Prinzip Fleurop

Auf ihrem Gewerkschaftskongress will die IG Metall in Hamburg Entscheidungen für die Zukunft fällen.

Schwer erotischer Auftakt beim Gewerkschaftstag der IG Metall in Hamburg: Zu Ravels "Bolero" tanzte die Gruppe Regenbogen. Seit Bo Derek in "Ten - Die Traumfrau" bekannte, sie könne nur zu dieser Musik vögeln, soll der "Bolero" wohl Männer-Phantasien anregen. Metaller nicht ausgenommen. Das war's dann aber auch schon mit Anregendem bei der Eröffnungsveranstaltung der Metallgewerkschafter am vergangenen Sonntag.

Dabei hat sich deren Chef Klaus Zwickel vorab alle Mühe gegeben, für die richtige Stimmung zu sorgen: Da war zunächst der Affront gegen Unternehmer und Bundesarbeitsminister Walter Riester, als Zwickel vergangene Woche mit dem Ausstieg aus dem Bündnis für Arbeit für den Fall drohte, dass sich die "Rente mit 60" nicht durchsetzen werde. Und dann, kurz vor Kongress-Beginn, ging's sogar gegen die eigenen Reihen: Der IG-Metall-Vorsitzende teilte der dpa mit, die Gründung der neuen Gewerkschaft ver.di, der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, bestehend aus ÖTV, Postgewerkschaft, HBV, IG Medien und DAG, drohe den DGB zu sprengen. Dieser Prozess schaffe, so Zwickel, "zunehmend Unruhe im DGB", da ver.di Anspruch auf die Beschäftigten in der Informationstechnologie und Datenverarbeitung erhebe.

Sieht so der "Aufbruch ins neue Jahrhundert" aus, über den die Metaller nun in Hamburg debattieren? 595 Delegierte sind derzeit im Congress-Zentrum der Hansestadt versammelt, um in der Politik des 2,75 Millionen Mitglieder starken Verbandes neue Weichen für die nächsten vier Jahr zu stellen. Im Mittelpunkt: Das Bündnis für Arbeit, die Arbeitszeitverkürzung und die Forderung nach Einführung der "Rente mit 60".

Große Aufregung ist in Hamburg freilich trotz Zwickels Vorstößen nicht angesagt, nicht nur, weil die zu beratenden 432 Anträge im Ton moderat gehalten sind. Der unmittelbare Druck fehlt, schließlich ist das nächste Spitzengespräch des Bündnisses für Arbeit erst für Anfang November angesetzt. Wohl, wie Beobachter vermuten, um den Delegierten der IG Metall keinen Grund zur Aufregung zu geben. Vorzuzeigen hat man sowieso nichts. Noch vor vier Jahren, beim letzten Gewerkschaftstag in Berlin, sorgte das Bündnis, das ja bekanntlich Zwickels Erfindung ist, für den nötigen Drive. Mittlerweile, so scheint es, haben sich die Metaller mit der Groteske abgefunden: Kein einziger Antrag fordert angesichts des bisherigen Scheiterns den kategorischen Ausstieg aus den Gesprächen.

Der weitestgehende Antrag kommt von der Verwaltungsstelle im baden-württembergischen Waiblingen. Das Bündnis drohe, so stellen die schwäbischen Kollegen fest, ausschließlich zu einem "Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit" zu verkommen, wenn die Gewerkschaften nicht stärkeren politischen Einfluss nehmen. Eine Kampagnenstrategie, um eigenständige gesellschaftspolitische Ziele zu entwickeln, müsse her, fordern die Waiblinger und gehen sogar noch weiter: Sollte es im Bündnis zu Absprachen über Lohnleitlinien kommen, müsse Zwickel die Veranstaltung verlassen. Ein gutes Dutzend weiterer Anträge schließt sich dieser Forderung an. Ebenso wird bei Verabredung eines Niedriglohnsektors der Ausstieg gefordert.

Ansonsten hofft man auf Kooperation: Nach einer Entschließung des Vorstandes zum Bündnis für Arbeit setzen die Gewerkschafter "auf den Gestaltungswillen, die Gesprächsbereitschaft und Kompromissfähigkeit aller Beteiligten". Nach diesem Beschluss soll "gewerkschaftliches Streiten für Arbeit und Gerechtigkeit" den "Siegeszug des Kapitalismus pur" verhindern. Mit der Entschließung wollen die Metaller das "Zehn-Punkte-Programm für 1999 bis 2003" verabschieden. Demnach will die Gewerkschaft ihr Engagement für Frieden und Völkerverständigung verstärken. Dann, erst an zweiter Stelle, soll mit "begleitenden Aktionen und Kampagnen" das Bündnis für Arbeit zum Erfolg gebracht werden. Die Kampfansage geht an den "Shareholder-value-Kapitalismus", dem die Gewerkschafter eigene Alternativen gegenüberstellen wollen. Erstaunlicherweise will die IG Metall mit "aktiver Tarifpolitik" die Einkommen "gesichert und erhöht" wissen. Ferner soll mit einer Kampagne der "Antistreikparagraf" 116 bekämpft werden.

Und so folgt einem Allgemeinplatz der nächste. Neben der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, dem "Erhalt des Sozialstaates" und dem Bekenntnis, die "europäische und internationale Gewerkschaftsarbeit auszubauen", enthält diese Grundsatzentschließung nichts, was sich das Gewerkschafterherz nicht sowieso wünscht. Schließlich will man, wie die beiden Vorsitzenden schon vorab informierten, "den Kapitalismus gestalten". Last not least die oberste Pflicht: "Mitglieder zu gewinnen" soll nach der Entschließung auf allen Ebenen der Gewerkschaft zur "Querschnittsaufgabe" werden.

Keine Frage: Die Arbeitszeitdebatte zu führen, könnte durchaus für Spannung sorgen. Dann aber müsste inhaltlich diskutiert werden. Derzeit macht sie jedoch den Eindruck einer lustlosen Plauderei, schließlich weiß man doch im Vorstand wie auch unter den Aktiven vor Ort, dass sich mit diesem Thema nicht mobilisieren lässt. Die Konsequenz: Der Vorstand greift zur Fleurop-Methode und schlägt einen bunten Strauß von Möglichkeiten vor. Die IG Metall trete "für weitere generelle Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Entgelt- und Personalausgleich" ein, heißt es in der Entschließung.

Von der Regelung einer Jahresarbeitszeit, über ein Absenken der bisherigen Regelarbeitszeit um zehn Prozent bis hin zu einer Wochenarbeitszeitverkürzung auf 30 bis 32 Stunden ist darin alles enthalten, was irgendwie machbar erscheint. Die Verwaltungsstelle Nürnberg fordert, die IG Metall müsse wieder "Impulsgeber und Motor" der Arbeitszeitverkürzung sein. Dagegen will die Verwaltungsstelle Darmstadt "keine weitere Differenzierung und Flexibilisierung der Arbeitszeit". Einige Anträge plädieren dafür, die im Tarifvertrag eröffnete Möglichkeit der Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden zu streichen.

Eine ganze Reihe gleichlautender Anträge wurden zum Komplex "Rente mit 60" eingereicht. Folglich werden Tariffonds zum vorzeitigen Arbeitsausstieg innerhalb der IG Metall nicht mehr kategorisch abgelehnt. Insofern hat Zwickel also einen ersten Erfolg erzielt, als er dieses Thema vergangene Woche in die Öffentlichkeit hämmerte. Noch vor Jahresfrist wurde die "Rente mit 60" in den Gewerkschaften ziemlich kontrovers diskutiert: Die einen sahen darin ein Mittel zur Verjüngung der Belegschaften und somit zur Beseitigung hauptsächlich von Jugendarbeitslosigkeit. Andere hingegen vertraten die Auffassung, Tariffonds seien der Ausstieg aus der solidarisch finanzierten Rente.

Inzwischen muß sich Zwickel vor allem in anderen Gremien für die "Rente mit 60" herumschlagen: Zwischen Zwickel und dem Ex-Metaller Arbeitsminister Riester hat das Thema für einen Grundsatzstreit gesorgt. Dabei hatte Riester zu Beginn seiner Amtszeit vor einem Jahr noch begrüßt, dass "jetzt erste Vorschläge gerade aus gewerkschaftlicher Position" kommen, um mit "tariflichen Mitteln ergänzende Möglichkeiten" zum Vorruhestand aufzubauen. Heute hält Sozialdemokrat Riester eine solche Strategie für "nicht mehr finanzierbar". Zwickel hingegen bleibt dabei: "Nur mit diesem Baustein sind wir in der Lage, eine längerfristige Tarifpolitik zu vereinbaren."

Worte, die dem innerhalb seiner Gewerkschaft geschwächten Zwickel vor dem Gewerkschaftstag Pluspunkte bringen sollten. Und so galt denn auch die Wiederwahl des IG Metall-Chefs vorab als sicher. Auch der zum linken Flügel zählende zweite Vorsitzende Jürgen Peters musste nicht um seinen Posten bangen. Unbestritten bleibt freilich der Modernisierungswillen der IG Metall: Sollen doch die Verwaltungsstellen zukünftig Geschäftsstellen genannt werden, damit sich die "Mitglieder nicht verwaltet fühlen", wie es in einem Antrag zur Satzung heißt. Auch die ersten Bevollmächtigten verlieren ihren eindrucksvollen Titel: Zukünftig sind es nur noch ganz schlichte Geschäftsführer.