Bridge Oder Troubled Water

Deutsch-polnische Uniwersytet Europejski Viadrina: Gemeinsam studieren, getrennt amüsieren

Zum ersten Mal in Frankfurt an der Oder: Wo geht's lang? Ich frage den ersten, der nach Student aussieht. Doch der entpuppt sich als Redakteur der Märkischen Oderzeitung. Ja klar, er zieht es vor, in Berlin zu wohnen und jeden Tag die Stunde Zugfahrt auf sich zu nehmen. Hier in Frankfurt ist doch nicht viel los. 75 000 Einwohner und dann das politische Klima, viele Skins, da mußt du manchmal schon als Berliner aufpassen. Da drüben ist die Uni.

Uni? Da ist erst mal der riesige Turm, nach der Oder benannt. Sozusagen das Stadtzentrum. Rundherum Bauten aus DDR-Tagen. Die Stadt war nach dem Zweiten Weltkrieg zu 90 Prozent zerstört. Geht man durch das Einkaufszentrum, liegt vor einem die Europa-Universität Viadrina. Oder besser das Hauptgebäude, nicht das alte, denn das wurde - typisch DDR - 1962 gesprengt. Dabei war Frankfurt/Oder 300 Jahre lang die Stadt der ersten brandenburgischen Landesuniversität. Die Alma mater galt von 1506 bis 1811 als bedeutende Bildungsstätte, schon damals studierten hier Ausländer, meist Polen.

Berühmte Absolventen hat man auch zu bieten, die beiden Humboldts, Thomas Müntzer und Heinrich von Kleist. Doch ein Jahr nach Eröffnung der Berliner Humboldt-Universität schloß die Viadrina, 1811 war sie überflüssig.

Auferstanden aus Ruinen: Mit ihrer Wiedergründung im Jahre 1991 "schließt die Viadrina an eine reiche Tradition und stellt sich gleichzeitig den Herausforderungen einer neuen Zeit", steht in einer der unzähligen Uni-Broschüren. Das Titelbild zeigt die Oder-Brücke, die nach Slubice führt. Ständig ist vom "Brücken schlagen" die Rede, daß einem schwindlig wird. Eine "Brücken-Universität" sei entstanden, schreibt Rektor Hans N. Weiler, "die sich das Bauen von Brücken zur Aufgabe gemacht hat - Brücken über den Grenzfluß zwischen Polen und Deutschland, zwischen dem Westen und dem Osten Europas, aber auch Brücken zwischen den Disziplinen und Fachbereichen."

Die Viadrina, das sind die drei Fakultäten - Rechtswissenschaft, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften - sowie drei interdisziplinäre Forschungsinstitute. Von den 2 944 Studenten des Sommersemesters sind 1 720 Deutsche und 1 088 Polen. Dank der 136 Kommilitonen verschiedener Nationalitäten ist die halbe Welt vertreten - zwar ist das keine Besonderheit der Viadrina, wird aber zu Werbezwecken so verkauft. Lediglich drei Professoren kommen aus Polen; weitere Gastprofessoren lehren am Collegium Polonicum, einem Gemeinschaftsprojekt von Viadrina und Universität Poznan in Slubice. Außerdem kooperiert die Viadrina mit verschiedenen Universitäten, von Ungarn bis Südafrika.

Vizepräsident Jan C. Joerden formuliert es so: "Wir überschreiten Fächer- wie nationale Grenzen." Schließlich liege Frankfurt im Herzen des Kontinents. "Europa endet nicht an der Oder, sondern erstreckt sich bis zum Ural." Momentan freut sich der Professor auf die neue Präsidentin, die zwischen Oder und Spree pendeln will: "Mit Gesine Schwan eröffnen sich erfreuliche Perspektive für die Viadrina. Eine glänzende Entscheidung."

Schwan spricht fließend polnisch und hat über den Philosophen Leszek Kolakowski promoviert. Die an der Berliner FU abgeblitzte Sozialdemokratin verfügt über gute Kontakte zu Politikern und hat Brandenburgs Wissenschaftsminister Steffen Reiche (SPD) auch schon zwei zusätzliche Professuren abgehandelt. Im Oktober tritt sie ihr neues Amt an.

Apropos neu: Irgendwie sieht alles wie frisch saniert aus. Weiße Farbe, blaues Linoleum. Die Bibliothek modern und schick, PCs mit Internetzugang. Eine Uni mit Dienstleistungscharakter: Die Frau am Tresen fragt nach wenigen Sekunden Herumgucken: "Na, junger Mann, Sie warten?" Wahrscheinlich stellt sie gerne Bibliotheksausweise aus. Der Service stimmt also. Gegenüber eine Cafeteria. Soljanka und Bockwurst kosten zwei, Putenschnitzel mit Püree 5,50 Mark. Der Kaffee ist mit einer Mark billig und gut.

Man hört Deutsch, viel Polnisch, aber auch Französisch. Trotz des Trubels geht einem die Sterilität ziemlich bald auf die Nerven. Das Hauptgebäude wirkt wie geleckt. Von der Patina des Studienbetriebs fehlt jede Spur. Kann sich vielleicht noch ändern. Wenigstens an der Pinnwand herrscht Chaos. Und der Toilettentest? Keine Enttäuschung, aber es finden sich immerhin ein paar Krakeleien und "Fuck the Police" - in Frankfurt (Oder)!

Draußen sitzen Studenten in der Sonne. Ausnahmslos jung, 30jährige sieht man gar nicht. Yvonne und Sebastian (beide 23) sind ein Paar und studieren Jura im 8. Semester. "Eigentlich wollte ich ja nach Berlin", meint Yvonne, die aus Oranienburg kommt. "Als mich die ZVS nach Frankfurt (Oder) schickte, hab' ich zuerst geheult." Inzwischen sieht sie die Sache positiv: "Du hast genug Platz, Ruhe und Bücher. Eben kein Massenbetrieb." Stichwort "Brückenschlag"? "Auf Partys kannst du Polen treffen, aber richtige Freundschaften sind nicht entstanden. Die große Verbundenheit gibt es nicht, von einzelnen Fällen mal abgesehen. Daß sich der Europa-Gedanke sozusagen in uns personifiziert? Nein, da wird oft ganz schön übertrieben."

Das liegt ihrer Meinung nach auch an der besonderen Rolle, die den polnischen Studenten eingeräumt werde, z.B. durch die finanzielle Unterstützung. "Ich hab doch aber auch wenig Geld", sagt sie. "So normal, wie es offiziell dargestellt wird, ist es eben nicht." Sebastian nickt: "So was sagt aber keiner laut, weil man sonst sofort in den Verdacht gerät, ein Polenfeind zu sein." Die beiden beklagen noch, daß es zu wenig Plätze in Polnisch-Kursen gibt. Tatsache ist, daß die polnischen Studenten meist ausgezeichnet Deutsch sprechen - müssen. Vor Studienbeginn haben sie einen Deutsch-Test zu bestehen. Umgekehrt will aber kaum ein deutscher Student Polnisch lernen.

Christian studiert im 4. Semester Internationale Betriebswirtschaftslehre (IBWL). Er lobt die "persönliche und gemütliche Atmosphäre". Der 23jährige betreut ausländische Studenten und zeichnet deshalb ein anderes Bild: "Das Zusammenleben klappt gut, Uni und Stadt sind so klein, da trifft man sich doch immer wieder." Z.B. auf den Partys im Studentenwohnheim in Slubice. Katja (22), 4. Semester Kulturwissenschaften, relativiert: "Es gibt schon Kontakte, doch sind die meisten Polen abends eben in Slubice." Auch die Sprachbarrieren würden Freundschaften erschweren. "Viele Polen sprechen ein gutes Uni-Deutsch, doch umgangssprachlich haben sie Probleme."

"Wenn du den ganzen Tag deutsch reden mußt, bist du froh, abends polnisch zu sprechen", zeigt Adam (21), 4. Semester IBWL, Verständnis für seine polnischen Kommilitonen. "Stimmt schon, die einzelnen Nationalitäten bleiben lieber unter sich." Adam hat zwei gute deutsche Freunde und sechs polnische. So wie er loben auch Daniel (21) und Kamila (22), beide aus Stettin und 4. Semester BWL, die Studienbedingungen der Viadrina in den höchsten Tönen. "Es ist etwas Besonderes, hier zu sein", erklärt Daniel und meint damit das "internationale Flair" wie den Lehrbetrieb. Vorher mußte er die Aufnahmeprüfung bestehen, und auf einen Platz kommen drei Bewerber. Von Problemen kann er nicht berichten. "Aber man bleibt eher unter sich."

"Kein Wunder", sagt die Kulturwissenschaftsstudentin Malgorzata (23), "schließlich wohnen doch die meisten polnischen Studenten drüben in Slubice, die Deutschen in Frankfurt. Wie soll es da zu engeren Kontakten kommen?" So zum Beispiel: In ihrem Wohnheim leben zwei deutsche Studenten. "Die korrigieren meine Arbeiten und kriegen dafür Nachhilfe in Polnisch."

Nachhilfe in Sachen Kunst betreibt die kleine Galerie B des Frankfurter Kunstvereins. Drei große Prints von Christine Prinz und Claus Hänsel sind ausgestellt. Der Kopf einer Frau ist von drei Seite zu sehen. Monika Tschirner hat Aufsicht: "Die Uni brachte junge Leute in die Stadt, wo doch sonst alles lieber wegzieht. Und sie ist der einzige Hoffnungsträger für das geistige Klima der Stadt." Und im großen Zeitungsladen im Oderturm gibt es nicht mal eine einzige polnische Zeitung.