Flaschendreh ins Glück

"Glück & Casino" - eine Berliner Ausstellung über Kunst, Spiel und Geld

Erkenntnis ist Glückssache, das ist nichts Neues. Andererseits ist, wie Lisa Simpson bemerkt, das Wort für Krise im Chinesischen gleichzeitig das Wort für Chance. Wenn wir auch sonst nicht viel wissen, wissen wir doch soviel, daß das ganze Leben ein Quiz ist, bei dem immer die Bank gewinnt.

Ordnung ist demnach ein halbes Quiz, und die Ordnung der Dinge läßt sich mit Foucault beschreiben als "Multiplizität kleiner klumpiger und fragmentarischer Gebiete, in denen namenlose Ähnlichkeiten zusammen die Dinge in diskontinuierliche Inselchen agglutinieren". Wer soll da den Überblick behalten? Seit dem Mauerfall wissen jedenfalls auch die Ostdeutschen, daß jeder seines Glückes Schmied ist, und sie ahnen erst langsam, daß auch im internationalen Casinokapitalismus immer die Bank gewinnt.

Wenn ein Begriff zur Beschreibung des Lebensgefühls in den Neunzigern taugt, dann der des "Vabanque-Spiels". Das mag das Kulturamt Berlin-Treptow bewogen haben, angelegentlich des 38. Jahrestages des Mauerbaus eine Ausstellung unter dem Titel "Glück & Casino" kompilieren zu lassen, "eine leichte, luftige Sommerausstellung", wie der Kurator Peter Lang sie nennt. Auf hohem Niveau ist ihm das gelungen: Man vergißt schlagartig, daß man sich in einer ehemaligen Schule an der gottverlassenen Berliner Peripherie befindet, in Adlershof, und fühlt sich schlagartig daran erinnert, daß in Berlin noch eine junge Kunst stattfindet, die nicht schon von vornherein unter den Fittichen des Chefs der Berlin Biennale und definitionsmächtigen Kunst-Paten Klaus Biesenbach steht.

So offen das Thema ist, so unterschiedlich sind die Ansätze der zumeist als Stipendiaten in Berlin lebenden Künstler und Künstlerinnen. Was dennoch alle verbindet, ist ein mehr oder minder ausgeprägter Hang zur Ironie, der schon durch die Themenstellung souffliert wird und ohne den Kunst heute anscheinend nicht mehr möglich ist.

In den Zeichnungen von Olav Westphalen, vielen besser bekannt als eine Hälfte des Zeichnerduos Rattelschneck, tritt dieser am deutlichsten zutage: "Gen-Lotto" steht auf dem Bauch eines Schwangeren, und wie auf einem Röntgenbild ist zu erkennen, daß der Betreffende wohl die Niete gezogen hat. Aber die Indifferenz des Schicksals birgt - siehe Lisa Simpson - auch Chancen: Die Frage, ob New York, L.A., Tokyo oder Paris, läßt sich ganz einfach per Flaschendrehen entscheiden, wie eine weitere Zeichnung nahelegt. So cool möchte man auch mal sein!

Dabei stehen die Chancen gar nicht mal schlecht: eine Orakel-Drehscheibe hält für den Wißbegierigen die Optionen "Art-Star", "Film-Star", "Porn-Star" etc. parat. Auf jedem zweiten Feld steht jedoch "Loser". Das ist immerhin eine Chance von fifty-fifty und - hey! - wer nicht wagt, hat schon verloren.

Einer, der sich mit dieser vagen Erfolgsaussicht auf keinen Fall zufrieden geben möchte, ist der derzeit in Berlin gastierende Norweger Lars Ramberg. Um die Unsicherheitsfaktoren in puncto Karriere systematisch zu eliminieren, hat er sich von der - womöglich gefaketen - PR-Beratungsfirma Gelmuyden Kiese ein Konzept zur Selbst-Lancierung im Kunstbetrieb ausarbeiten lassen. Nach eingehender Ist- und Soll-Analyse und Einordnung in Positionierungsdiagramme, wie sie im Konsumgüter-Marketing gebräuchlich sind, schlägt diese ein Maßnahmenbündel vor, mit dem eigentlich nichts mehr schiefgehen dürfte. An erster Stelle steht dabei "Provozieren": "Die Deutschen lassen sich leicht provozieren - sie sind dünnhäutig. Durch Provokationen in Berlin kann Lars Remberg in internationalen Kunstkreisen Aufmerksamkeit erregen und damit in Norwegen Nachrichtenwert erlangen."

Was Glück ist, wissen wir dadurch immer noch nicht genauer. Die Spieltheorie lehrt uns den Trade-off zwischen individuellem und kollektivem Glück; beim "Gefangenendilemma", kommt immer die suboptimale Lösung für alle Beteiligten heraus, weil jeder seinen Arsch an die Heizung bekommen möchte - und Gefangene sind wir alle, notfalls im eigenen Kopf. Deshalb ist Glück vielleicht immer der Moment vor der Enttäuschung, bevor uns jemand eröffnet: "I beg your pardon, I never promised you a rose garden."

Das Puppenpärchen in der gleichnamigen Dia-Serie von Maik Wolf macht jedenfalls einen glücklichen Eindruck. Unbekümmert turnen die beiden durch Rhododendronbüsche, Kiefern, Lupinien und Löwenzahn. Nur eben kein Rosengarten ist dabei, aber was soll's?

Entgegen allen Gerüchten, macht Geld übrigens doch glücklich, wie sich am Beispiel von Onkel Dagobert studieren läßt, der in der Videocollage "Che Casino" von Pietro Sanguineti und Florian Zeyfang auftaucht - augenscheinlich glücklich im Geldspeicher badend. Aber auch Markenartikel zu Schnäppchenpreisen machen glücklich, wie der Kapitalismus überhaupt.

Wer's nicht glaubt, kann es bei Lisa Junghanß' Textinstallation "Susan hatte Glück. doc", im lauschigen Ambiente von aufblasbaren Sesseln und türkis-marmorner Strukturtapete, nachlesen. Der erste Satz darin lautet: "Susan hatte Glück, denn ausgerechnet heute gab es bei Selfridge die heruntergesetzten halterlosen Strümpfe." Was folgt, ist das schwelgerische Marken-Namedropping eines glücklichen fashion victim.

So einfach sind die kleinen Freuden, wenn wir "einverstanden" (Horkheimer/Adorno; Die Goldenen Zitronen) sind. Andererseits ist Glück immer an Orte gekoppelt und in der Regel immer dort zu finden, wo wir gerade nicht sind. Der Amerikanische Traum ist deshalb mitunter, wie in den Acrylbildern von Lutz C. Pramann, nur der Traum von Amerika.

Die Serie "Lucky Man I - III" besteht aus Adaptionen unspektakulärer Schnappschüsse aus den USA und rückt in angenehm kühlen Farben das flüchtige Ideal amerikanischer Coolness ins Bild. An dubiosen Glücksofferten herrscht im Leben wie in der Ausstellung wahrlich kein Mangel. Kann sein, daß das Glück in einem neuen Einkaufszentrum auf dem Goldberg bei Halle lauert, dessen Genese Thomas Meyer verfolgt hat, vielleicht aber auch in der gesammelten Braunkohle-Asche von letztem Winter, die Roland Boden in Rebecca-Horn-Manier von einem Stab durchstochern läßt. Warum nicht auch in den hinter einer Tür geflüsterten Ratschlägen aus Mathilde ter Heijnjes Klanginstallation?

Allerdings ist Mißtrauen geboten, denn der Einsatz im Casino des Lebens ist immer das Leben selbst. Unterm Strich betrachtet, ist das Ganze bestenfalls ein Nullsummenspiel. Und weil am Ende bekanntlich immer die Bank gewinnt, ist man bei der persönlichen Ökonomie des Glücks noch am besten mit jenem Benn-Diktum beraten, das da lautet: "Rechne mit deinen Beständen!" So betrachtet, haben die rar gesäten Augenblicke des Glücks wohl in erster Linie damit zu tun, daß überhaupt mal irgend etwas nach vorne losgeht.

"Glück & Casino". Kunst und Medienzentrum Adlershof, Kulturamt Berlin/Treptow, Dörpfeldstraße 56, Berlin. Bis 14. September. Mo, Do, Fr 11 - 19 Uhr, Di 11 - 17 Uhr, So 14 - 19 Uhr.

Im Internet unter: www.contemp.de