Keine Schleier, keine Spenden

Während die ägyptische Frauenbewegung an einer neuen Kampagne bastelt, sorgt das Höchste Gericht für ein Vermummungsverbot an den Schulen

Manchmal sind es die einfachen Widersprüche, die für kleine Fortschritte sorgen: Das höchste Gericht Ägyptens entschied vergangene Woche, daß in allen staatlichen Schulen des Landes das Tragen von vollständigen Schleiern, den sogenannten Niqabs, verboten bleibt. Das Urteil beendet vorläufig einen fünfjährigen juristischen Streit zwischen islamischen Eltern - die gegen das seit 1994 geltende Verbot angegangen waren - und staatlichen Stellen.

"Der Niqab ist immer ein Problem gewesen, besonders während der Prüfungen", sagt Mahmoud Assem, Lehrer an einer Schule in Kairo: "Mit dem Niqab ist es unmöglich herauszufinden, wer die Person unter dem Schleier ist." Der Niqab wird zusammen mit einem schwarzen Kleid und Handschuhen getragen.

Als wichtigsten Punkt führte das Oberste Gericht in seiner Urteilsbegründung an, daß der Bildungsminister festlege, wie Schuluniformen aussehen dürfen. Untergeordnete juristische Instanzen hatten das Niqab-Verbot abgelehnt, da sie die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit verletzt sahen. Das Höchste Gericht verwarf dieses Argument, indem es feststellte, daß der Niqab kein notwendiger Bestandteil des Islam sei.

Das Fatwa-Komitee - eine Institution, die religiöse Gesetze erläßt, erläutert und nationale Gesetze mit der Scharia, dem islamischen Recht, vergleicht - unterstützt das Gerichtsurteil. Einer der drei Scheiche, die dem Komitee vorsitzen, konterte das Argument der Wahlfreiheit, das von den Islamisten angeführt wurde: "Die Studenten haben immer noch eine Wahl. Sie können wählen, ob sie zur Schule gehen oder zu Hause zu bleiben."

Auf beiden Seiten des politischen Spektrums gibt es Gegner des Verbots. Die islamistischen Gegner behaupten, der Bann sei Teil eines antifundamentalistischen Kreuzzugs von Minister Hussein Kamel Bahaaeddine. Dieser habe in den letzten Jahren Hunderte fundamentalistische Lehrer entlassen. Eine Direktorin sei vom Dienst suspendiert worden, weil sie die Kopfbedeckung zur Pflicht für alle Studentinnen in ihrer Schule machen wollte. Die Islamisten sagen, daß der Minister auch Miniröcke und Make-up in der Schule verbieten sollte, wenn er um die Schulkleidung besorgt sei.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht Nawal El-Saadawi, die wohl bekannteste Feministin des Landes, der der Bann nicht weit genug geht. "Alle Schleier sind Diskriminierung. Sie machen große Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Die Jungen werden so dargestellt, als ob sie sich nicht unter Kontrolle hätten, wenn Mädchen unverschleiert sind. Und die Frauen könnten ihre Ehre und Keuschheit nur mit dem Tragen eines Schleiers bewahren. Beides ist Unsinn."

Die radikalen Teile der ägyptischen Frauenbewegung unterstützen Saadawi, wenn auch vorsichtig: Die Angst vor dem Vorwurf, Agentinnen des Westens zu sein, sitzt tief. Von Anfang an wurde der Frauenbewegung vorgeworfen, ihre Ideen seien ein Import aus dem Westen oder schlimmer noch: Sie spielten den westlichen Kolonialisten, später: Imperialisten, in die Hände. Auch innerhalb der Frauenbewegung ist der Vorwurf der Verwestlichung ein beliebtes Mittel der Diffamierung. Schnell bezichtigt eine Frauengruppe die andere, Geld aus dem Westen zu erhalten, und jede ist eilig bemüht, den Vorwurf zu widerlegen. Dies hat dazu beigetragen, daß die Bewegung zwar seit Jahren organisiert, bislang jedoch nicht gemeinsam offensiv geworden ist. Das soll sich nun ändern: Saadawi will eine politische Plattform schaffen, um eine Demonstration für die Rechte der Frauen am Internationalen Frauentag im Jahr 2000 zu organisieren.

Das Anliegen ist gewagt, Demonstrationen sind in Ägypten verboten: Seit dem Attentat von 1981 auf den damaligen Staatschef Anwar el-Sadat gilt eine Notstandsgesetzgebung. Zudem wurde erst im Juni dieses Jahres ein neues Gesetz verabschiedet, das NGO politische Aktivitäten untersagt. Saadawi will dennoch an der geplanten Demonstration festhalten.

Nach der Verfassung soll sich die ägyptische Gesetzgebung an der Scharia orientieren. Das gilt besonders für das Familienrecht: Scheiden lassen können sich im Prinzip nur Männer, Frauen müssen besondere Gründe angeben, die vor Gericht meist nicht anerkannt werden. Nach einer Studie der Uno sind 97 Prozent aller ägyptischen Frauen beschnitten. In den Zeitungen liest man immer wieder von jungen Frauen, die von ihren Brüdern ermordet wurden, weil sie vor der Ehe sexuelle Kontakte zu Männern hatten.

Nawal El-Saadawi hat sogar Islamistinnen zu der neuen feministischen Plattform eingeladen. Anfang der neunziger Jahre sah sie im Islamismus noch den größten Feind für die Frauen in Ägypten, heute sagt sie über die Islamistinnen: "Sie existieren, sie sind Teil der Bevölkerung. Außerdem gibt es einige sehr aufgeklärte Islamistinnen, die Frauen innerhalb des Islam befreien wollen und den Koran reinterpretieren." Saadawi rechtfertigt sich weiter: "Ich habe nie gesagt, daß wir befreit sein wollen wie westliche Frauen. In meinen Büchern schreibe ich, daß Frauen im Westen unterdrückt sind. Ich schreibe sogar, daß ich die westliche Form der Demokratie ablehne."

Islamistinnen in die ägyptische Frauenbewegung integrieren will auch Nadia Wasif, Aktivistin und Mitglied des Frauenforschungszentrums Kairo: "Das Kopftuch ermöglicht ihnen Freiheiten, die ihre unverschleierten Mütter nicht hatten. Sie können sich frei auf der Straße bewegen, arbeiten gehen, sogar mit Männern verkehren und trotzdem respektiert werden." Auch müßten die verschleierten Frauen sich nicht vorwerfen lassen, "verwestlicht" zu sein. Frauen der unteren Schichten würden sich durch die neue Religiosität über traditionelle Moralvorstellungen hinwegsetzen. So entstünden für Frauen neue Freiräume.

Hinzu komme, daß die Plattform der ägyptischen Frauenbewegung zum Internationalen Frauentag 2000 sich auch mit der ökonomischen Marginalisierung von Frauen beschäftigen soll. Schuld daran ist für Saadawi vor allem die Globalisierung und die zunehmende Liberalisierung der Wirtschaft. Frauen seien die ersten, die vom Arbeitsmarkt gedrängt würden. Daß vor allem die ägyptischen Konservativen und Islamisten ihre permanenten Angriffe auf die Rechte von Frauen mit dem Versuch verbinden, diese auch vom Arbeitsmarkt zu drängen, kümmert Saadawi wenig.

Auch die zahlreichen Vertreterinnen von Frauen- und Familienorganisationen, die vor einigen Wochen in dem überfüllten Raum des Forschungszentrums für Menschenrechte zusammenkamen, um über Saadawis Kampagne zum Frauentag zu diskutieren, mochten sich nicht recht mit den politischen Gegnern im eigenen Land auseinandersetzen. Viel spannender war für sie die Frage der Kampagnen-Finanzierung. "Auf keinen Fall durch Spenden aus dem Ausland", lautete das Ergebnis der Diskussion.