Schröder im Kosovo

Prost Mahlzeit, Kosovo

Der Balkan wird sozialdemokratisch - unter Führung der Berliner Genossen. Für das Protektorat im Kosovo setzt Gerhard Schröder auf die Nationalmilitaristen der UCK.

Das Recht auf ein "unbehelligtes Leben" hatte der Bundeskanzler nur Stunden vor dem Massaker auch der serbischen Bevölkerung im Kosovo eingeräumt. Ein frommer Wunsch. Kurz nach Schröders Abflug aus der südserbischen Provinz meldeten die Nachrichtenagenturen den bislang größten Zwischenfall seit dem Abzug der jugoslawischen Truppen Mitte Juni. Der Deutsche dürfte froh gewesen sein, die Ermordung von 14 Serben am Freitag vergangener Woche, dem religiösen Feiertag der Muslime, nicht kommentieren zu müssen.

Denn ausgerechnet mit dem Führer der Kosovo-Befreiungsarmee UCK war der Kanzler zusammengetroffen, als er am letzten Freitag als erster westlicher Staatschef in Prizren eintraf. Hashim Thaqi, selbsternannter Ministerpräsident der Provinz, wies zwar jede Verantwortung der UCK für das Massaker nahe der Ortschaft Gracko zurück. Den Verdacht jedoch, Hardliner innerhalb der Separatistenarmee nutzten die Zeit der Uno-Übergangsverwaltung, um das Kosovo weiter in Richtung Unabhängigkeit zu treiben, konnte er nicht ausräumen.

"Morde, Entführungen und Vertreibungen, angezündete Häuser und Plünderungen finden tagtäglich statt - eindeutig kriminelle Handlungen", hatte schon vor Wochen Sergio Vieira de Mello, damals noch Uno-Übergangsverwalter, Kosovo-Albaner für die nicht enden wollende Serie von Übergriffen auf die serbische Bevölkerung verantwortlich gemacht. Sein Nachfolger Bernard Kouchner kritisierte nach dem Massaker von Gracko, daß "die Welt nicht interveniert" habe, "um das Kosovo vor Rache und Intoleranz zu sichern". Von den einst 230 000 Serben leben inzwischen nur noch 130 000 in der Provinz.

Der Massenexodus kommt alles andere als überraschend. Spätestens mit dem Einzug der Kfor-Truppen in das Kosovo haben die Vertreibungen begonnen - ohne daß die Nato-Streitmacht sich dem entgegengestellt hätte, und zumindest mit Billigung der UCK. Daß Schröder nun gerade Thaqi zum Gespräch traf, ist da nur konsequent. Als Garant für die von Deutschland geforderte Art der Stabilität auf dem Balkan dürfte die UCK der beste Partner sein: Weiterhin stehen ihre Kämpfer unter Waffen, die Deadline für die erste Phase der Demilitarisierung lief letzte Woche ab, ohne daß die von der Nato zu Beginn ihres Einmarschs gestellten Bedingungen erfüllt wären. Immer noch patrouillieren Männer in UCK-Uniformen, nach wie vor stellt die "Befreiungsarmee" das größte Sicherheitsproblem in der Provinz dar - ohne daß die Kfor-Truppen den Demilitarisierungsplan durchsetzen: "Natürlich rechnen wir nicht damit, daß die UCK all ihre Waffen einreichen wird", zitierte der britische Guardian einen Kfor-Offizier.

Massaker an Kosovo-Albanern: Kriegsgrund für die Nato. Massaker an serbischen Zivilisten: kein Grund zu größerer Besorgnis. Schon gar nicht für den Kanzler. Daß Ibrahim Rugova - von der kosovo-albanischen Bevölkerung in den letzten sieben Jahren immerhin zweimal zum Präsidenten gewählt - das Stelldichein mit Schröder gar nicht erst annahm, dürfte den Bundeskanzler nicht sonderlich gestört haben. Schließlich geht es ihm und der Europäischen Union bei der Befriedung der Provinz nicht um den Rückhalt der politischen Repräsentanten in der Bevölkerung, sondern um die Annahme der EU-Bedingungen durch ihre jeweiligen Statthalter. Thaqi ist dafür das beste Beispiel: Seinen rasanten Aufstieg zum wichtigsten einheimischen Politiker hätte der 31jährige ohne die Bereitschaft zur Bevormundung nie geschafft.

So scherte es Schröder wenig, daß Thaqi als Vertreter der militantesten Kräfte in der Provinz weiterhin auf die Vertreibung der Serben setzt. Ebensowenig kümmerte Schröder sich um die Proteste der Belgrader Regierung, die ihm vorwarf, als ausländischer Regierungschef das jugoslawische Staatsgebiet - zu dem das Kosovo nach wie vor gehört - ohne Anmeldung betreten zu haben. Und auch das Mandat der Vereinten Nationen interessierte den Bundeskanzler nicht. Die wollen nämlich von einem UCK-Ministerpräsidenten nichts wissen. "Damit das klar ist: Thaqi steht für die UCK, nicht für die Regierung", hatte de Mello schon Anfang des Monats klargestellt. Eine Festlegung, die für die deutsche Regierung nicht zu gelten scheint: Thaqi müsse seinen "Einfluß auf die Kräfte der Unordnung geltend machen", forderte im Berliner Tagesspiegel Walter Kolbow, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, der Schröder bei seinem Antrittsbesuch begleitete. Eigentlich sollten die in die Uno-Übergangsverwaltung entsandten Politiker diesen Job übernehmen.

Doch warum verhandeln mit der bunt zusammengewürfelten Truppe aus Kosovo-Albanern, -Serben, -Türken und -Muslimen, die unter Uno-Ägide zusammengekommen ist - und die selbst von Rugova boykottiert wird? Auf dem Balkan, das haben Schröder und sein Außenminister Joseph Fischer einen Krieg lang klargemacht, gelten eben andere Gesetze - und "im deutschen Sektor das deutsche Strafrecht", wie Kolbow auf Nachfrage des Tagesspiegel versicherte.

Wie der sozialdemokratische Verwaltungsjurist Kolbow setzt selbstverständlich auch Schröder auf den Aufbau "ziviler Strukturen". Nach deutschem Muster im deutschen Sektor - und nach europäischem für das gesamte Kosovo. Das Protektorat wird europäisch und, wichtiger noch, es wird sozialdemokratisch. Zählen doch Schröders wichtigste Partner in Jugoslawien wie in EU-Europa zur großen Gilde der Neuen Mitte.

Nur wenige Tage vor der Balkankonferenz der EU in Sarajewo trafen sich die Euro-Sozis zur balkanischen Zwangsbeglückung in Wien. Elf der 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stehen unter sozialdemokratischer Führung - was die Euro-Genossen zu parteitaktischen Spielchen in außenpolitischen Angelegenheiten geradezu herausforderte.

Bevor ihn der Bundeswehrhelikopter nach Prizren flog, legte Schröder einen Zwischenstopp in der österreichischen Hauptstadt ein, um die besondere Verantwortung der Sozialdemokratie für den Balkan zu skizzieren: "Schon vor hundert Jahren machten sich die Sozialdemokraten Gedanken über Nationalitätenkonflikte", so der Bundeskanzler. Woran sich bis heute nichts geändert habe. Um danach den Einzug der Berliner Republik in Südosteuropa einzuläuten: "Es ist für uns Deutsche von nationalem Interesse, auf dem Balkan europäische Normen zu etablieren." Für Schröder ist das auch in historischem Interesse: Der Einsatz der deutschen Bundeswehr im Kosovo sei dazu geeignet, die historische Schuld "der Deutschen verblassen" zu lassen.

Allerdings könnte Schröder bisher bei diesem Vorhaben geschlampt haben, wie der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic in Wien kritisierte: "Wenn wir in der Vergangenheit wirtschaftliche Hilfe anforderten, so stießen wir dabei auf unüberwindbare bürokratische Hürden. Und wenn wir uns um europäische Integration bemühten, so hieß es, wir seien kein souveräner Staat."

Auch der serbische Parade-Oppositionelle Zoran Djindjic nahm am Sozi-Gipfel teil und führte hinter verschlossenen Türen Gespräche mit Schröder, dem österreichischen Bundeskanzler Viktor Klima und anderen EU-Regierungsvertretern. Nur in Serbien selbst scheint das Glück über die Unterstützung des Westens für die organisierte Opposition nicht bei allen so groß zu sein wie in Wien: "Milosevic, Djindjic und Draskovic haben die gleiche Persönlichkeit: Sie alle wollen Führer sein und vernichten ihre politischen Gegner. Mit einem Sturz von Milosevic ist es daher nicht getan", kommentierte der Präsident der unabhängigen Gewerkschaften Serbiens, Branislav Canak, gegenüber Jungle World.

Für Schröder dürfte es damit doch getan sein. Der Kanzler jedenfalls, der neben den westeuropäischen Sozialdemokraten nun auch die gesammte Elite der Balkan-Sozis an seiner Seite weiß, freute sich in Wien schon einmal vorab auf den deutschen Beitrag zur Protektoratsverwaltung: "Der Sozialdemokrat Bodo Hombach wird den Wiederaufbau leiten", machte Schröder klar, wer die ökonomischen Zügel auf dem Balkan in der Hand halten wird.