Wahlen zum Europa-Parlament

Kreuze an der Heimatfront

Wenn der Krieg wäre wie die Europawahl, hätte alles anders laufen können: Keiner wäre hingegangen. Da aber Calais, Köln, Como, Cordoba, Coventry oder Kopenhagen nicht im Kosovo liegen, wurde das Parlament in Strasbourg nicht durch Nato-Befehl, sondern nach komplizierten Berechnungen und Länderproporz gewählt.

Mit einigen Überraschungen. Die wichtigste: Im linksrheinischen Strasbourg sind die Rechten zur stärksten Fraktion geworden. Da freuen sich die Konservativen in ganz Europa, denn wer möchte nicht gerne neben Nana Mouskouri sitzen. Daß das Europäische Parlament ohnehin wenig zu Sagen hat, dürfte die Sozis kaum trösten.

Fakt ist: Der Coup von Schröder und Blair, den sozialdemokratischen Parteien in Europa kurz vor der Wahl ein marktliberales Lifting zu verpassen, hat den Sozis wenig genützt. Sie sind nunmehr nur noch zweitstärkste Fraktion. Daraus allerdings abzuleiten, die Europäer und Europäerinnen von Helsinki bis Lissabon, von Dublin bis Iraklion würden das smarte Protestantenduo mit Neuer Mitte und New Labour ablehnen, wäre wohl genauso gewagt wie die Behauptung, in Deutschland gäbe es eine signifikante Stimmung gegen den Krieg, bloß weil die PDS - die unter anderem mit Antikriegsparolen in den Wahlkampf gezogen ist - über die Fünfprozenthürde kam.

Schließlich haben die deutschen Wähler und Partei abgesagt. Während die Grünen-Funktionäre noch im Vorfeld der Wahl das Schlimmste befürchteten und wegen der erwarteten Abstinenz in Strasbourg noch einmal vehement einen Posten bei der Brüsseler EU-Kommission forderten, hat das Stimmvolk an der Heimatfront seine Pflicht getan: Dem Fischer-Fanclub können die wenigen Dissidenten egal sein.

So ist es immer bei Wahlen: Diejenigen, die im täglichen Leben vom herrschenden System - diesmal dem europäischen - profitieren, zeigen sich ziemlich undankbar. Vergessen sind längst die Brüsseler Hilfen für ostdeutsche Betriebe und für bayerische Bauern: Die erklärten Euro-Skeptiker von der PDS und der CSU zählen zu den klaren Gewinnern der Europawahl.

Anders in Österreich: Die Partei von Jörg Haider hat deutliche Verluste hinnehmen müssen. Auch in Italien und Frankreich haben die bürgerliche und die extreme Rechte massiv an Stimmen verloren. Silvio Berlusconis Forza Italia, der vor der Wahl noch ein überragender Sieg prophezeit worden war, wurde zwar stärkste Partei; sie muß sich aber mit fünf Sitzen weniger begnügen.

Aber in Großbritannien - wo sich nicht einmal ein Viertel aller Stimmberechtigten für Strasbourg interessierte - haben die europa-feindlichen Tories gewonnen. Das Pfund ist stark, Brüssel jenseits des Kanals und Blair ein Verräter, weil er den Briten solch komplizierte Dinge wie das Verhältniswahlrecht beschert hat. Und das, wo doch die Welt des Mehrheitswahlrechts so einfach ist: say yes or say no, nur einer kann gewinnen. Oder eben auch nicht.

Auf dem Kontinent war man cleverer: Ob deutsch-, französisch- oder flämischsprachig - in Luxemburg und Belgien mußte jeder und jede den Wahlzettel zumindest lesen; hier herrscht Wahlpflicht. Die Staatsbürger zu ihrem Glück zu zwingen, brachte immerhin eine - in der ganzen Union beispiellose - Wahlbeteiligung von rund 90 Prozent. Renitent die Griechen: Trotz Wahlpflicht gingen nur zwei Drittel ihre Zettel falten.

Und das Fazit? So europäisch wie die Europawahl vorgibt zu sein, ist sie lange nicht: Auf dem Zettelchen in Deutschland konnte wieder einmal nur der übliche nationale Unsinn - Naturgesetzpartei, die Partei der Autofahrer, die der Tierschützer, der Rentner, der bibeltreuen Christen oder andere Splittergruppierungen wie die FDP - angestrichen werden. Keine Möglichkeit, die radikalen griechischen Kriegsgegner um Jutta Ditfurth, französische Trotzkisten, die gespaltene Vereinigte Linke Spaniens oder Rifondazione Comunista auf einen der deutschen Sitze im EU-Parlament (immerhin 99 von 626) zu hieven.

Aber das Enttäuschendste an diesem Wahlabend war noch, daß die Berliner FDP nicht einmal in der Lage war - entgegen ihrer großspurigen Ankündigung auf der Presse-Einladung - etwas Gezapftes und Gegrilltes für ihre wenigen Anhänger und Anhängerinnen zu spendieren. Dabei weiß doch jedes Kind, daß man nicht am falschen Ende sparen sollte: Hätten die Wahlen kein H, wären sie vom Aussterben bedroht.