Siemens na Wostok

Weil in Osteuropa gute Geschäfte warten, will Bundeskanzler Schröder Kredite für die deutsche Atom-Industrie locker machen

"Krach muß sein." Die Vorstandssprecherin der Grünen, Antje Radcke, nimmt den Mund noch voll. Das Problem: Kredite für zwei ukrainische Atomreaktoren, die sowohl die Grünen als auch die SPD-Bundestagsfraktion ablehnen, Bundeskanzler Gerhard Schröder aber genehmigen möchte.

Radcke dazu: Die Regierungsparteien hätten den Atomausstieg in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Wenn man jetzt Kredite für neue Atommeiler gäbe, werde man absolut unglaubwürdig, so Radcke. In der nächsten Woche wird es ernst: Am 23. Juni wird sich die rot-grüne Koalitionsrunde mit dem Thema beschäftigen.

Das Thema ist heikel, denn mit von der Partie sind Vertreter derjenigen, gegen die Schröder keine Politik machen möchte: die deutsche Wirtschaft. Der Siemenskonzern jedenfalls drängt auf staatliche Unterstützung seiner nuklearen Interessen in Osteuropa.

Der vorgeschobene Grund: "Die nüchterne Erkenntnis ist, daß es nicht in der Hand der westlichen Länder liegt, über die Abschaltung von Reaktoren in Osteuropa zu entscheiden", schrieb Siemens-Chef Heinrich von Pierer bereits im Januar an die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW.

Das ist einigermaßen fadenscheinig, denn im Falle der Ukraine waren es sehr wohl die westlichen Industriestaaten, die die Ukraine 1995 dazu drängten, als Ersatz für den noch laufenden Atomkraftwerksblock in Tschernobyl zwei Atomkraftwerksblöcke fertigzustellen. Die finanzschwache Ukraine wollte sich vom Westen hingegen ein risikoarmes Gaskraftwerk finanzieren lassen.

Das geht unter anderem aus einem Schreiben des ukrainischen Präsidenten Kutschma vom 17. Mai 1998 an die westlichen Regierungschefs hervor: "Während der Verhandlungen mit der Gruppe der sieben reichen Staaten (G 7) 1995 über die Schließung von Tschernobyl hat die Ukraine den Bau eines Gas- und Dampfkraftwerks vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt zugunsten der dringenden Empfehlung seitens der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), daß wir den Bau der Atomkraftwerke Rowno-4 und Khmelnitzki-2 fertigstellen."

Mit der Unterzeichnung eines "Memorandum of Understanding" im Jahr 1995 legte die G 7-Gruppe die Ukraine schließlich auf den Atomkraftwerksbau fest. Dieses Papier kam "auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs" zustande, wie das Bundesfinanzministerium am März an die IPPNW schrieb. Das besondere Engagement Deutschlands und Frankreichs erklärt sich aus dem Interesse der deutschen Siemens AG und des französischen Reaktorbauers Framatome, die beiden Atomkraftwerke - gemeinsam mit dem russischen Atomministerium - fertigstellen zu können. Siemens und Framatome kooperieren bereits seit vielen Jahren bei der Nachrüstung von westlichen und osteuropäischen Atomkraftwerken.

Siemens drängt die Bundesregierung übrigens nicht nur, einen Kredit bei der EBRD zu unterstützen. Siemens bemüht sich in Bonn auch um die Vergabe von Hermes-Bürgschaften, um weitere Bankkredite für das Atomgeschäft zu erhalten.

Wie in der Ukraine möchte Siemens auch in Rußland zwei Atomkraftwerksblöcke des Typs WWER-1000 fertigstellen: Rostow-1 und Kalinin-3. Weiterhin fehlt für den Bau des Prototyp-Reaktors WWER-640, den Siemens gemeinsam mit der russischen Atomwirtschaft entwickelt hat und in der Nähe von Sankt Petersburg errichten möchte, jede Menge Geld.

Das ambitionierteste Projekt der deutschen Atomschmiede ist der geplante Bau eines "Europäischen Druckwasser-Reaktors (EPR)" mit einer Leistung von 1 750 Megawatt am westrussischen Standort Smolensk. Dort stehen bereits zahlreiche Reaktoren vom Tschernobyl-Typ. Der teure Großreaktor könnte allenfalls dann über Bankkredite vorfinanziert werden, wenn anschließend Atomstrom nach Deutschland importiert wird.

Siemens-Pressesprecher Wolfgang Breyer im März dieses Jahres: "Ich kann mir vorstellen, daß Rußland, wenn es dann zum Bau eines EPR in Rußland kommen sollte, Stromlieferungen in den Westen erbringen möchte, um seinen Anteil an der Investition zu bezahlen."

Vom möglichen EPR-Standort Smolensk hat Siemens bereits den Bau einer Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) über Warschau bis Berlin und Kassel geplant. Mit der voraussichtlichen Übertragungsleistung von 4 000 Megawatt ließe sich dann neben dem EPR-Strom auch noch Strom aus den in Smolensk betriebenen vier Reaktoren vom Tschernobyl-Typ nach Deutschland importieren. Vom litauischen Reaktor Ignalina baut Siemens bereits eine Stromtrasse in den Westen.

Auch in der Frage der Atomkredite stehen die Chancen für Siemens nicht schlecht. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Karl Diller, machte bereits im März deutlich: "Es liegt im Interesse der Bundesregierung, daß sich deutsche Exporteure an der Erhöhung der Sicherheitsstandards bei Kernkraftwerken beteiligen, wenn die betreffenden Staaten ihre Entscheidung zur Modernisierung älterer Kraftwerke getroffen haben."