Messias 2000

Melvin Jules Bukiets Millenniums-Trouble-Roman "Zeichen und Wunder"

Der Umschlag zeigt eine Christusfigur, deren ausgebreitete Arme zu Insektenflügeln verfremdet sind. Das neue Testament als Fantasygeschichte?

"Gott ist das Problem." Spitzeneinstieg. Wir befinden uns im Deutschland des Jahres 1999. Es ist Spätherbst. Die Jahrtausendwende naht. Doch es sieht nicht so aus, wie es aussieht, wenn man in Berlin oder sonstwo aus dem Fenster schaut. Für Melvin Jules Bukiet ist das Deutschland von heute ein ferner Planet. Und ein ziemlich schräger dazu.

"Zeichen und Wunder" heißt sein Buch. Der Titel ist Programm. Grund und Boden sind mit Zeichen der Vergangenheit gesättigt. Oder doch eher: kontaminiert. Die Welt, in der dies Deutschland sich herumtreibt, ist eine Welt der Wunder, eine gnadenlos mythisch überhöhte Millenniumswelt.

Wie schon im Romandebüt "Danach" bedrängt Bukiet uns derart mit Klischees, Bildern und Stereotypen, aber auch mit intertextuellen Bezügen, daß es ein Vergnügen ist. Als wolle er Walter Benjamins Miniatur vom "Engel der Geschichte" illustrieren, häuft Bukiet unablässig Trümmer auf Trümmer und schleudert sie uns vor die Füße. So ziemlich alles, was er an durchgeknalltem religiösem Kram finden kann, ist dabei; von Kapitalismus bis Schamanismus. Eine Ruinenlandschaft entsteht, eine apokalyptische Atmosphäre. Immer wieder Anspielungen auf Biblisches.

Der als Moslem geborene Hammurabi wird auf ein Gefängnisschiff in der Ostsee verfrachtet. A place of no return. In seiner Zelle befinden sich zwölf Mitgefangene. In einem Sturm reißt das Schiff sich los, treibt im Meer. Dann geschieht ein Wunder. Ein unscheinbarer Gefangener, Ben Alef, erweist sich als Retter. Der Sturm legt sich, der Himmel klart auf. Ein ebenso einfältiger wie phantasievoller Fischer sieht die dreizehn übers Wasser gehen. Nun ist alles klar, der Messias ist gekommen, und der bringt mit seinen zu Jüngern avancierten kriminellen Leidensgenossen die Gesellschaft sehr erfolgreich durcheinander.

Der endgültige Durchbruch gelingt aber erst, als die Öffentlichkeit Kenntnis von Ben Alefs Judentum, inklusive seiner Überlebenden-Biographie, bekommt. Dieser Wendepunkt wird von Bukiet ganz beiläufig erzählt. Der schweigsame Ben Alef sagt bei seiner Festnahme genau vier Worte: "Ich bin ein Jude." Das J-Word verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Und keine Anstrengung, keine Enthüllung kann den Siegeszug stoppen. Die Auschwitz-Tätowierung ein Fake? Die Führungspersönlichkeiten allesamt verurteilte Schwerverbrecher? Egal! Ist Erlösung in Sicht, gibt's kein Halten mehr. Wie ein gigantisches Klezmer-Festival.

"Nicht heilen, sondern Wunden aufreißen", lautet Bukiets literarisches Credo. Das gelingt. In beiden Romanen packt er Deutsche und Juden, die er als "zwei Seiten einer Münze" versteht, da, wo's richtig wehtut. "Danach", unmittelbar nach 1945 angesiedelt, wie auch "Zeichen und Wunder", mitten hineingeschrieben in den allseits ausgerufenen Post-Nachkrieg, sind Auseinandersetzungen mit der von Dan Diner diagnostizierten "negativen Symbiose". Bukiet beleuchtet Verfehlungen, maßt sich aber nicht an, einen "richtigen" Weg vorzuschlagen.

Melvin Jules Bukiet ist New Yorker. 1953 geboren, ist er Mitbegründer des literarischen Salons KGB und Dozent am Sarah Lawrence College. Er strahlt freundliche Arroganz aus. Der Sohn eines Überlebenden von Auschwitz lächelt, wenn er sagt, er habe eigentlich nicht nach Deutschland kommen wollen. Er lächelt, während er vorsichtigen Fragen nach den Traumatisierungen der zweiten Generation entgegenpoltert: Nein, geschwiegen wurde da nicht. Bei jedem Kaffeekränzchen dieselben alten Geschichten. Vielleicht macht Bukiet darum so gerne kleine und große Gauner zu Hauptfiguren: Ein KZ war keine Läuterungsanstalt, sagte er anläßlich der Präsentation von "Danach". Wenn jemand vor der Shoah ein schlechter Mensch war, warum soll er es danach nicht auch sein? Bukiets Romane und Statements sind voll von solchen Fragen. Gebündelt ergeben sie die Weigerung, Auschwitz irgendeinen Sinn abzuringen.

"Zeichen und Wunder" liefert sozusagen die Begründung nach, warum Bukiet sich in "Danach" gegen das Bild der Überlebenden als Helden, Heilige und Märtyrer wandte. Indem er Ben Alef durch sein Umfeld zum Messias 2000 werden läßt, zeigt er, wie - mindestens auf der deutschen Seite - der Hinwendung zum Judentum stets die Hoffnung auf Erlösung innewohnt. Bukiets philosemitische Kultur-Yuppies beginnen, sich blaßblaue, äußerst modische Nummern eintätowieren zu lassen. Eigentlich ein Wunder, daß da noch niemand drauf gekommen ist.

Wenn der französische Poststrukturalismus, wie Andreas Huyssen einmal schrieb, "in erster Linie eine Archäologie der Modernität, eine Theorie der Moderne in der Zeit ihrer Erschöpfung" liefert, entwirft "Zeichen und Wunder" das Koordinatensystem des Religiösen in der Zeit, da es sich längst überlebt hat. Der Autor gräbt in Ruinen, entdeckt bizarre Bruchstellen, selbstverständlich ohne aus den historischen Fragmenten eine konsistente Erzählung zu formen.

"Zeichen und Wunder" folgt einer Traditionslinie von Benjamin bis zu Derrida, dabei ohne philosophische Exkurse ziemlich straight erzählt. Eng an der amerikanischen Erzähltradition der letzten Dekaden orientiert, wird Komplexität eher auf inhaltlicher als auf formaler Ebene verhandelt. Ab und zu werden Briefe, losgelöste Dialoge oder Zeitungsnotizen (vorzugsweise aus der FAZ) in den Text gewoben.

Mitunter erinnert Bukiets Stil an die Romane von Thomas Pynchon. Wie in "V" oder "The Crying of Lot 49" werden Figuren vorgeführt, die sich ein Weltbild zusammenbasteln wollen, oder aber ihr geschlossenes Weltbild zu retten versuchen. Man sieht sie scheitern. Das Repräsentationsproblem hat Bukiet längst hinter sich gelassen. Er liefert eine dichte Beschreibung der SciFi-Wirklichkeit des 1999er Deutschland. Wie schon bei "Danach" scheint alles bis auf die Fakten unglaublich wahr. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Helmut Kohl nicht wie im Roman erschossen, sondern bloß abgewählt wurde. A propos Kohl. "Zeichen und Wunder" ist auch als Allegorie auf den nationalen Subtext der Debatte um das Berliner Mahnmal lesbar. Von wegen Erlösung, Berliner Republik und so.

Die Figur des Ben Alef, sowohl durch den Namen als auch durch den beschnittenen Penis eindeutig als Jude beschrieben, wird zum Messias erhoben. Nicht seine Wundertaten, über die wir geschickt im unklaren gelassen werden, machen ihn dazu, sondern der Blick zunächst der Mitgefangenen, dann eines immer größer werdenden Teils der Bevölkerung. Und ihr Glaube. Er dient als Projektionsfläche ihres Begehrens. Nach Klarheit, Sicherheit, Eindeutigkeit.

Dann folgt die Wendung, wenn nämlich die Aleftiten oder "Neuen Juden" marodierend durch Hamburg ziehen, eine Synagoge zerhacken und einen KZ-Überlebenden ermorden. Das Motiv ist klar: Die jüdische Gemeinde erkennt ihr Leitbild, Ben Alef, nicht an. Bukiet spielt mit seiner grotesken Geschichte auf die Geburt des Christentums aus dem Geiste der jüdischen Religion an. Wie gesagt, Gott ist das Problem. Aber mehr noch die Menschen, die sich Gott erst ausdenken, um sich dann darüber zu streiten, wer ihn am besten versteht.

Melvin Jules Bukiet: Zeichen und Wunder. Aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz. Luchterhand, München 1999, 530 S., DM 48