Zoff in der Una Sancta

Wie sich katholische Fundis und Realos um die Schein-Schwangerschaft streiten und der Bischof von Mainz den Bischof von Rom austrickst.

Geistige Verwirrung" attestierte der Fuldaer Bischof Johannes Dyba all denjenigen, die mit der Stiftung Donum Vitae (Geschenk des Lebens) die katholische Variante der Schwangerschaftskonfliktberatung doch noch retten wollten. Sprach's und jettete kurz darauf zum nächsten Schlachtfeld: vier Tage Truppen-Inspektion in Mazedonien und im Kosovo; der Siebzigjährige ist schließlich auch katholischer Militärbischof.

Zurück ließ er eine Kirche, die nach der monatelangen Kontroverse "vor dem größten Scherbenhaufen (ihrer) Nachkriegsgeschichte" (Die Zeit) steht. Tatsächlich sieht es mit der Einigkeit der "Una Sancta" nicht gut aus. Auf ihrer Herbst-Vollversammlung hatten die Bischöfe keine eindeutige Entscheidung für oder gegen den Verbleib im staatlichen Beratungssystem zu Stande gebracht. Der Vorsitzende Karl Lehmann musste am 24. September ankündigen, es gebe nach dem jüngsten Papstschreiben "wenig Spielraum" für die Fortsetzung der bisherigen Beratungspraxis. Knapp ein Drittel der 27 Ortsbischöfe will aber am Liebsten sofort aus dem staatlichen System aussteigen. Der Paderborner Erzbischof Joachim Degenhardt kündigte an, in seinem Bistum würden ab Januar 2000 keine Beratungsscheine mehr ausgestellt. Einige geistliche Kollegen sollen gar über einen Rücktritt nachdenken.

Der Streit ist handfest. "Systematische Desinformation" durch "Schreibtischtäter" sei da erfolgt, beklagte Lehmann. Davon angesprochen darf sich vor allem der Kölner Kardinal Joachim Meisner fühlen, der Lehmann und andere Amtsbrüder beim "Heiligen Vater" angeschwärzt hatte: In einem Brief stellte er den Kompromiss vom 22. Juni in Frage, der im Wesentlichen auf Lehmanns Vermittlung entstanden war und vorschlug, die künftigen Beratungsscheine mit einer bischöflichen Gebrauchsanweisung zu versehen ("Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden.").

Mitte September bestellte der Papst daraufhin Lehmann und zwei weitere deutsche Bischöfe in seine Sommerresidenz Castel Gandolfo ein. Ein "sachliches und brüderliches Gespräch" habe man geführt, ließ der Vatikan verlauten. Wer's glaubt, wird selig - unmittelbar nach dem Treffens entstand jener Mahnbrief vom 18. September, den die Kardinäle Joseph Ratzinger und Angelo Sodano im Auftrag des Papstes an die deutschen Bischöfe geschrieben hatten.

"Es hat keinen Sinn, etwas mit Tricks zu versuchen", gestand der gerade mit einer Zweidrittel-Mehrheit wiedergewählte Bischofsvorsitzende Lehmann am Ende der Herbst-Vollversammlung ein und griff dann in den Zylinder: Nun sollen es, mit seinem Segen, die "Laien" richten. Ausdrücklich ermutigte Lehmann die Initiative zur Gründung von Donum Vitae und deutete sogar eine mögliche Zusammenarbeit mit der Amtskirche an. Schließlich haben nicht die ewig nörgelnden Basischristen von der "Kirchenvolksbewegung" den Verein gegründet, sondern so honorige Leute wie die CDU-Ministerpräsidenten Erwin Teufel und Bernhard Vogel, verstärkt durch Norbert Blüm und Wolfgang Thierse sowie den Ex-Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer.

Vorsitzende des Vereins ist die ehemalige ZdK-Vorsitzende und CDU-Politikerin Rita Waschbüsch, die an der rechtgläubigen Ausrichtung des neuen Vereins keinen Zweifel lässt. Donum Vitae strebe insbesondere den Schutz des ungeborenen Lebens an, die Beratungsscheine des Vereins sollten daher den Zusatz tragen: "Die Aushändigung dieses Nachweises bedeutet keinerlei Akzeptanz eines Schwangerschaftsabbruchs." Die unionsregierten Bundesländer haben bereits zugesichert, das neue Unternehmen finanziell zu fördern, schließlich garantiere eine katholische Beratung Ausgewogenheit und Pluralität im deutschen Beratungssystem.

Doch es ist fraglich, ob das Projekt über markige Sprüche hinauskommt und tatsächlich die 270 katholischen Beratungsstellen ersetzen kann. Abgesehen davon, dass diese nicht aufgelöst werden und folglich mit dem neuen Projekt konkurrieren, muss ein Beratungsstellen-Träger mindestens 20 Prozent der laufenden Kosten seiner Einrichtung selbst aufbringen. Die aufmüpfigen Laien setzen zwar auf Spenden, glauben aber auf Nachfrage selbst nicht an ein Geldvermehrungswunder: Es sei fraglich, "ob Katholiken bereit sind, nachdem sie schon zu viel Kirchensteuern bezahlen, da auch noch Millionen aufzubringen", meint etwa der katholische Theologe und Chefdissident Hans Küng.

Wer während der Debatte die Reaktion der Öffentlichkeit verfolgte, konnte meinen, die deutschen Bischöfe hätten eine PR-Agentur mit einer Sympathie-Kampagne beauftragt. Kaum ein Kommentar, der nicht gegen Rom und für den "liberalen Vordenker" (taz) Lehmann Partei genommen hätte. Nur wenige Stimmen bestritten generell die moralische und juristische Legitimation der Kirche zur Beratung schwangerer Frauen. "Außerordentlich engagiert und erfolgreich" sei die deutsche katholische Kirche beim "Schutz des ungeborenen Lebens" gewesen, stellte der Grüne Winfried Kretschmann anerkennend fest. Brandenburgs Noch-SPD-Sozialministerin Regine Hildebrandt lobte die "segensreiche" Arbeit der katholischen Beratungsstellen.

"Kritische" Katholiken wie Rita Süssmuth argumentierten durchweg mit der Effektivität des bisherigen Systems, schließlich seien dadurch allein 1998 bis zu 5 000 Abtreibungen verhindert worden. So hat die Debatte den Maßstab weit nach Rechts verschoben. Das deutsche Abtreibungsrecht nach Paragraf 218 und 219, dessen Zwangsberatung mit Liberalität wahrlich nichts zu tun hat, erscheint fast als linkes Projekt, mindestens aber als kleineres Übel.

Das Grundsätzliche des innerkatholischen Streites liegt jedoch jenseits der Diskussion um Abtreibung oder Beratungsscheine. Künftig werden bei den Katholiken wohl zwei kirchliche Konzeptionen verstärkt miteinander konkurrieren: Während Lehmann und das ZdK auf Zusammenarbeit mit dem Staat und gesellschaftlichen Gruppen setzen, um den kirchlichen Einfluss zu sichern, fordern Dyba und Meisner Abgrenzung, um die katholischen Wertvorstellungen wieder stärker zu betonen. So hat Dyba schon in der Vergangenheit immer wieder eine Herauslösung der katholischen Fakultäten aus den Universitäten gefordert - zu gefährlich erschien es ihm, die künftigen Funktionäre dem allgemeinen wissenschaftlichen Diskurs auszusetzen.

Solange die Union im Bund regierte, hielten sich die Bischöfe meist an die gesellschaftlichen Spielregeln, wenn auch oft zähneknirschend. Orientierungslos sind nun vor allem einige CDU-Politiker der alten Garde: Blüm und Süssmuth, Kues und Remmers. Ihr Einsatz für die jetzige Fassung des Paragrafen 218 geschah ja gerade mit dem Argument, man wolle die katholische Kirche "mit ins Boot" holen. Da stehen die erzkonservativen "Christdemokraten für das Leben", denen rund 20 Bundestagsabgeordnete angehören, besser da: Sie haben schon eine Rückkehr zur Indikationenregelung gefordert.