Drei Millionen für vier Milliarden

IG-Farben wollen noch einmal an Zwangsarbeitern verdienen. Um an "verschweizertes" Nazivermögen zu kommen, suchen die IG-Erben nun jüdische "Verbündete"

Die bislang als Nervensägen galten, werden nun umbuhlt. Eine Entschädigungsstiftung in Höhe von drei Millionen Mark sei geplant. Doch es geht um mehr: Vor einigen Tagen wurde in Kreisen ehemaliger Buna-Häftlinge bekannt, daß IG-Farben in Abwicklung (i.A.) versucht, Kontakt aufzunehmen. Gemeinsam solle eine Petition unterschrieben werden, um das "verschweizerte" IG-Farben-Vermögen zurückzufordern. Eine solche Anfrage, so IG-Farben i.A., sei auch an Alfred Jachmann, Mitglied im Zentralrat der Juden, geschickt worden. Die Frankfurter Abwickler wollen sich offensichtlich einen guten Namen als "Entschädiger" zulegen.

Geplant ist für die Aktionärsversammlung am 18. August, einen Beschluß zur Gründung einer sogenannten Entschädigungs-Stiftung zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiter der Firma in der NS-Zeit herbeizuführen. Die Gutachten seien schon eingeholt, heißt es im Geschäftsbericht.

Was Außenstehenden wie eine Geste der Einsicht vorkommen mag, ist in Wirklichkeit einer der dreistesten Versuche dieser Gesellschaft, die sich seit Ende des Krieges nicht auflösen will, mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Denn die meisten Aktionäre hoffen bis heute darauf, doch noch etwas vom Vermögen des ehemals größten NS-Konzerns einstreichen zu können.

Nach dem Anschluß der DDR glaubten die Aktionäre der Liquidationsfirma, dort die ehemaligen Besitztümer in Anspruch nehmen zu können - entsprechend stieg der Aktienkurs. Der Versuch scheiterte allerdings, obgleich man zeitweise den Ex-Minister Günther Krause in den Aufsichtsrat geholt hatte und keine Mühe scheute, von "ungerechtfertigten Enteignungen" unter sowjetischer Besatzung zu sprechen. Der Aktienwert sank wieder.

Die neuen Ansprüche von IG-Farben i.A. überbieten die Forderungen nach Rückgabe ehemaliger Ostvermögen um ein Vielfaches. Und wie immer werden relativ offene Worte gebraucht - immerhin wird ein Wirtschaftsvergehen größeren Ausmaßes zugegeben und darüber hinaus ein Betrug der Alliierten. Im Jahresbericht 1998, der für die jetzige Hauptversammlung vorliegt, heißt es: "Nach Überzeugung von I.G. Farben ist das Vermögen der I.G. Chemie aus berechtigter Sorge, die USA könnten das Auslandsvermögen der I.G. Farben als Feindvermögen beschlagnahmen, lediglich zur Tarnung 'verschweizert' worden."

Als wichtigstes Ziel wird benannt: "Mit besonderer Aufmerksamkeit werden wir nach wie vor die Vorgänge um den Komplex Interhandel/ Schweiz verfolgen. (...) Die Liquidatoren werden alles dafür tun, den ganz überwiegenden Teil des von der Schweizer Bank UBS zurückzugebenden Vermögens einer Stiftung für die Opfer von I.G. Farben zuzuführen."

Bereits Ende Januar 1997 veröffentlichte ich in der Schweizer Wirtschaftszeitung Cash einige Dokumente, die aufzeigten, daß der ehemalige Basler Firmenkomplex Interhandel den IG-Farben (IGF) gehörte. Dies bedeutet u.a., daß die Übernahme der 515 Millionen Schweizerfranken, die die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG, heute UBS) als Nachfolgerin der Interhandel mit aktiver Unterstützung der helvetischen Regierung 1965 in Anspruch nahm, unrechtmäßig erfolgte.

Kurze Zeit später meldete sich ein IGF-Aktionär namens Heinz Saerberg bei mir, der mir angeblich neue Möglichkeiten eröffnete, das Interhandel-Vermögen, das er damals auf ca. drei Milliarden Schweizer Franken schätzte, für IG-Farben zu beanspruchen. Dem mittlerweile verstorbenen Mann war offensichtlich klar, daß nachdem die IGF 1988 mit ihrer Anklage gegen die SBG vor dem Obersten Gerichtshof in Karlsruhe abblitzte, auf direktem juristischen Weg nichts mehr zu holen war, auch wenn neue Beweise auftauchen sollten.

Saerberg schlug jüdischen Organisationen vor, mit IG-Farben zusammenzuarbeiteten. Diese sollten dann Druck auf die SBG ausüben, so daß auch IGF eine beträchtliche Summe kassieren würden. Der ehemalige IGF-Buchhalter erinnerte sich plötzlich, daß angeblich "ca. 60 Prozent der Aktionäre (von IG-Farben) bis Ende des Zweiten Weltkriegs Juden waren". Wenn die kritischen Aktionäre durchkämen und IGF sich endlich auflöste, würde "man die Erben, Vermächtnisnehmer von Juden, um Rückgewinnung ihres ihnen zustehenden Vermögens bringen", so Saerberg später.

Der "geniale Plan" sah vor, daß alle "jüdischen Mitbürger" IG-Farben-Liquidationsscheine, die ganz billig waren, kaufen sollten und dann ihre "gerechte Forderung" gegenüber der SBG stellten. Es schien damals, als ob er damit rechnete, daß sich die jüdischen Ansprüche lediglich auf 500 Millionen Mark belaufen würden, was ein sehr schöner Restbetrag für die anderen IGF-Aktionäre bedeutete.

Mit dem jüdischen Druck, so Saerberg, wäre dann ein juristisches Vorgehen gegen die Schweizer Bank gar nicht mehr nötig. Nachdem aber die jüdischen Organisationen auf dieses "großzügige Angebot" nicht eingegangen waren, nahm Heinz Saerberg Kontakt mit mir auf, damit ich ihm dabei helfe. Da ich mehr über die ehemaligen jüdischen Aktionäre erfahren wollte, gab ich, zusammen mit einem befreundeten Auschwitz-Überlebenden, vor, an seiner Idee interessiert zu sein. Ich wies ihn jedoch darauf hin, daß Juden nicht automatisch Erben der jüdischen IGF-Aktionäre seien.

Darauf schrieb mir Saerberg: "Nach meiner Meinung kann es niemand Juden beweisen, daß sie nicht IG Farbenaktionäre waren, wenn Juden sich als solche ausgeben. Das sollte man allen Juden klarmachen, damit sie durch den Besitz von 'IG Liquis' eine späte Wiedergutmachung bekommen. Es ist m.E. der beste Weg hierzu." (Brief vom 26. Mai 1997)

Ob Herr Saerberg als informeller Unterhändler bei mir war oder auf eigene Faust Verbündete suchte, ist mir nicht bekannt. Unsere "Beziehungen" gingen noch vor seinem Tod zu Ende, nachdem ich ihm klargemacht hatte, daß die "jüdischen Mitbürger" die "Hilfe der IGF" bei dieser Angelegenheit nicht brauchen. Fest steht aber, daß IG-Farben i.A. seit gut zwei Jahren wieder das Thema Interhandel - das in die Schweiz verschobene Geld - in ihren Geschäftsberichten als rückzuforderndes Auslandsvermögen nennen.

Es kann vermutet werden, daß, nachdem in Deutschland Anfang 1999 die Diskussion über die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter entflammte, die Führung von IG-Farben zumindest projektiert, nun auch noch aus dieser Entwicklung Kapital zu schlagen und ihre alten Ansprüche hinter einer Kampagne zugunsten der Zwangsarbeiter zu verstecken sucht.

Die neue IGF-Führung fordert von der UBS 4,04 Milliarden Mark aus dem Interhandel-Vermögen. Angeblich sollen davon zwischen einer und drei Milliarden an eine Stiftung für Zwangsarbeiter gehen. So oder so bliebe ein schöner Restbetrag für die Aktionäre. Bislang blieb dieser Versuch, die NS-Opfer zu diesem Zweck einzuspannen, ohne Erfolg. Die überlebenden Buna-Häftlinge möchten sich nicht noch einmal von IG-Farben mißbrauchen lassen.