Der Zu-Hause-Wohner

Porsche, Prada, Breakbeats und Teenage-Ängst - Panacea erfindet sich einen neuen Stoffwechsel

Wer sich mit dem Breakbeat-Noise-Core-Produzenten Panacea und seinem Porsche-Boxster auf die Autobahn begibt, kommt schnell voran. Der Berufsverkehr aus Frankfurt heraus rollt zwar etwas zäh, dafür aber ist die Gegenfahrbahn fast frei. Also die Fahrtrichung an der ersten Ausfahrt gewechselt, mit 150 Stundenkilometern in die Kurven - "daran merkt man sofort, warum man Porsche fährt, die Straßenlage" - und dann mit 230 über die leere Autobahn zurück - "paß auf, das Beste kommt noch" -, dann innerhalb von ein paar Sekunden auf 80 abbremsen.

Das wirft einen erst aus dem Sitz, drückt einen dann wieder zurück und mit leichter Zeitverzögerung fährt einem eine Druckwelle durch den Körper - puh. Alles bei offenem Verdeck. Rock'n'Roll. "Ich werde sowieso nicht 30", sagt Panacea. Anschnallen tut er sich allerdings trotzdem, auch wenn er bei 200 Stundenkilometern telefoniert. Das ist Speed im 99er-straight-edge-straight-forward-Mix. So sieht's aus bei Radikalinskis auf dem Beifahrersitz.

Denn Panacea ist der Prototyp des - ja auch in Politkreisen nicht selten vorkommenden - Modells des Von-zu-Hause-aus-die-Welt-aus-den-Angeln-treten-Bombenlegers. Alleine gegen die Kinderzimmer-Wände. Und das mit Anfang Zwanzig. Post-Teenage-Ängst kombiniert mit gesteigertem Unbehagen am Lauf der Welt.

Zwar wird ihnen aus dem Umstand, daß sie sich ihre Wäsche von ihrer Mutter waschen lassen, von Gleichaltrigen, die den Absprung in die eigene Wohnung mit Innenstadtlage geschafft und Anschluß an das wilde und gefährliche Leben in den Szene-Bezirken deutscher Großstädte haben, gerne der Vorwurf gedrechselt, sie meinten es ja gar nicht ernst. Das ist aber natürlich höchst albern und bezieht seine Logik vor allem aus dem Stolz auf eine eigene Waschmaschine. Denn die Zu-Hause-Wohner meinen es ja gerade deshalb ernst, weil sie noch zu Hause wohnen.

Und genau diese Authentizität macht den Reiz aus: Hier geht es noch um etwas, hier gibt es noch ein Anliegen. Deshalb auch der moralische Rigorismus, den sie gegenüber sich selbst und allen anderen an den Tag legen.

Das trifft auf Panacea in besonderem Maße zu, denn nachdem er auf seinen letzten Platten den Kampf gegen das Böse in Form von brachialen Noise-Attacken vor allem in die CD-Player von unaufgeräumten Altbauwohnungen trug, hat er in den vergangenen Monaten eine neue Front eröffnet: seinen eigenen Körper. Panacea ist seit einigen Monaten straight edge. Und in Anbetracht seiner Korpulenz vor dieser Entscheidung, ist das durchaus die Erwähnung wert. Keine Drogen, keine Zigaretten und kein Alkohol, nicht einmal Schokolade. Kein Fleisch, kein Weizenbier. Das volle Programm.

Zu sagen, er habe abgenommen, wäre eine Untertreibung. An seine eigene Zeit als übergewichtig erinnert nichts weiter als die Hautrollen, wo früher mal ein dicker Bauch war und jetzt die Haut nichts mehr umspannen muß - auch die werden verschwinden. Und Panacea muß schon sein Hemd lupfen, will man noch etwas davon sehen.

Das war nicht einfach. Wenn er Ovomaltine-Schokoladen-Tafeln neben der Kasse stehen sieht, dann gibt es einen schnellen Griff hin und ein langsames Zurücklegen. Für die ist er nämlich noch vor nicht allzulanger Zeit extra in die Schweiz gefahren und hat seinen Kofferraum mit 200 Stück vollgestapelt. Aber die Zeiten sind vorbei. Keine acht Schnitzel hintereinander mehr, keine vier Fertigpizzen mehr auf einmal. Diät-Mineralwasser, Müsli, Reismischungen, ausführlicher Kalorienvergleich vor dem Tiefkühlregal - und der regelmäßige Gang ins Fitness-Studio.

Dafür gibt's zwar keine Glücksgefühle nach dem Genuß von Käse mehr, aber wozu gibt es ein Auto und die Autobahn. Panacea sieht gut aus in diesen Tagen: blond, schlank, Stachelpiercings am Mund, Prada bis in die Turnschuhe, und wenn man bei einem Mineralwasser zusammensitzt und er redet, zieht er die linke Augenbraue hoch. Zum Beispiel wenn er sagt, daß er Dicke nicht leiden kann oder daß Disziplin wichtig ist.

Panacea wandelt sich und all das hört man seiner neuen Platte "Phoenix Metabolism" auch an. Phoenix hat sich erhoben und tickt mit einem anderen Stoffwechsel. Ein anderer Körper, ein anderer Sound. Keine pubertäre Teenage-Rebellion, keine Brutalo-Bösewichtereien mehr wie auf dem ersten Album, kein postpubertär-verloren-destruktives Krachgehämmer mehr wie auf dem zweiten, sondern relativ gerade Tracks, meist nicht einmal mehr übermäßig schnell und viele Soundscapes. Und auch die sind nicht wirklich klaustrophobisch, eher paranoid. Das knarzt und brummt zwar immer noch des öfteren, schreit und speit, aber - man glaubt es kaum - die Platte ist mitunter sogar spaßig.

Wobei der Spaß dann am ehesten eine Brücke in die Vergangenheit schlägt, denn die Allmachtsfantasien, der Derbste zu sein und gleichzeitig so sexy, daß stöhnende Mädchen Messages wie "Gib mir den echten Scheiß" auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, lassen sich relativ einfach mit Krach-um-das-Fiese-anzugreifen-und-wegzuhauen-Ohnmächten verbinden. Sonst geht es vor allem um Fragen wie den Zu-Hause-Wohnen-Klassiker "Wahrheit oder Fiktion" oder um das Gefühl, seiner Playstation ausgeliefert zu sein, und das Untergehen im "Datastorm".

Das Referenz-System ist nicht mehr Drum'n'Bass, sondern Hiphop und Booty Bass. Und das alles auf der Basis von Anfang-Neunziger-UK-Hardcore. Also: Autos, Chicks und Euphorie.

Dem Booty Bass, also jener Mischung von Miami Bass, Electro und Hiphop, dem in Detroit gefrönt wird, um die Autos zum Hüpfen zu bringen und die Frauen zum Booty-Schwenken, gilt Panaceas besondere Liebe. Nicht nur, weil er so seine besondere Liebe für Statussymbole am besten mit einem extrem ruffen Sound unter eine Haube bekommt, sondern auch, weil Booty Bass im Unterschied zu Drum'n'Bass eine gebrochene Art von Sexyness und ein ungebrochenes Verhältnis zum Jungs-Spaß hat. Zu guter Letzt klumpt sich im Booty Bass wahrscheinlich auch die größte Annäherung an den Anfang-Neunziger-Geist von Happy Hardcore zusammen. Damit fing bei Panacea nach seiner Zeit in einem Musikinternat und als Chorknabe - die ihn auch singend zur Beerdigung von Alfred Herrhausen führte - alles an, und das bleibt bis auf weiteres auch der Kern seines Schaffens.

All das produziert er immer noch zu Hause, als Einsiedler vor seinen Maschinen. In einem Zimmer, das mit Geräten und Schallplatten so vollgestopft ist, daß man sich kaum umdrehen kann. Doch während sich das Zu-Hause-Wohnen bisher immer in gesteigertem Radikalismus äußerte, wird es diesmal eher in den vielen Telefon-Interludes zwischen den Stücken reflektiert. Irgendwie muß man ja den Kontakt zu seinen Freunden halten.

Und deshalb auch das Auto. 100 Kilometer fährt er mit seinem Auto pro Tag im Durchschnitt, das Porsche Zentrum Würzburg hat er auf der Dankesliste der Platte gecredited, eine Doppelseite von sich selbst in feinem Zwirn vor den Motorhauben von vier Porsches ins Booklet genommen, und wenn alles gut geht, kauft er sich nächstes Jahr einen anderen Porsche, einen noch schnelleren und edler ausgestatteten.

Panacea: "Phoenix Metabolism". Force Inc. / EFA