Biotop Berlin-Brandenburg

Im Bereich der Genforschung ist rot-grüne Zusammenarbeit kein Problem. Die Parole heißt: "All In One" und hauptstadtnah

Ein Biotop ist nach dem Duden ein "durch bestimmte Pflanzen- u. Tiergesellschaften gekennzeichneter Lebensraum". Ein ganz besonderes hat sich seit 1995 in Berlin und Umgebung entwickelt: Das Team des BioTOP-Aktionszentrums steht "zu allen Fragen der Biotechnologie in Berlin und Brandenburg zur Verfügung". Die Vernetzungsinitiative wird von den beiden Ländern und der Chemischen Industrie mit dem Ziel finanziert, "die Umsetzung von biotechnologischem Wissen in wirtschaftliche Leistungen zu fördern". BioTOP bietet den Service: Zusammenarbeit mit mehr als 70 Forschungseinrichtungen, Kontakte zu Banken und "erfahrenen Patentanwälten".

Der Standort hat sich - nach München und Heidelberg - zum drittwichtigsten Ballungsgebiet gentechnischer Forschung in Deutschland entwickelt: Etwa 120 Biotechnologie-Unternehmen (fast ein Fünftel aller bundesweit ansässigen) sind hier angesiedelt, Jahresumsatz mehr als 1,7 Milliarden Mark. Mit 84 Unternehmensgründungen seit 1990 liegt die Region in dieser Sparte bundesweit an der Spitze. Sie konzentrieren sich vor allem in sechs "Biotechnologieparks". Schwerpunkt in Berlin: "rote" Genforschung am Menschen, in Brandenburg "grüne" Gentechnologie (Pflanzen).

Die medizinisch ausgerichtete Humangenetik ist in Berlin mit drei Großforschungseinrichtungen vertreten: dem Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC), dem Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und der Schering AG.

Im 1992 gegründeten MDC in Berlin-Buch wurden drei medizinische Forschungseinrichtungen der ehemaligen DDR zusammengefaßt. Früher befand sich auf dem Bucher Gelände das berüchtigte Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung, aus dessen Reihen Mitglieder der Kommission zur Vorbereitung der T4-Aktion stammten und dessen Leiter Julius Hallervorden während des Nationalsozialismus umfängliche Forschungen an Gehirnen von Euthanasie-Opfern betrieb.

Als Arbeitsschwerpunkte des MDC gelten heute vor allem onkologische und kardiologische Forschungen und die entsprechenden Gentherapien. Mittels entsprechender Gentests sollen "Hochrisikopatienten sicher erkannt und rechtzeitig vorbeugenden Therapiemaßnahmen zugeführt werden". Zu diesem Zweck arbeitet das MDC eng mit der Robert-Rössle- und der Franz-Volhard-Klinik zusammen - zwei Abteilungen der Charité an der Humboldt Universität.

Gemeinsam mit der Schering AG unterhält das MDC die Biomedizinische-Forschungscampus-Berlin-Buch-GmbH, die zur Zeit einen "Biotechnologiepark" errichtet, der "die wirtschaftliche Nutzung von Forschungsergebnissen aus Labor und Klinik" gewährleisten soll. Inzwischen haben sich hier 30 Firmen angesiedelt, die biomedizinische Forschungsergebnisse vermarkten, weitere sollen hinzukommen.

Die Verknüpfung von Grundlagenforschung, klinischer Forschung und Unternehmensansiedlungen macht die besondere Qualität des MDC aus. Seit Mitte des Jahres gibt es auch ein "Gläsernes Labor", in dem Schulklassen als "Hobby-Fahnder" genetische Fingerabdrücke analysieren können. Finanziert wird das MDC zu 90 Prozent vom Bundesforschungsministerium und zu zehn Prozent vom Land Berlin.

Die zweitwichtigste Berliner Genforschungseinrichtung ist das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Dieses seit 1965 bestehende Institut in Berlin-Dahlem hat sich nach seiner Eigendarstellung der "Identifizierung von Krankheitsgenen" verschrieben. Vor allem aber ist das Institut der Hauptstandort der deutschen Genom-Entschlüsselung. Mit dem 1995 ins Leben gerufenen Deutschen Humangenomprojekt (DHGP) beteiligt sich Deutschland am weltweiten Verbund zur Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes. Die Abteilung des Institutsdirektors und Erbgutanalytikers Hans Lehrach koordiniert neben dem Krebsforschungszentrum Heidelberg das DHGP.

Herzstück dieser Forschung ist ein "Ressourcenzentrum" mit Sitz in Berlin-Charlottenburg. Die im Sprachgebrauch der WissenschaftlerInnen als "Ressourcen" bezeichneten Bestandteile menschlicher und tierischer Körper, z.B. Blut und Gensequenzen, werden als genormte Ausgangsmaterialien allen interessierten Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt. Zu diesem Ressourcenzentrum gehört auch eine sogenannte Primärdatenbank, in der sämtliche im Rahmen des DHGP entschlüsselten Basenabfolgen gespeichert werden.

Geht es um gentechnologische Forschung in Berlin, fehlt ein Name selten: die Schering AG. Das Unternehmen begann bereits 1972 mit der Anwendung gentechnischer Methoden in der Arzneimittelforschung. Das erste gentechnisch produzierte Medikament BetaseronTM - zur Behandlung von Multipler Sklerose - brachte Schering 1993 in den USA auf den Markt. Vor zwei Jahren gründete der Konzern eine eigene Genomforschungsfirma, um sich an der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes zu beteiligen: Die metaGen-Gesellschaft für Genomforschung soll dazu beitragen, die in der Humangenomforschung gewonnenen Daten "in verwertbare Informationen für die Entwicklung neuer Medikamente und neuer Diagnoseverfahren zu übersetzen", erklärte Schering-Vorstandsmitglied Günther Stock bei der Gründung des Unternehmens 1997.

In Brandenburg konzentriert sich vor allem die grüne, auf Nutzpflanzenmanipulation abzielende Genforschung der Region. Im Technologie- und Wissenschaftspark Golm bei Potsdam errichtete die Max-Planck-Gesellschaft das Institut für molekulare Pflanzenphysiologie. Es wird in diesen Tagen bezogen und tritt die Nachfolge des bis 1996 in Berlin-Dahlem agierenden Instituts für Genbiologische Forschung an. Dessen früherer Geschäftsführer Prof. Lothar Willmitzer, wurde zum Direktor der neuen Einrichtung berufen, die MitarbeiterInnen wurden weitgehend übernommen.

Schwerpunkt ist hier die Entwicklung gentechnisch manipulierter - "transgener" - Pflanzen, deren modifizierte Stärke zur industriellen Papierherstellung genutzt werden soll. Seit 1996 führt das Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm einen großangelegten Freisetzungsversuch mit gentechnisch veränderten Kartoffeln durch. In unmittelbarer Nähe wird die Universität Potsdam ihre mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät ansiedeln.

1996 beteiligte sich Willmitzer an der Gründung des Unternehmens PlantTec. Es ist auf der Halbinsel Hermannswerder im Biotech Campus Potsdam ansässig und befaßt sich ebenfalls mit transgenen Pflanzen. Knapp die Hälfte der PlantTec-MitarbeiterInnen kommen aus dem ehemaligen Institut für Genbiologische Forschung und dem Max Planck Institut für molekulare Pflanzen-Physiologie. Die Saatgut-Firma AgrEvo - eine Hoechst-Schering-Tochter - hält 20 Prozent Gesellschafteranteile und darf bestimmte Forschungsergebnisse der PlantTec exklusiv nutzen.

Im September 1998 gründete Willmitzers Institut für molekulare Pflanzenphysiologie gemeinsam mit der BASF die Firma metanomics. Die dort entwickelte Technologie soll zur Saatgutoptimierung genutzt werden. Ein Novum: An beiden Unternehmen ist entgegen ihrer bisherigen Praxis die Max-Planck-Gesellschaft direkt beteiligt.

Trotz des biotechnologischen Gründungsbooms in Berlin-Brandenburg ist nicht unumstritten, ob sich die hochgesteckten Profiterwartungen der Industrie erfüllen werden. Jüngst warnten Vertreter der Deutschen Bank vor Investitionen in der grünen Gentechnologie - im Hinblick auf die Skepsis der Verbraucher gegenüber Gentech-Produkten. Im Bereich der roten Genforschung, der "molekularen Medizin", ist die Akzeptanz größer. Und auch hier winken wie im grünen Sektor durch die Patentierung und Vermarktung von Gensequenzen beachtliche Profite.