Sloterdijk und die Eugenik

Pflanzt euch höher

"I am no longer a critical thinker", gab Peter Sloterdijk Ende Juli in Elmau seine Regression zu Protokoll. Daß er mit seinem Abschied von der Kritischen Theorie, wo ihn nur noch die wenigsten vermuteten, die Wende zu eugenischen Visionen einleiten würde, kam für die meisten doch überraschend.

Erst in den letzten Tagen hat sich der Auftritt des Karlsruher Philosophieprofessors auf dem oberbayerischen Schloß zur "Sloterdijk-Affäre" entwickelt. Klar: Er sei komplett falsch verstanden worden von seinen Kritikern, "surrealistische Versionen" seiner Rede seien in Umlauf.

Einen Kodex der "Anthropotechniken" - daseinsanalytisch verschwurbelter Ersatz für den marktgängigeren Begriff der biomedizinischen Anwendungen am Menschen - müsse die Philosophie formulieren, um nicht in regungsloser Kritik vor den neuen Chancen der gentechnischen Manipulation zu erstarren; der Mensch solle künftig nicht mehr nur als Objekt, sondern als Subjekt der "Auslese" existieren; so sprach Sloterdijk in seinen "Regeln für den Menschenpark".

Die Zeit witterte ein "Zarathustra-Projekt", der Spiegel eine "faschistische Horrorvision". Mit seiner Reklamation eines kulturellen Führungsanspruchs für die Philosophie, der impliziten Rehabilitierung des deutschen Faschismus ("die düsteren Jahre nach 1945"), seinem Eintreten für eine genetische "Menschenzähmung" und dem nietzscheanisch geprägten Vokabular galoppiert Sloterdijk in eine Richtung, in der das Projekt der Rassenhygiene angesiedelt war.

Begreift man seine biopolitischen Ziele und Methoden - formuliert in seinen Briefen an Jürgen Habermas und Zeit-Redakteur Thomas Assheuer - nicht nur als taktisches Zugeständnis, wird deutlich, daß sich das Feuilleton am mystischen Unterton der traditionsreichen Kulturkritik reibt. Die dem Jargon entkleideten Inhalte stören die Kritiker bei der internationalen Bioethik ja auch nicht.

Sloterdijk ist nicht sonderlich originell. Die Bioethik, als lukrativer Zweig einer praktischen Philosophie, betreibt das Geschäft einer modernisierten Eugenik seit Jahren recht erfolgreich - und erhält für ihre Versuche, eine genetische Verbesserung der Menschheit wegen der unkoordinierten und autonomen Entscheidungen einzelner zu rechtfertigen, von Zeit bis Spiegel regelmäßig Applaus.

Im Gegensatz zu den liberal-luftigen Regelwerken der Bioethik bewegt sich Sloterdijk mit seinem theoretischen Ballast auf dem Gebiet der "life politics" ungelenk. Es scheint, daß lediglich seine Anbindung an den philosophischen Diskurs der "Dekadenz" und der "Aufartung" (von Platon bis Nietzsche) seinen Einsatz für eine philosophische Führung der Gentechnik ins Rampenlicht der linksliberalen Öffentlichkeit rückte.

Während es sich liberale Bioethiker verbieten, esoterische Entartungsphantasien oder biologistische Erlösungsvisionen zu reichen, fordert Sloterdijk freie Fahrt für freies Manipulieren am "Altmenschen". Auf die selbstgestellte Frage, was diesen wohl als Sondermüll existierenden "Altmenschen" im Zeitalter der zahnlosen Ideologien noch zähmen könne, antwortet er mit "den Wissensmächten" und der Pflicht der Philosophen, den geöffneten Giftschrank der Selektionsrezepte zu beaufsichtigen.

Sloterdijks Empfehlung, "pränatale Selektion" anstelle des blinden Zufalls regieren zu lassen, ist überflüssig - die Pränataldiagnostik ist längst Routine. Auch seine Begeisterung für einen "Biologismus", der die genetische Verbesserung aller und nicht die Herrschaft einer Gen-Elite über den "Altmenschen heutigen Typs" anstrebt, teilt er mit vielen Genetikern, die sich als links verstehen.

Dorthin zielt auch Sloterdijks aktuelle Bemerkung gegenüber Assheuer, er unterscheide zwischen "legitimen genmedizinischen Optimierungen für die Einzelnen und illegitimen Biopolitiken für Gruppen". Nichts anderes predigen Moralphilosophen wie Peter Singer oder Richard Hare. Warum also nicht Eugenik betreiben, wenn niemand damit Probleme hat?

Anstatt aber in den Altpapiercontainer zu greifen und "pastorale Aspekte" bei Nietzsche zur Optimierung der Fortpflanzung zu loben, hätte er für diesen Zweck nur ein bioethisches Konzept wie das der "prokreativen Autonomie" mobilisieren sollen und niemand wäre wach geworden. So aber kann Reinhard Mohr im Spiegel die optimistische Ansicht wagen, noch vor zehn Jahren hätten Sloterdijks Äußerungen in der "breiten Öffentlichkeit Zorn und Empörung ausgelöst".