinien zur Wahlgesetzgebung beriet, war es in den Straßen Jakartas zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Mehrere Demonstranten sowie einige Mitglieder eigens zu diesem Zweck aufgestellter ziviler Milizen (PAM Swakarsa) kamen dabei ums Leben. Die Demonstranten sprachen der Versammlung, die noch aus den Scheinwahlen von 1997 hervorgegangen war, schlicht die Legitimation ab. Insbesondere stieß auf Kritik, daß dem Militär in Zukunft immerhin noch 38 Sitze - statt bisher 75 - im Parlament vorbehalten bleiben sollten. Einige Studentenverbände riefen daher zum Wahlboykott auf.

Zur Abstimmung standen somit nur die Kandidaten für die 462 übrigen Mandate im 500 Sitze zählenden Parlament sowie die Bewerber für die Sitze der Provinz- und Kommunalparlamente. Erst im November wird die Beratende Volksversammlung einen neuen Präsidenten wählen. Sie setzt sich zusammen aus dem Parlament und zusätzlichen 200 Vertretern, von denen wiederum 135 von den jeweils stärksten Parteien in den Provinzen entsandt und 65 von sogenannten funktionalen Gruppen wie Berufsgruppenverbänden und dergleichen ernannt werden.

Wer auch immer aus den Parlamentswahlen vom 7. Juni als Sieger hervorgehen wird, muß sich also einstweilen mit dem amtierenden Präsidenten und Suharto-Zögling Bacharuddin Jusuf Habibie arrangieren. Schenkt man den bislang vorliegenden Zahlen Glauben, dann trug die oppositionelle Demokratische Partei (PDI Perjuangan) einen klaren Sieg davon. Sie liegt derzeit mit ca. 38 Prozent der Stimmen mit großem Abstand vor allen anderen Parteien in Führung. Die Noch-Regierungspartei Golkar folgt mit 21 Prozent auf Platz zwei. Die PKB des populären Moslemführers Abdurrahman Wahid, deren Ziel es war, im islamischen Lager zusätzliche Stimmen für die PDI zu mobilisieren, liegt mit 13 Prozent an dritter Stelle dicht gefolgt von der tendenziell regierungstreuen islamischen PPP mit elf und der Reformpartei PAN von Amin Rais mit neun Prozent der Stimmen.

Vorsitzende und Präsidentschaftskandidatin der PDI ist Megawati Sukarnoputri, eine Tochter des Republikgründers und ersten Präsidenten Sukarno, der ungeachtet seiner zweifelhaften politischen Experimente in den letzten Jahren seiner Amtszeit von vielen noch immer als Idol verehrt wird. Für viele Wähler war die Stimme für Megawati eine späte Abrechnung mit Suharto. 1966 hatte Suharto ihren Vater de facto des Amtes enthoben und sich selbst ins Präsidentenamt gehievt.

Wie keine andere symbolisiert Megawati aber auch persönlich die Opposition zum Suharto-Regime. Durch ein Ränkespiel von Regierung und Militär wurde sie 1996 als Vorsitzende der gleichgeschalteten PDI ihres Amtes enthoben. Aus Protest dagegen besetzte ihre Anhängerschaft daraufhin die PDI-Parteizentrale in Jakarta, bis das Gebäude von bezahlten Schlägerbanden und Militärs am 27. Juli 1996 brutal geräumt wurde. Dutzende fanden bei der Erstürmung der Parteizentrale und den darauffolgenden Straßenschlachten den Tod.

Die Regierung läutete darauf eine neue Hexenjagd auf Oppositionelle ein, in deren Verlauf zahlreiche Aktivisten der damals noch illegalen Linkspartei PRD verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Einige von ihnen, darunter der PRD-Vorsitzende Budiman Sudjatmiko, sitzen bis heute im Gefängnis, obwohl die Partei inzwischen längst offiziell zugelassen wurde und sogar an den Wahlen teilnehmen durfte.

Zugute kam Megawati, daß sie trotz ihrer Entmachtung über einen funktionierenden Parteiapparat verfügte, der sich als gut geölte Wahlkampfmaschine erwies. Anderen prominenten Oppositionellen, die unter den Repressalien Suhartos mehr zu leiden hatten und die weitergehende programmatische Ziele formulieren, fehlten vergleichbare Voraussetzungen. So müssen sich die Parteien von unter Suharto inhaftierten Dissidenten wie Sri-Bintang Pamungkas, Budiman Sudjatmiko oder Gewerkschaftsführer Muchtar Pakpahan damit abfinden, bei den Wahlen von den großen Parteien überrollt zu werden.

Noch stehen alle Analysen des Wahlergebnisses allerdings auf sehr schwachen Beinen. Sechs Tage nach dem Urnengang waren erst ca. 40 Prozent der Stimmen ausgezählt, größtenteils auf Java und in städtischen Gebieten. Diese Zahlen sind somit weder repräsentativ, noch lassen sie sich wegen des komplizierten Auszählungsmodus ohne weiteres in Parlamentssitze umrechnen.

Die Sitzvergabe erfolgt nach Verhältniswahlrecht auf Provinzebene. Ein Schlüssel legt fest, wieviel Abgeordnete jede Provinz ins nationale Parlament entsendet. Nach dem komplizierten System könnten 25 Prozent der Stimmen für Golkar ausreichen, um zusammen mit dem Militär und einigen kleineren Parteien im November ihren Präsidentschaftskandidaten durchzubringen; gut möglich, daß bei den noch auszuzählenden Gebieten diese Marke erreicht wird. Und der Präsident hat die entscheidende Machtposition inne. Er bestimmt die Regierung, die wiederum Gesetzesvorschläge macht, die dann das Parlament passieren müssen.

Ohnehin stellen die drängenden politischen und wirtschaftlichen Probleme Indonesiens jede denkbare neue Regierung vor eine äußerst schwierige Aufgabe. Die Enttäuschung der Wähler ist programmiert und kann schnell zu erneuten Unruhen führen. Megawati Sukarnoputri bewies allerdings Weitblick und vermied jeden konkreten Hinweis auf ihr Wahlprogramm sowie jedes Wahlversprechen - niemand wird ihr somit Wählerbetrug vorwerfen können.

Vorerst sorgt jedoch erst mal die lähmend langsame Auszählung der Stimmen für Ungeduld. Zunehmend werden Bedenken laut, Golkar könne die Zeit nutzen, um das Ergebnis zu manipulieren.

Die Zahl der internationalen Wahlbeobachter ist viel zu gering, um eine effektive Beobachtung leisten zu können. Fatal ist aber vor allem, daß sie bereits am 12. Juni wieder die Rückreise antraten, als noch mehr als 60 Prozent der Stimmen auszuzählen waren. Eine erste Folge der Unregelmäßigkeiten: In dieser Woche müssen zunächst einmal eine Million Wähler erneut an die Wahlurnen.