Bert Papenfuß

»Weimar ist ein Unort«

Einen "Wermutstropfen in der freudigen Stimmung" nannte die Pressesprecherin der Stadt Weimar den Überfall, bei dem der Berliner Schriftsteller Bert Papenfuß und drei seiner Kollegen in der Nacht nach Goethes 250. Geburtstag von rechten Schlägern verprügelt wurden. Der Ostberliner Papenfuß ist Lyriker (u.a. "SBZ - Land und Leute. Gedichte", 1998). Für seine Arbeiten wurde er 1998 mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet. Er war Herausgeber der Zeitschrift Sklaven, die an ein gleichnamiges Projekt des Schriftstellers Franz Jung aus den Zwanzigern anknüpfte, und ihrer Abspaltung Sklaven Aufstand. Diese publizistische Arbeit wird im Herbst mit einer neuen Zeitschrift, dem Gegner, fortgesetzt.

Der Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel, hat sich bei Euch dafür entschuldigt, daß Ihr in Weimar angegriffen worden seid: Fühlst Du Dich jetzt besser?

Nee. Ist mir eigentlich egal. Darum geht's mir nicht besser.

Was ist denn genau passiert in Weimar?

Wir hatten eine Veranstaltung, und als die vorbei war, sind wir zum Frauenplan gegangen. Dort gibt es eine Gaststätte, das "Schmale Handtuch" genannt, gleich gegenüber von Goethes Wohnhaus. Das Publikum war normal durchmischt, es waren Touristen und Einheimische, es waren auch ein paar Jungs da, die man als Skinheads hätte klassifizieren können, aber sie haben keine Insignien getragen, hatten keine Bomberjacken an und trugen auch keine richtigen Glatzen. Wir waren zu siebt an einem Tisch und unterhielten uns über Hakim Bey, einen schwulen und jüdischen US-amerikanischen Schriftsteller, als so ein großer Skinhead vorbeikam und uns als "verkommene Judenhunde" beschimpfte und "Gesocks", gar nicht besonders laut, sondern nur so, daß wir das am Tisch verstanden haben.

Dann ist er verschwunden, und wir sind darauf vor die Tür gegangen, haben geguckt, ob da jemand ist, der eine Bedrohung darstellen würde - da war aber niemand. Dann haben wir noch ein Bier getrunken. Als wir gingen, wir waren zu viert, kam dieser große bullige Typ vor dem Lokal auf mich zu und rempelte mich an. Dann kam sofort der Führer der Gang hinterher und fragte mich, warum ich seinen Kameraden angerempelt hätte. Ich drehte mich um, in dem Augenblick war es aber schon passiert, ich habe einen Schlag vor den Kopf bekommen und bin zu Boden gegangen.

Was dann passiert ist, kann ich gar nicht so genau sagen. Das ging alles sehr schnell. Ich lag am Boden, bin irgendwie wieder hochgekommen, da waren aber Leute, die nach mir traten. Jemand hat per Handy die Polizei gerufen, die waren auch schnell da und standen dann rum, unweit des Lokals. Gemacht haben sie nichts. Ich wurde zum Notarzt gebracht, genäht und geröntgt. Ich habe eine Gehirnerschütterung und Frank Willmann eine gebrochene Rippe.

Die Polizisten haben keine Anstalten gemacht, die Täter zu suchen?

Nein, überhaupt nicht. Es hieß ein paar Tage später, daß sie jemanden festgenommen und wieder freigelassen hätten, aber eigentlich ist da nichts passiert.

Du warst vorher schon mehrmals in Weimar, bist Du da in ähnliche Situationen geraten?

Ich war in den letzten Jahren häufiger in Thüringen zu Lesungen, und Weimar ist für Literatur schon immer ein schwieriges Pflaster gewesen. Die denken, sie hätten die Literatur mit der Muttermilch schon aufgesogen. Es kommen immer sehr wenige Leute zu Lesungen, und damit meine ich nicht nur die Art engagierter Literatur, für die ich stehe. Ganz anders als beispielsweise in Jena, wo es eine lebendige literarische Szene gibt.

Natürlich nimmt man im Weimarer Straßenbild rechtsorientierte Jugendliche wahr, und in dieser Ausstellung, wo Hitlers Lieblingsbilder ausgestellt werden, da war natürlich die rechte Ortsgruppe von irgendeinem Dorf da, die sich auch die Bilder angeschaut hat. Wenn man darauf achtet, sieht man so etwas auch. Die Mitteilungen, die von Weimars Administration in die Welt gesetzt wurden, daß die Feierlichkeiten alle friedlich verlaufen seien, sind natürlich nicht wahr. Frank Willmann hat in Weimar mit einem Journalisten der Bild-Zeitung gesprochen, und der hat gesagt, daß das nicht der einzige Überfall von Rechten war, Weimar habe die geringste Aufklärungsquote, was Straftaten Rechter angeht.

Und das alles in der Nacht nach Goethes 250. Geburtstag, gegenüber von einem Haus, das gerade in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden ist.

Ja. Die Stadt war voller Leute. 60 000 sollen es gewesen sein. Das ist aber wohl zu hoch gegriffen, denn das wären ja soviele, wie Weimar Einwohner hat. Weimar ist für mich ein Unort. Weimar verkörpert für mich fast alles, was meinen Widerwillen erregt. Klassik, Klassizismus, das Gauforum - das war eine Hochburg des Faschismus. Als ich das erste Mal da war, Anfang der siebziger Jahre, habe ich Weimar einfach nur als spießiges Kaff wahrgenommen. Es gab in der DDR außerordentlich spießige Tendenzen, man sprach ja auch vom sozialistischen Biedermeier. Dafür stand Weimar. Und das hat sich nach der Wende in eine andere Richtung weiterentwickelt. Es gab und gibt da eine starke rechte Szene. Und besonders in diesem Jahr ist noch dieser Kommerzialismus dazu gekommen, durch die Ausschlachtung von Goethes Geburtstag, nächstes Jahr ist Nietzsches 100. Todestag, die werden sicher noch einige Gründe finden, um den Tourismus voranzutreiben.

Parallel zu Weimar fanden in Goethes Geburtsstadt Frankfurt am Main auch Feierlichkeiten statt, glaubst Du, dort hätte Dir ähnliches passieren können?

Schwer zu sagen, aber ich denke nicht. Wenn dort ein Platz ist, wie etwa der Frauenplan, wo viele Leute sind, mit Biergartenstimmung, dann ist eine Gruppe von rechten Skinheads auffällig. In Frankfurt wäre es wahrscheinlich nicht passiert, weil es in diesem Sinne viel besser kontrolliert ist. In Weimar hat das aber auch viel damit zu tun, daß man dort keine Probleme aufkommen lassen will, daß Dinge weggelogen werden und daß in diesem Gemütlichkeitswahn bestimmte Dinge überhaupt nicht wahrgenommen werden.

Wie habt Ihr Euch dieser omnipräsenten Klassik gegenüber positioniert?

Wir haben was dagegen gesetzt. Uns ging es nicht darum, Weimar anzugreifen oder die Einwohner zu brüskieren, aber diesen Devotismus, der dort so unglaublich präsent ist, auch durch das KZ Buchenwald natürlich. Diese Unterwürfigkeit, dieses Übermaß an Anpassung, dem haben wir versucht, etwas entgegenzusetzen, durch das Programm, das wir dort gemacht haben.

Was war das für ein Programm?

Es gab eine Veranstaltung in einem Veranstaltungsort "Der Bau", wo das "worldhaus tv"-Projekt beheimatet war. Dort gab es eine Reihe von Veranstaltungen über die vergangenen Monate hinweg, und dort haben wir, die wir den "Sklaven Markt" machen, ein Osteuropa-Festival organisiert. Mit Literaten, Bands und Filmen. "Der Bau" ist ein provisorisches Gebäude, das nach den Festivitäten wieder abgerissen wird, ein etwas fester gebautes Zelt mit viel Technik drin. Und am vergangenen Sonntag gab es dann eine weitere Veranstaltung, bei der verschiedene Zeitschriften vorgestellt wurden, wie zum Beispiel der Müßiggangster, das Organ der glücklichen Arbeitslosen aus Berlin, und ich habe dort den Gegner vorgestellt, die Fortführung von Sklaven, die eingestellt wird. Das war ein sozial sehr engagiertes Spektrum, das wir da präsentiert haben, aber diese Veranstaltungen waren sehr schlecht besucht.

In den Berichten über den Überfall heißt es, den Weimarern sei es besonders peinlich, daß es mit Euch Prominente getroffen hat. Glaubst Du, mit einem "Wichtiger Dichter"-Tattoo auf der Stirn wäre Dir nichts passiert?

Es ist höchst peinlich, daß Angriffe auf Prominente besonders ernst genommen werden. Und deswegen halte ich es auch für sinnvoll, solche Dinge in die Medien zu bringen. Überfälle auf "normal links" aussehende Menschen bleiben sonst unbekannt. Uns ist allerdings unklar, ob wir als Prominente angegriffen wurden, oder ob wir einfach für die Rechten die Schönsten waren.

Wie greifen denn in Weimar Ost- und West-Elemente ineinander?

Es ist falsch, rechtextreme Übergriffe nur dem Osten anzulasten. Das gibt es im Westen genauso, und Weimar ist insofern auch eine westdeutsche Stadt, weil sie dort alles unter den Teppich kehren. Die kulturpolitische Administration der Stadt ist fast vollständig in westdeutscher Hand. Insofern ist das schwer zu trennen. Man kann nicht sagen, daß das alles auf FDJ- und SED-Elemente zurückzuführen ist. Es sind zehn Jahre ins Land gegangen, es hat eine politische Entwicklung stattgefunden. Und auf diesem Boden blüht diese starke rechte Subkultur. Der Bevölkerung wird das Gefühl vermittelt, man ist wer, und solche Übergriffe, die kommen nicht vor.

Mangelt es Weimar an grundlegenden zivilisatorischen Standards?

Schon in den frühen Siebzigern war der real existierende sozialistische Mief in Weimar besonders stark. Man kann nun natürlich nicht einer Stadt unterstellen, daß sie eine geschlossene Mentalität habe, aber die stark anpassungsfreundlichen Tendenzen sind schon sehr deutlich. Das hat sich im Dritten Reich gezeigt, das war in der DDR so, und das zeigt sich auch heute. Im forcierten Kapitalismus hat man sich auf die neuen Bedingungen eingestellt.

Wie unterscheidet sich denn die Goethe-Exploitation zu DDR-Zeiten von der heutigen?

In erster Linie dadurch, daß damals keine Exploitation stattgefunden hat, in dem Sinne, daß es eine Würdigung des klassischen Erbes gab, aber keinen Ausverkauf. Goethe wurde in der DDR ja auch mit Vorsicht genossen. Er war natürlich wichtig. Für den sozialistischen Realismus waren die Klassiker die absolute Basis, aber klassenpolitisch wurde das dann wieder relativiert. Goethe mit seinen Fürstenfreunden. Solche sozialen Zusammenhänge werden heute überhaupt nicht mehr hinterfragt. Heute wird nur herausgepickt, welches Item ist vermarktbar und wie stellen wir das an. Und was machen wir drumherum, um den Kommerz weitertreiben zu können. Das ist ein Unterschied.

Für die Art von Literatur, wie Du sie repräsentierst, wem fühlst Du Dich näher?

Mir sind beide Haltungen gleich fremd. Hier wie da stehe ich für die Antiklassik.