Helden oder Barbaren?

Der Streit um nationale Befreiungsbewegungen und nationalistische Kriegsgegner verkommt zum Stellungskrieg der Linken.

Es war vorauszusehen, daß die Linke nach dem Krieg eine Grundsatzdebatte führen würde - ähnlich wie nach dem Golfkrieg. Schon damals spaltete sie sich in Kriegsgegner und -befürworterInnen, und schon damals ging es mit dem Vorwurf des Antisemitismus um ein linkes Essential. Nach dem Jugoslawienkrieg scheint es nun der Umgang mit Nation und Nationalismus zu sein, an dem sich die "Linke" spaltet.

Der Anti-Nationalismus stellte seit den achtziger Jahren einen der wenigen Kernpunkte linken Selbstverständnisses dar. Einigkeit bestand etwa darüber, daß die internationalistische Solidaritätsbewegung nach 1968 zu unkritisch auf nationale Befreiungsbewegungen gesetzt hatte. Diese hatten sich im Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus häufig auf eine (nationale) Einheit bezogen und dabei nicht selten totalitäre und patriarchale Strukturen nach innen aufgebaut.

Spätestens nach der Befreiung erwiesen sich die Bewegungen nicht mehr nur als national, sondern allzu oft als repressiv. In die klassische Demo-Parole "Hoch die internationale Solidarität" mischten sich seitdem immer häufiger Stimmen, die die "anti-nationale Solidarität" hochleben ließen. Dafür mußten sie sich immer wieder den Vorwurf anhören, ob der Kritik die Solidarität mit dem Kampf gegen die Unterdrückung zu vergessen. Der widerständige sei mit dem herrschenden Nationalismus nicht vergleichbar.

Im Krieg gegen Jugoslawien wurde ein bestimmter Anti-Nationalismus zum wohlfeilen Etikett, aus dem sich keine politische Position mehr folgern ließ. Anti-nationalistisch gaben sich selbst die Kriegsbefürworter, als sie den "serbischen Nationalismus" zu bekämpfen vorgaben. Der Anti-Nationalismus dieser Ausprägung greift nicht die Nation als solche an, sondern nur den vermeintlich "radikalen Nationalismus". Der albanische / kosovarische Nationalismus konnte in dieser Logik als Menschenrecht abgefeiert werden, der deutsche und jeder "gemäßigte" andere selbstverständlich auch. Insofern trifft die Kritik von Antideutschen zu, diese Form des Anti-Nationalismus bedeute Krieg. Sie verwiesen auch zu Recht darauf, daß es erste Linkenpflicht gewesen wäre, gegen den deutschen Krieg zu agitieren, anstatt ausgebombte JugoslawInnen über ihren Nationalismus zu belehren und sich von jugoslawischen Nationalisten zu distanzieren, als diese auf Antikriegsdemos Fahnen schwenkten und Konterfeis von Milosevic spazieren trugen. Ansonsten führt ihr "Germans first" jedoch in allerhand argumentative Absurditäten, weil dabei die fundamentale Kritik an ethnischer Identitätsbildung und an Nation vergessen wird.

Obwohl die Antideutschen als Fraktion der radikalen Linken unter anderem aus der Kritik am klassischen Antiimperialismus hervorgegangen sind, ergeben sich mit diesem - im Kontext des Krieges gegen Jugoslawien - frappante Übereinstimmungen. Während für die Antiimps der US-Imperialismus der ewige Hauptfeind bleibt, ist den Antideutschen die Kritik an der deutschen Nation der absolute Fixpunkt ihres Denkens: "Der Hauptfeind ist das eigene Land" (so die Ankündigung einer antideutschen Konferenz am 2. Oktober 1999 in Berlin).

So richtig die Orientierung radikaler Kritik auf die deutschen Verhältnisse ist, so fatal ist es, dies in einer binären Logik zu tun, die nur noch zwischen Deutschland und seinen Freunden (die 68er Linke, die Kosovo-Albaner etc.) auf der einen Seite und seinen Gegnern (Antideutsche, Jugoslawien, Israel) auf der anderen Seite unterscheiden kann. Dies führt soweit, daß paradoxerweise ethnisierende und kulturalistische Projektionen fröhliche Urstände feiern. Selbst an rassistische Stereotype grenzende Kategorisierungen bleiben nicht aus, etwa wenn Justus Wertmüller von "barbarischen Formationen wie der bosnischen Muslims, Kroaten und Kosovo-Albaner" spricht - ohne zwischen UCK, ihren Imaginationen einer kosovarischen Nation und der Bevölkerung des Kosovo zu unterscheiden.

Antiimps stilisieren die befreiungsnationalistischen Bewegungen zum revolutionären Subjekt, Antideutsche dämonisieren sie und essentialisieren sie zum Mordkollektiv. Beiden gemein ist, daß sie die Konstruktion eines nationalen Kollektivs nicht angreifen.

Soll die Debatte um den Jugoslawienkrieg nicht zum Stellungskrieg der Linken verkommen, lohnt es, sich einiger grundsätzlicher Fragestellungen anzunehmen: So bedarf es einer Debatte über das Wesen des deutschen Nationalismus und der deutschen Nation im ausgehenden 20. Jahrhundert. Teile der radikalen Linken, insbesondere des Antifa-Spektrums, sind noch immer in geradezu verschwörungstheoretisch anmutenden Vorstellungen gefangen, in denen Nazis, politische Klasse und Großkapital zu einem neofaschistischen Block verschmelzen. Auch wenn die Positionen der Antideutschen erheblich differenzierter sind, so weisen ihre Aussagen auf die Frage, was deutsch ist, erhebliche Leerstellen auf. So z.B. bei Joachim Bruhn (Jungle World, Nr. 26/99), der das "typisch Deutsche", "sein ganz besonderes Programm" und seinen "abgründige(n) Zynismus" zum zentralen Kriterium seiner Analyse macht, ohne dabei näher zu erläutern, worin es außer Expansionsdrang besteht. Die deutsche Nation wird in wenig materialistischer Herangehensweise zu einem überhistorischen Phänomen essentialisiert, dessen Existenz in einem Zirkelschluß allein mit dem Rekurs auf "deutsche Ideologie" begründet wird. Die Frage, was den Nationalismus eines Schröder oder Fischer vom nationalsozialistischen Programm unterscheidet, kann damit nicht beantwortet werden.

Auch der Gegensatz republikanischer versus völkischer Nationalismus ist ein nur bedingt taugliches Analysemuster. Der völkische Nationalismus, wie er im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht verankert ist, sieht "Blutsbande" zwischen den Mitgliedern der Nation, während der republikanische sich auf die Französische Revolution beruft und die "Gleichheit" aller Staatsbürger, unabhängig von ihrer Sprache oder "Ethnie", betont.

Im Falle Jugoslawiens wird das dortige republikanische Staatsbürgerrecht gerne als Grundlage einer multikulturellen Gesellschaft interpretiert. "Ich würde nach wie vor behaupten", so Jürgen Elsässer im Jungle World-Interview, "Jugoslawien war bis zum Schluß, bis der Krieg alles suspendiert hat, ein multinationaler Staat, der die individuellen Menschenrechte für alle seine Staatsbürger gewahrt hat." "Die Albaner" dagegen gelten in diesem Sinne als Verfechter völkischer Ideologie, als Inbegriff der "Barbaren".

Dieser Versuch den jeweiligen Nationalismus zu bewerten, ohne sein Verhältnis zum jeweiligen Staat zu beachten, verzerrt den Blick. Selbstverständlich beziehen sich die Vertreter der serbischen Mehrheit auf den jugoslawischen Staat, um die "nationale Einheit" zu sichern. Nichts anderes macht der türkische Staat, wenn er kurdische Menschen zu "Bergtürken" erklärt, oder hat der spanische Staat unter Franco getan, als er Katalanen ihre Sprache verbot. Diese Vereinheitlichung für den Schritt zur "Gleichheit" im Sinne der Französischen Revolution zu erklären, ist Unfug.

Auf der anderen Seite ist der albanische Rückgriff auf das "Volk" nur in Zusammenhang mit dem Fehlen eines eigenen Staates zu erklären. Wer sich nationalistisch gibt, aber keinen Staat hat, greift auf die "völkische Identität" zurück. In der Regel (Deutschland ist eine der Ausnahmen) bezieht sich also die Mehrheitsbevölkerung auf die "Nation", die Minderheit dagegen auf das "Volk". Bei Bürgerkriegen wie in Jugoslawien wird das Modell des republikanischen Nationalismus ohnehin zur Farce. Denn die Parteien definieren sich nicht mehr als Mitglieder einer Nation, sondern als Teile unterschiedlicher "Völker". So kann zwar ein jugoslawischer Nationalismus republikanische Züge haben, ein serbischer aber ebensowenig wie ein kroatischer oder albanischer.

Daran schließt sich die Frage an, welche Formen die Solidarität mit den Unterdrückten, Kolonisierten oder Bombardierten annehmen soll und wo die Grenzen zur unkritischen Fraternisierung liegen. Die in der Solibewegung bis heute dominante Tendenz, jede selbstethnisierende Regung im Trikont zu idealisieren, solange sie nur gegen den (US-)Imperialismus geht, wird berechtigterweise kritisiert. Nur darf dabei der jeweilige historische und politische Kontext nicht ausgeblendet werden. Die indigene Bevölkerung etwa im mexikanischen Chiapas wird durch die Separierung und Marginalisierung seitens der mexikanischen Zentralregierung zwangsethnisiert; daß der Widerstand dagegen auf Identitäten entlang dieser Ethnisierung baut, kann nicht in euro- bzw. germanozentristischer Manier zum Vorwurf erhoben werden.

Ungeklärt ist auch das Verhältnis zur Gewalt im Widerstand gegen die Barbarei. Weder die Erfahrungen mit der Kampagne "Waffen für El Salvador" noch die bellizistische Position mancher radikaler Linker im zweiten Golfkrieg wurden bislang vom antinationalen und antideutschen Spektrum zum Anlaß genommen, ernsthaft zu klären, unter welchen Bedingungen und unter Verwendung welcher Mittel Gewalt zur ultima ratio werden kann, um Gewalt zu verhindern bzw. zu beenden.

Der Jugoslawienkrieg hat nicht nur die zahlenmäßige Marginalität, sondern auch den Mangel an gesicherten Positionen innerhalb der Linken bloßgelegt. Das hat die Antikriegsbewegung und die anschließende Debatte um den serbischen / jugoslawischen Nationalismus vorgeführt. Die Diskussionen um Nation, Nationalismus und die spezifisch deutsche Rolle sind mit dem Waffenstillstand in Jugoslawien nicht zu Ende. Sie zu vertiefen, könnte immerhin heißen, der "anti-nationalistischen" Front beim nächsten Krieg dezidierter entgegentreten zu können.

Die Autoren sind Redakteure der Blätter des iz3w in Freiburg im Breisgau