Kuschelrock und Kolumnen

Zwischen polnischem Nationalismus, deutschem Nazismus und Oi!-Musik: Die rechte Skinhead-Subkultur in Polen

Enttäuscht vom Punk, der als "zu etabliert" wahrgenommen wurde, wandten sie sich ab: Die ersten Skins tauchten in Polen Mitte der achtziger Jahre auf. Die Mehrheit von ihnen waren ehemalige Punk-Rock-Fans, die ein härteres Image suchten und fanden - in der Skinhead-Subkultur.

Dabei mußte sich einige Mühe machen, wer in dieser Zeit in Polen Skinhead-Musik hören wollte: Schallplatten aus dem Westen zu erhalten, war schwierig, und polnische Skin-Bands oder Bands mit einer Skinhead-Gefolgschaft existierten nur vereinzelt. Es gab kaum Übungsräume, Auftritte oder die Möglichkeit, Singles oder LPs zu produzieren. Vorhanden waren lediglich einige Fans und Nachahmer von Skrewdriver. Die britische Nazi-Band hatte - musikalisch wie ideologisch - den größten Einfluß auf die polnische Skinszene.

Erst Ende der achtziger Jahre entstanden polnische Bands mit Skinhead-Anhängerschaft: Sexbomba, Ramzes & The Hooligans, Buty Doktora Martensa, Baranki Boze und BTM. Diese Combos waren nicht neofaschistisch geprägt, viele ihrer Lied-Texte waren jedoch rassistisch und huldigten dem anti-sozialen Style der Hooligans. Einige von ihnen, zum Beispiel Sexbomba, distanzierten sich später vom Skinheadkult.

Da es nur wenige Skin-Band-Auftritte gab, konzentrierten sich die Skins darauf, andere Konzerte zu stören: 1987, 1988 und 1990 wurde das R-brege Festival in Warschau angegriffen. Beim Metalmania Festival in Katowice starb 1990 ein Skin, als sich Besucher des Konzerts gegen einen Angriff verteidigten.

Den ersten geordneteb Versuch, Skinheads für politische Ziele zu nutzen, gab es Ende der achtziger Jahre. Das Regime war sichtbar geschwächt, verschiedene politische Gruppen entstanden - unter ihnen extrem rechte und nationalistische Parteien wie Narodowe Odrodzenie Polski (NOP; Nationale Wiedergeburt Polens). Die NOP schaffte es als erste rechte Organisation, Skins zu rekrutieren. So bestand beispielsweise die Skin-Band Legion aus Sympathisanten der NOP.

NOP und andere radikale nationalistische Gruppen brachten Skins davon ab, Symbole aus der Nazizeit zu benutzen. Dies war der Anfang einer Spaltung zwischen offen nazistischen und "national-katholischen" Elementen innerhalb der polnischen Skinhead-Subkultur. Die neuen Fanzines Skinhead Sarmata und Czas M2odych unterstützten die "Nationalisten" gegen die "Nazis".

Durch den Zusammenbruch des Regimes Anfang der neunziger Jahre konnte eine endgültige Spaltung verhindert werden. Die Wende erlaubte die Entwicklung einer breiten Skinhead-Musikszene mit Bands wie Konkwista 88, Honor, Zadruga, Cyklon B, Szczerbiec, Sztirm 68, Biala Armia, Kiosk Ruchu und vielen anderen.

Festivals wie "Oi! dla Ojczyzny" (Oi! Für das Vaterland) wurden organisiert, Demotapes hergestellt und verteilt, viele Auftritte von rechten Bands fanden in staatlichen Kulturzentren statt. Die faschistische Polska Wsp-lnota Narodowa - Polskie Stronnictwo Narodowe (PWN-PSN; Polnisch Nationale Gemeinschaft - Polnisch Nationale Partei) um Boleslaw Tejkowski unterstützte die Szene. Landesweit entstanden zahlreiche Fanzines: Falanga, Odlam Skiny, Victory Oi, Skinhead Polski, Zwyciezymy und andere.

In der westpolnischen Stadt Wroclaw bildete sich die stärkste Skinszene heraus. Von dort aus entwickelte Konkwista 88, die bekannteste der polnischen Nazirockbands, gute internationale Beziehungen. Konkwista 88 war die erste polnische Skinband, die ihre eigenen Schallplatten und CDs herausbrachte. Produziert in der Tschechischen Republik, wurden die Scheiben nach Polen importiert. Die ersten Schallplatten - Singles von Konkwista 88, BTM und Zadruga - entstanden 1993.

Konkwista 88 bildete zusammen mit Honor und anderen offen nationalsozialistischen Bands die Arische Überlebensfront (Aryjski Front Przetrwania, AFP), eine Skinhead-Organisation, die als Alternative zu den politischen Parteien konzipiert und nach dem Vorbild der britischen Nazi-Organisation Blood & Honour aufgebaut wurde.

AFP organisierte 1992 ein Festival zu Ehren Adolf Hitlers und war auch verantwortlich für einen Auftritt der Britischen Naziband No Remorse. Ein Konzert mit Skrewdriver war geplant, fand aber wegen des Todes von Lead-Sänger Ian Stuart Donaldson nicht statt.

1994 löste sich AFP überraschend auf, nachdem der Gründer der Organisation, der auch als Manager von Konkwista 88 tätig war, sich von faschistischen Ideen abgewandt hatte. Nach der Auflösung der Hauptgruppe in Wroclaw nutzten einige örtliche Strukturen den Namen AFP noch einige Zeit, während der Rumpf der Organisation in Wroclaw sich in Bialy Grom (Weiße Legion) umbenannte.

Trotz des Zerfalls von AFP erhielt die Naziskin-Musikszene Auftrieb - dank Fan Records, dem ersten professionellen Plattenlabel. Sowohl Neonazi-Bands wie Konkwista 88 als auch nationalistische katholische Bands wie Legion erschienen auf diesem Label. Fan Records produzierte auch Sampler, darunter mit "White Pride Worldwide" eine internationale Kompilation rechter Musik. Die Tonträger wurden in Mainstream-Plattenläden offen verkauft.

Über lange Zeit wurde der Vertieb rassistischer Musik von polnischen Behörden ignoriert, obwohl nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches offener Bezug auf den Faschismus oder die Anstachelung zu rassistischem, ethnischem oder religiösem Haß verboten ist.

Erst im April 1996, im Anschluß an eine antirassistische Demonstration und eine Petition an die Stadtbehörden von Szczecin, in der ein Stop für den Vertrieb von Nazi-Musik gefordert wurde, durchsuchte die Polizei einen Musikladen und konfiszierte eine Reihe von Tonträgern. Die Beschuldigungen gegen den Betreiber des Geschäfts wurden zwar fallengelassen, aber seither ist der Zugang zu Nazi-Rock in Szczecin schwieriger. Im Juni 1998 schließlich leiteten die örtlichen Anklagebehörden eine Untersuchung gegen die Produzenten eines Tapes von Konkwista 88 ein. Der Fall ist noch immer anhängig.

Auch gegen die Firma Fan Records wurde ermittelt, es blieb aber bei einer Verwarnung wegen "Verteilens von rassistischem Material". Zusammen mit sinkenden Umsatzzahlen reichte dies jedoch den Betreibern von Fan Records, um 1997 die Firma in Zabrze dichtzumachen. Bis heute sind von Fan-Records keine neuen Veröffentlichungen erschienen.

Seither versucht sich Narodowa Scena Rockowa (NSR; Nationale Rock Szene) an einer Neuorganisation der rechten Musikszene. NSR stellt ein eigenes Fanzine her, bemüht sich, eigene Tapes herauszubringen und die faschistische Musikszene näher an die nationalistische Rechte heranzubringen.

Für diese Bündnisoption steht vor allem Mariusz Bechta, Gründer von NSR und Geschichtsstudent an der Universität Warschau. Bechta verfügt über gute Beziehungen zu den Herausgebern von Reakcja (Reaktion), einem konservativen studentischen Nachrichtenblatt mit einer Auflage von etwa 20 000 Exemplaren.

Auch in der nationalistischen Wochenzeitschrift Mysl Polska schreiben regelmäßig NSR-Funktionäre. In der rechten Tageszeitung Glos hatte Bechta sogar eine eigene Kolumne - bis er wegen eines offen rassistischen Interviews mit der US-Naziband Bound for Glory herausgeworfen wurde.

Die Suche nach neuen politischen Bündnissen hat auch die Musik verändert. Zwar spielen die meisten Skin-Bands in Polen immer noch Oi!-Musik. Doch einige Bands, unter ihnen Konkwista 88, orientieren sich in jüngster Zeit stärker am Mainstream-Hardrock inklusive einer Prise Kuschelkitsch.

Der Barde Leszek Czajkowski, der in der konservativen Rechten populär ist und häufig Stücke mit antisemitischen Texten zum Besten gibt, wurde zuletzt sogar auf dem Cover eines NSR-Fanzines abgebildet. Bechta bemüht sich zur Zeit, Czajkowski für eine längerfristige Zusammenarbeit zu gewinnen.

Der Autor ist Mitarbeiter der polnischen Antifa-Zeitschrift Nigdy Wiecej. Der hier gekürzte Beitrag wird im Herbst in dem Sammelband "White Noise. Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour", Unrast Verlag, erscheinen.