Glaub den Schmu nicht!

Zuerst machten Public Enemy den dicken Max, dann lange nichts, nun hätten sie besser geschwiegen

Und nun auch das noch. Public Enemys Soundtrack zum Spike Lee-Film "He Got Game" war ja noch zu verkraften, die Single-Auskopplung war ganz hübsch, sie war gewissermaßen puffdaddyesk, weil eine freundliche Cover-Version der studentenbewegten Hymne "For What It's Worth" des alten bärtigen Hippies Stephen Stills. Den Rest brauchte man einfach nicht zu hören, der Soundtrack ließ sich ganz praktisch ignorieren, sang- und klanglos ging er gerechterweise unter. Wenige schrieben über ihn, noch weniger hörten ihn, wer ihn tatsächlich kaufte, ist nicht bekannt. Das war nicht schlimm. "He Got Game" ließ sich als Zeichen lesen, daß es für Public Enemy Zeit wurde, endlich und wohlverdient die Altersruhe anzutreten.

Eine Handvoll wunderbare Platten haben sie zu verantworten, sie haben Krach gemacht, sich Uniformen angezogen und sich Uzis umgeschnallt. Sie haben Parolen gedroschen, den dicken Max markiert, also alle Register gezogen für die ganz große Pop-Sause. Die Rollenverteilung zwischen den beiden Rappern Chuck D und Flavour Flav war perfekt, auch zwischen den Mitgliedern der Band und den anderen Ministern und Sicherheitsleuten, die gleichzeitig Unnahbarkeit und Militanz signalisierten. Sie haben behauptet, sie seien die Vorhut der Revolution, die Spätfolge von Malcolm X und der zukünftige Alptraum des weißen Amerikas.

Sie waren bis in den letzten Reim widersprüchlich, deshalb waren sie aufregend, sie galten als Politikum in den Charts, und vielleicht haben sie sogar etwas bewirkt. Daß ausgerechnet sie es waren, die HipHop für weiße Hörerschichten zugänglich machten, ist jedenfalls sicher. Niemand hätte es ihnen verübelt, wären sie nach "He Got Game" in Würde abgetreten, man hätte sie in guter Erinnerung behalten, doch jetzt kommt "There's A Poison Going On" und alles bleibt vorerst anders.

Man hört, Public Enemy hätten wieder zu ihrer alten Form zurückgefunden, daß sie sich wieder unversöhnlich und kompromißlos zeigen, daß Chuck D so zetere wie in frühen Tagen, daß die Platte eine große Abrechnung sei, ein Meisterstück der Subversion, weil, und das sei das Besondere, sie schon vor der Veröffentlichung im Internet abrufbar gewesen sei.

Alle kennen das Internet, für Kochrezepte, Börsennachrichten, Tips zur Haustierpflege und interessante Pornographie ist es erfahrungsgemäß praktisch. Seit MP3, diesem neuen Dings aus Amerika, neuerdings auch für Musik. Künstler, die keinen Plattenvertrag haben, können ihre Stücke ins Internet stellen, andere mögen sie dann für eine kleine Gebühr, eine erhöhte Telefonrechnung und einige Nerven herunterladen. Warum man sich als Endverbraucher im Fall von Public Enemys "There's A Poison Going On" den Aufwand antun soll, wenn die Platte ohnehin Wochen später in den Läden liegt, ließe sich vielleicht noch erklären (Abenteurertum, Forscherdrang, Spielkram, ich bin der erste, kennste die schon?).

Warum allerdings eine Platte, also konkret die Musik, toll sein soll, bloß weil sie nicht auf herkömmlichem Wege zu erwerben ist, liegt im Bereich des Unbekannten. Über MP3 soll es auch unbekannte Songs von Billy Idol und Alanis Morissette geben. Wohin soll das noch führen?

Das ganze MP3-Brimborium läßt sich jedenfalls auf den Fakt herunterkochen, daß es zwischen Public Enemy und ihrer alten Plattenfirma Def Jam einen Streit gab, daß Public Enemy die Platte anderen Major-Firmen anboten, aber niemand sie haben wollte, und die Band ihr Album schließlich dem Online-Label Atomic Pop überließ, nicht ohne sie auch noch über ein herkömmliches Indie-Label zu veröffentlichen. Die Legende der großangelegten Verschwörung gegen das brandgefährliche achte Public Enemy-Album war damit geboren (kein Handlanger der Unterhaltungsindustrie hätte sich eine bessere Werbekampagne ausdenken können).

Die Issues der Platte sind daher in der Hauptsache folgende: Die Welt ist schlecht (stimmt), die Musikindustrie ist schlecht (stimmt auch, schließlich drücken sich in ihr nur die herrschenden Verhältnisse aus, und da die Welt schlecht ist, kann auch die Musikindustrie nicht gut sein), HipHop ist schlecht (man könnte das jetzt ewig so weiterführen, allerdings spielt in diesem Punkt der Aspekt des Beleidigtseins mit rein: Public Enemy sind nicht mehr die kuhlsten Karpfen around, hier spricht die gekränkte Eitelkeit alter Männer), Public Enemy sind doch die kuhlsten Karpfen (nun ja!).

Daß das im Vergleich zu Platten von Eminem (Sex, Gewalt & gute Laune), Marylin Manson (Freßt Drogen, bis ihr tot bleibt), Chris Korda (Save the planet! Kill yourself!) oder Helge Schneider & The Firefuckers (My Generation) inhaltlich nun doch nicht so brisant ist, dürfte jedem ins Auge springen, doch das eigentliche Problem ist: Sie ist langweilig, man könnte auch sagen: unmodern.

Die Beats sind von vorgestern, die Raps gebellt und die Produktion auf dem Stand von 1989, jede Minute hat man Angst, daß die Mauer noch einmal fällt. Der Gestus ist rechthaberisch und schlechtgelaunt, die neue Public Enemy ist sowas wie die konkret auf HipHop-Beats. Ein Blick auf das Cover reicht, um zu wissen, wie sich die Platte anhört. Ein einsames afro-amerikanisches Kind sitzt umringt von weißen Kindern mit Gasmasken in einem weißen Raum. Eine deutliche Symbolik, die man vom Hause Benetton schon in einer originelleren Umsetzung gesehen hat, so subtil wie das Bild vom sterbenden Soldaten, der ein "Why?" in einer Sprechblase gen Himmel schickt.

Why? Stünde nicht Public Enemy drauf, kein Wort würde man über "There's A Poison Going On" verlieren. Doch der Name zieht, Public Enemy sind ein Thema, deshalb kriegen sie in jeder Zeitung ihren Ganzseiter, auch in dieser. Dabei fallen einem auf Anhieb exakt 35 bessere, interessantere und schönere Platten ein (keine wichtigen Platten, wichtige Platten sind scheiße): The Lords Of Svek: "Galaxy"; Juan Atkins: "Master Mix"; Sneaker Pimps: "Splinter"; Johannes Heil: "Illuminate The Planet"; Nothingface: "Nothingface"; The Bionaut: " Friends"; Ludovic Navarre: "From Detroit To St. Germain"; V.A.: "Electro Juice Vol. 2"; Blaze: "Productions"; V.A.: "The Crowning Of Prince Jammy"; Ganja Kru: "Fuck The Millenium"; V.A.: "Classic Classic"; V.A.: "Mundial Muzique"; DJ Good Groove: "Rare & Funky"; The Gentle People: "Simply Faboo"; V.A.: "Go Right - Jazz From Poland"; V.A.: "Grow For It 2"; Louie Austen: "Consequences"; DJ Vadim: "USSR: Life From The Other Side"; V.A.: "Bio Molecular Rhythms Vol. One"; Celia Vaz: "Ape"; The Brand New Heavies: "Best Of"; The Divine Comedy: "A Secret History - Best Of"; Alton Ellis: "Arise Black Man"; V.A.: "Lärm"; Monolake: "Gobi. The Desert EP"; Suba: "S‹o Paulo Confessions"; V.A.: "Body & Soul NYC, Vol. 2"; Sonar Circle: "Radius"; V.A.: "Block Party Breaks"; Rinocerose: "Installation Sonore"; Bob Marley & The Wailers: "Destiny: Rare Ska Sides From Studio One"; Tobias Schmidt: "Le Chimp Atomique"; V.A.: "Lofile Dub Selection"; Pascal F.E.O.S.: "From The Essence Of Minimalistic Sound"

Warum über die keiner schreibt? Weil es Musik ist, die man sich anhört, weil es besser ist, manchmal die Klappe zu halten, weil es ein Gerücht ist, daß Musikjournalismus von Musik handelt, weil auch die freie Presse in den Fängen der Musikindustrie steckt, weil die Welt schlecht ist. Public Enemy haben also im großen und ganzen recht. Aber wer will schon Musik, die recht hat?

Public Enemy: There's A Poison Going On. Pias/ Connected