El, el, Israel

Die israelische Fußball-Nationalmannschaft hat Chancen, erstmals an der EM teilzunehmen

Die Tageszeitung Ma'ariv ist eine der seriösesten Israels. Doch als die israelische Fußball-Nationalmannschaft in der Qualifikation zur Europameisterschaft die Elf aus Österreich mit 5 : 0 schlug, war Ma'ariv der seriöse Ruf egal, und so titelte sie auf Seite eins, als stünde die gesamte Redaktion saufend und skandierend im Stadion: "El, El, Israel".

Vielleicht standen die Redakteure an jenem Sonntag, dem 6. Juni, ja wirklich dort, jedenfalls galten die ersten drei Seiten der Ma'ariv-Montagsausgabe nicht Ehud Baraks Koalitionsgesprächen oder dem Kosovo-Krieg, sondern allein dem Fußball. Der Sieg des Teams von Trainer Shlomo Sharf vor 43 000 Zuschauern im Nationalstadion von Ramat Gan bei Tel Aviv versetzte Israel in noch größeren Jubel als kurz zuvor die Abwahl des ungeliebten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

"Nation goes wild", überschrieb denn auch die englischsprachige Jerusalem Post ihren Bericht über die Jubelfeiern nach dem Sieg über Österreich und berichtete: "Ganz Israel verfällt in Euphorie". Die dritte große und seriöse Tageszeitung Israels, die linksliberale Ha'aretz, wollte sich dem nationalen Taumel nicht so ganz hingeben, zumindest nicht ohne Recherche. Und so las sich das auch: "Die russische Zeitung Sport Express, die in Moskau mit einer Millionenauflage erscheint, veröffentlichte eine erlesene Rangliste aller Nationalmannschaften Europas im letzten Jahr, und sie plazierte Israel auf Rang sieben - ein Sprung von sieben Plätzen im Vergleich zum Vorjahr."

Nachgeschoben wird, daß "russische Journalisten glauben, dies sei die exakteste aller Ranglisten, die im heutigen Fußball existieren." Wenn russische Sportjournalisten etwas glauben, dann aber richtig, und so erläuterte Ha'aretz ihren staunenden Lesern, wie diese Wunderliste entstanden ist: "Die Rangliste berücksichtigt alle Spiele, die absolviert wurden, und nimmt folgende Faktoren in Bedacht: Die Qualität des Gegners, den Austragungsort (Heimspiel, auswärts oder neutral), Tordifferenz, Art des Spiels (Pflicht-, Turnier- oder Freundschaftsspiel) und Anzahl der absolvierten Spiele. Diese Durchschnittsangaben basieren auf mindestens zehn Spielen. Das System ähnelt den Tennis-Weltranglisten."

Seriöser geht es kaum noch, und bei Ha'aretz ist man nun gewiß der Meinung, daß man die, zugegeben schnelleren, Kollegen der Ma'ariv mit ihren drei "El, El, Israel"-Extraseiten getoppt hat. Zumal der russische Befund, daß Israel nunmehr eine Fußballgroßmacht ist, so zustande kam: "Israel ist mit 62,06 Prozent auf Platz sieben gelandet. Dazu wurden sechs Siege, ein Unentschieden und zwei Niederlagen einberechnet. Die Tordifferenz beträgt 21 : 8. Die Spiele, die berücksichtigt wurden, sind: Polen 0 : 2 (Freundschaftsspiel), Österreich 1 : 1 (EM-Qualifikation), San Marino 5 : 0 (EM-Qualifikation), Spanien 1 : 2 (EM-Qualifikation), Jugoslawien 2 : 0 (Freundschaftsspiel), Belorußland 2 : 1 (Freundschaftsspiel), Rumänien 2 : 0 (Freundschaftsspiel), Zypern 3 : 0 (EM-Qualifikation) und Österreich 5 : 0 (EM-Qualifikation)."

Beim Zustandekommen dieses Rankings, davon kann sich jeder Leser überzeugen, liegt kein Pfusch vor, alles ist ganz seriös und überprüfbar, und also stimmen auch diese Schlußfolgerungen: "Entsprechend dieser Rangliste rangiert Israel vor Teams wie Norwegen (53,98), Deutschland (53,97) und Jugoslawien (53,84). Spanien, der Tabellenführer der Gruppe Sechs, rangiert auf Platz eins der Liste mit 78,87 Punkten, Österreich liegt auf dem 20. Platz (47,48), Zypern ist 30. (34,18) und San Marino 51. (5,34)." Das aus politischen Gründen bei den Europäern mitkickende Israel, das steht mittlerweile also auch mathematisch fest, stellt eine europäische Spitzenmannschaft.

Dieser Befund wird noch sympathischer durch die österreichischen Bemühungen, die Welt um eine neue Mathematik zu bereichern. "Gegen Israel verlieren wir zu eine Million Prozent nicht", hatte Österreichs neuer Nationaltrainer Otto Baric vor dem Spiel getönt: "Wir sind hierhergekommen, weil wir wissen, daß uns ein Sieg den zweiten Platz in der Gruppe Sechs beschert." Baric (Spitzname: Maximal), der nach dem 0 : 9-Debakel seines Vorgängers Herbert Prohaska gegen Spanien Ende März einen Neuanfang machen und auf jeden Fall noch die EM-Qualifikation schaffen sollte, hatte sich den Israelis gegenüber jovial gegeben: "Selbst ein Unentschieden würde unsere Hoffnungen nicht töten, und wir hätten weiterhin eine kleine Chance, Zweiter zu werden."

Nun, nach der glatten 0 : 5-Niederlage seines Teams, sieht es so aus, als ob Israel als Gruppenzweiter hinter dem voraussichtlichen Ersten und damit direkt qualifizierten Spanien gute Qualifikationschancen für die Europameisterschaft 2000 hat, die von Belgien und den Niederlanden gemeinsam ausgerichtet wird.

Für Israel wäre es die erste Fußball-EM-Teilnahme, aber am 5. September muß noch Zypern geschlagen werden, ein paar Tage später San Marino, und das letzte Spiel der Qualifikation findet am 10. Oktober in Spanien statt. Zu verdanken ist der fußballerische Aufschwung sowohl in Israel als auch im Ausland tätigen Spielern.

Im europäischen Clubfußball ist Israel schon länger erfolgreich. Maccabi Haifa, das zwar in dieser Saison die Meisterschaft mit Platz vier wieder souverän verpaßte - Erster wurde Lokalrivale Hapoel Haifa -, sich aber durch heftige Investitionen in den letzten Jahren bemüht, nicht nur reichster, sondern endlich auch bester Club der Liga zu werden, kam in diesem Jahr sogar bis ins Viertelfinale des Europapokals der Pokalsieger, wo es gegen Lokomotive Moskau ausschied. Nicht sporadische Erfolge, die hat es schon immer gegeben, charakterisieren das Neue am israelischen Fußballaufschwung, sondern der feste Wille, ihn institutionell abzusichern.

Die nächste, im August beginnende Saison wird nicht mehr für eine Nationalliga, sondern nach englischem Vorbild für eine Premier League angepfiffen werden. Dort treffen die Clubs je dreimal aufeinander, was insgesamt 39 Saisonspiele ergibt. Dadurch soll trotz Ligaverkleinerung die Zahl der Pflichtspiele erhöht werden, denn beim israelischen Verband ist man der Meinung, daß der Aufschwung noch viel nachhaltiger wäre, wenn die wenigen Spitzenclubs nicht so oft gegen sportlich schlechte nationale Konkurrenz antreten müßten. "Pro Saison machen die doch nur fünf oder sechs ernsthafte Spiele", hatte Verbandspräsident Gavri Levy letztes Jahr geschimpft.

International mithalten können zur Zeit nur Meister Hapoel Haifa, Vizemeister Maccabi Tel Aviv, Vorjahrsmeister Beitar Jerusalem und das ambitionierte Maccabi Haifa. Bestenfalls dem Pokalsieger Hapoel Tel Aviv trauen israelische Sportjournalisten noch zu, sich in Europa wenigstens nicht zu blamieren. Mit der Premier League soll das Niveau nun insgesamt gehoben werden, und damit ihre Installierung gelingen konnte, mußte Gavri Levy erst einmal die alten Mächte des israelischen Sports entmachten.

Die Vertreter des großen bürgerlichen jüdischen Sportverbandes Maccabi hatten sich vor einem Jahr noch quergelegt, und auch die Delegierten, die den aus der Arbeitersportbewegung kommenden Hapoel beim israelischen Fußballverband vertraten, stimmten nicht geschlossen für Levys Plan. Maccabi und Hapoel sind noch in allen Gremien vertreten, sie sind noch Namensgeber der meisten Vereine - neben ihnen gibt es noch die kleinen, religiösen und politisch konservativen Verbände Elizur und Beitar -, aber die Macht liegt schon lange nicht mehr bei ihnen. Das Sagen im Berufsfußball haben die Clubbesitzer, die selbstverständlich die Premier League-Pläne von Beginn an unterstützten.

Das Aufbäumen der einst machtvollen, mittlerweile aber beinahe bedeutungslosen Verbände Maccabi und Hapoel bewirkte nur eine Verzögerung der kapitalistischen Modernisierung des Spielbetriebs. Statt der sofortigen Reduktion der alten 16er Liga auf zwölf Vereine, gibt es zunächst den Zwischenschritt von 14 Clubs in Israels oberster Spielklasse.

Am Ende dieser Entwicklung wird es drei landesweite Zwölfer-Ligen geben, womit auch die internationale Anziehungskraft des israelischen Berufsfußballs gesteigert werden soll. In den letzten Jahren wurden die vier bis fünf israelischen Spitzenclubs nämlich attraktive Arbeitgeber vor allem für osteuropäische Spieler. Etwa den ungarischen Nationalspieler Istvan Pisont: Bis 1998 kickte er beim damaligen Meister Beitar Jerusalem, ein Angebot des deutschen Zweitligisten Eintracht Frankfurt aus dem Jahr 1997 hatte er abgelehnt. Erst 1998 wechselte er in die Bundesliga, als Eintrachts Aufstieg sichergestellt war. Dort setzte er sich allerdings nicht durch und spielt nun bei Israels Pokalsieger Hapoel Tel Aviv.

Ein israelischer Uefa-Cup-Teilnehmer ist für einen modern denkenden europäischen Profi attraktiver als ein deutscher Fastabsteiger, der international nicht präsent ist. So läßt sich Pisonts deutsches Gastspiel interpretieren, zumal Pisont als Mittelfeldregisseur von Hapoel weiter im Beobachtungsfeld europäischer Spitzenvereine kicken wird.

Israels Sportjournalisten aber, so ist zu vermuten, werden kaum müde werden, eine schwer seriöse internationale Rangliste der besten Fußballvereine Europas ausfindig zu machen, die unter den Top Ten mindestens zwei israelische Clubs führt.