Kapitulation, theoretisch und konkret

Die antideutsche Linke und ihr Desaster im Kosovo-Krieg.

"Führt der deutsche Sonderweg immer noch schnurstracks von 1914 über 1941 bis nach 1999?" fragten wir zu Beginn des Krieges gegen Jugoslawien Vertreter der antideutschen Linken. Deren Auseinandersetzungen mit dem Krieg in der Jungle World und in anderen Medien haben, so Gerhard Hanloser, die Schwächen ihrer historischen und politischen Analyse offenbar gemacht. Wir setzen die Diskussion in den kommenden Ausgaben der Jungle World fort. (Red.)

Die antideutsche Linke hat angesichts des Kosovo-Krieges versagt. Ihre falschen Positionen und Theorien bewegen sich auf dem Niveau der armseligen deutschen Verhältnisse, was anzeigt, daß die Linke hier außerstande ist, kollektiver Kritiker dieser Gesellschaft zu sein.

War die deutsche Linke der siebziger und achtziger Jahre in weiten Teilen antiamerikanisch und antizionistisch-antisemitisch, so hat sich nach der deutschen Wiedervereinigung und den Pogromen von Rostock und Hoyerswerda in Abgrenzung zu dieser Geschichte eine antideutsche Linke etabliert, die allerdings auch nur über milieubedingte Codes ihre Meinungen und Bekenntnisse aufrechterhält.

Darüber hinaus ist sie immer davon bedroht, von ihrer eigenen Vergangenheit in K-Gruppen und antiimperialistischen "Zusammenhängen" eingeholt zu werden, was Diskussionen mit antideutschen Wortführern sehr schwer macht, da sie nicht mit ihrem Gegenüber streiten, sondern mit ihren (verdrängten) früheren Positionen kämpfen.

Der Kosovo-Krieg ist ein Krieg, wie ihn sich ein relevanter Teil der sogenannten Antinationalen, wahlweise auch Antideutsche genannt, eigentlich gewünscht haben müßte. Das mag auf den ersten Blick unverständlich und absurd vorkommen, scheinen doch die Antideutschen diejenigen zu sein, die am vehementesten gegen die Instrumentalisierung von Auschwitz für den aktuellen Krieg anschreiben. Doch Antideutsche wie nationale Linke brauchen sich gegenseitig.

Während die Verantwortungsethiker mit obszöner Offenheit Auschwitz als Mittel einsetzen, um Kriege gegen "Ähnliches" auch in Zukunft zu führen, scheint sich bei den Antideutschen der Verweis auf die Vergangenheit längst verselbständigt zu haben. Wie anders ist Tjark Kunstreich (konkret, Nr. 6/99) zu verstehen, wenn er behauptet, die Wahrheit über den Krieg (nämlich Deutschlands Rolle) sei "(nicht nur) in diesem Falle eine (...), die nach Auschwitz verweist"?

Davon abgesehen war die Ablehnung der Instrumentalisierung von Auschwitz nicht immer Konsens unter Antideutschen: Während des zweiten Golf-Kriegs wurde der Kriegsopposition von dieser Seite vorgeworfen, sie habe nicht die zwingenden Lehren aus der Geschichte gezogen, welche sich eben nicht nur in "Nie wieder Krieg" erschöpfen dürften, sondern "Nie wieder Auschwitz" heißen müßten. Die antideutsche Linke bildete damals die Speerspitze derjenigen, für die Auschwitz eine jederzeit abrufbare Chiffre wurde, um für den damals noch nicht "humanitär" begründeten, sondern "antifaschistisch-antideutschen" Krieg zu trommeln.

Weil die Alliierten während des Zweiten Weltkrieges keinen einzigen Bomber aufgetankt haben, um die Gleisanlagen nach

Auschwitz zu bombardieren, wollten Wortführer der konkret-Linken wenigstens dieses Mal die Raketen auf Bagdad mit dem anti-antisemitischen Gruß "Good bye, Saddam" verzieren. Ungeachtet der finanziellen und logistischen Unterstützung Deutschlands für die Alliierten des zweiten Golf-Kriegs, wurde der Regierung wie der Friedensbewegung vorgeworfen, zu "feige" für diesen gerechten Krieg zu sein, und die Tatsache, daß die Kohl-Regierung nicht voll gleichberechtigt an diesem Krieg teil hatte, wurde als Sonderweg kritisiert.

In ähnlicher Weise wie bereits Jürgen Trittin mit seiner antideutschen DM-Polemik versuchte, die Linke auf neoliberalen Euro-Kurs zu bringen, begründete nun auch Schröder, der zu seinen atlantischen Freunden steht, wie Boris Jelzins Sauna-Freund Kohl es nicht vermocht hätte, die deutsche Beteiligung am Nato-Krieg mit "Nie wieder Sonderweg". Die Antideutschen haben gekriegt, was sie wollten: imperialistische Normalität und eine zweite ideologische Westbindung Deutschlands (natürlich tobt auch ein innerimperialistischer Kampf zwischen EU-Deutschland und den USA, aber wenn der Kosovo-Krieg eines gezeigt hat, dann doch wohl das vereinte militärische Vorgehen der wirtschaftlich und politisch konkurrierenden kapitalistischen Staaten).

An einer Militarisierung des linken Diskurses und am Angriff auf den radikalen Defätismus, der die internationale Arbeiterbewegung einte, als man von ihr noch sprechen konnte, war die antideutsche Linke führend beteiligt. Die antideutsche Gruppe ak kassiber wollte "das bekenntnis zur politik der alliierten" als "essential" zukünftiger Politik und Kritik festhalten, und Matthias Küntzel erklärte die Frage "Wie hältst du's mit Bomber-Harris?" zum Lackmustest für die Linke; ein diskursiver Tiefpunkt, über den heute noch britische Freunde und Genossen, denen dies geschildert wird, lachen müssen.

Tjark Kunstreich will heute noch nicht wahrhaben, daß Auschwitz der letzte Grund für den US-amerikanischen Kriegseintritt in den Zweiten Weltkrieg war und kritisiert die neue Linke nach 1968: "Unterstellt wird, daß die Alliierten den Krieg nicht wegen Auschwitz führten, sondern weil sie eigene Interessen durchsetzen wollten, wie es dann in der BRD und der DDR der Fall war. Im allgemeinen folgte dieser Darstellung eine antiamerikanische Tirade gegen die Reeducation und gegen Hollywood, verbunden mit Hinweisen auf den Völkermord an den Indianern und dem Satz 'Jedes Land hat seinen Holocaust'." (konkret, Nr. 6/99)

Nähme er nur mal ein Buch eines linken sogenannten revisionistischen US-Historikers in die Finger, würde Tjark Kunstreich vielleicht diese ideologische Sichtweise, die von den antikommunistischen Traditionalisten abgeschrieben sein könnte, revidieren und nebenbei noch sehen, daß der US-Kriegseintritt mit dem Weltmarkt eine Menge, mit der Gründung von BRD und DDR aber gar nichts zu tun hatte (und dies folglich auch der dümmste 68er nicht behauptete).

Wenn Justus Wertmüller in der Jungle World, Nr.23/99, wieder die so stalinistische wie falsche Logik "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" auspackt, mit serbischen Nationalisten keine Probleme hat und seit neuestem "Antinationalismus" deswegen verdammt, weil dies eine prinzipielle Staats- und Nationenkritik zur Folge haben könnte, die der Logik der Positionierung zugunsten einer Kriegspartei entgegenläuft, so ist das Ende der Fahnenstange erreicht.

Zu was, fragt man sich rückblickend, hat man sich nicht schon alles bekennen müssen, wenn es nach den Wortführern der Antideutschen ginge? Aufmerksame Leserinnen und Leser der Publikationen konkret, Jungle World oder der alten jungen Welt, sind die Schauplätze der Kämpfe noch wohlbekannt: Die deutschen Linken sollten mit den englischen Tories gegen die verrückten Iren antreten, mit den Sowjets gegen die Afghanen, mit den türkischen Militärs gegen PKK und Islamisten und mit Jelzin gegen die Tschetschenen. Als besonders engagierte Kriegstrommler taten sich Jürgen Elsässer und Justus Wertmüller hervor. Vernunft versus Barbarei und Nationalstaat versus Sezessionismus lautete ihrer Meinung nach der immerwährende casus belli.

Vor diesem Hintergrund und mit dieser Analyse ist es allerdings reiner Zufall, daß die antideutschen Agitatoren mal für oder mal gegen einen imperialistischen Krieg sind; die Gründe, die sie angeben - und das läßt sich mit Sicherheit sagen -, sind allerdings meistens falsch. Eine scharfe Verurteilung des Kosovo-Krieges konnte einigen Exponenten der Antideutschen allem Anschein nach nur dann gelingen, wenn die Rolle Deutschlands besonders groß gezeichnet wurde. Die "Analysen" gingen hierbei weit über die linke Selbstverständlichkeit hinaus, daß der Hauptfeind im eigenen Land stehe. Deutschland habe die USA in diesen Krieg hineingezogen und plane - deutsche List der Vernunft - die Delegitimierung und "Zerschlagung der Nato als letzte Bastion der europäischen Nachkriegsordnung" im Interesse eigener Machtambitionen (Thomas Becker, "Good bye, America!", Jungle World, Nr.16/99).

Die Weigerung, den zivilgesellschaftlichen Menschenrechts-Imperialismus, an dem Deutschland nun souverän teil und mit Ludger Volmer, Joseph Fischer und Angelika Beer auch die passenden Charaktermasken anzubieten hat, zur Kenntnis zu nehmen und auf die krisenhafte Situation der kapitalistischen Weltgesellschaft zu beziehen, korrespondiert mit der Dichotomie westlich-aufgeklärte Gesellschaften hier und völkisch-barbarische dort, wobei Deutschland letzterem zugeschlagen wird.

Die Erfahrungen mit dem Golf-Krieg provozieren die Frage, was die Antideutschen tun würden, wenn ein vertragsbrüchiger, "anti-zivilisatorischer" arabischer Despot, nur weil er IWF-Kredite nicht zurückzahlen will und kann, den Panarabismus durch eine Bedrohung Israels aktiviert und das Schröder- oder Schäuble-Deutschland gegen diesen Despoten an der Seite der keineswegs delegitimierten Nato eingreift? Die antideutschen Dichotomien würden hier zu einer Aporie führen.

Zu erwarten ist eine linke Variante des clash of civilizations, die sich bereits in den zuweilen rassistischen Ausführungen über den Kosovo-Albaner gezeigt hat: "Alles Dealer", weiß Jürgen Elsässer zu berichten, deren Anblick obendrein "bei albanischen Mädchen weiche Knie verursachen" sollte, wie Thomas Becker in der bahamas, Nr.28/99, ergänzt. Außerdem vermehren sie sich wie die Karnickel, kann vielleicht Wolfgang Pohrt irgendwann nachschieben, wenn er seine Studien zum Flüchtling als Prototypen des Turbokapitalismus beendet hat (Vorarbeiten und Hypothesen zu diesem Thema sind in konkret nachzulesen).

Sollte die Krise der kapitalistischen Weltgesellschaft weiter voranschreiten und Mord, Raub und Vertreibung dort hervorbringen, wo die Reproduktionsmöglichkeit der Leute in ein prekäres Stadium eintritt, werden sich diese Antideutschen schnell an ihre zivilgesellschaftlichen Freunde wie Trittin und Clinton anschmiegen. Die Kritische Theorie, die unter Antideutschen en vogue ist und mit deren Hilfe menschenrechtlich begründeter Imperialismus und krisenbedingte ethnizistische Barbarei als sich gegenseitig bedingende Bestandteile der kapitalistischen negativen Totalität beschrieben werden könnten, wird dann schnell vergessen sein.

Gerhard Hanloser studiert in Freiburg. In der Jungle World hat er mit Karl Heinz Roth über neue Konzepte gegen prekäre Arbeit diskutiert (Nr. 40/98).