Ein Baum im Hain

Über die zunehmenden Proteste gegen die Friedrichshainer Nazi-Kneipe "Der Baum" ärgern sich die Berliner Quartiersmanager.

In der Libauer Straße in Berlin-Friedrichshain gibt es einen Baum. Nein, nicht irgendeinen Baum - einen recht ungewöhnlichen. Der Baum hat sogar eine Tür. Und hinter den beiden Fenstern hängen altmodische Rüschengardinen. Meist aber sieht man sie nicht, weil die Rolläden geschlossen sind.

Denn der "Baum" in der Libauer Straße ist weder Laub- noch Nadelgewächs, sondern eine Kneipe. Nein, nicht irgendeine Kneipe - sondern eine, die sehr umstritten ist. Das ist eigentlich nichts Außergewöhnliches. Laute Musik und grölende Gäste bis spät in die Nacht kommen bei Nachbarn eben nicht gut an. Die Bewohner der Libauer Straße stören sich hauptsächlich an den Gästen im "Baum". Nein, nicht irgendwelche Gäste - solche mit kurzen Haaren, Springerstiefeln und Bomberjacken: rechtsextreme Jugendliche, Hooligans und organisierte Nazis.

Seit einigen Monaten gilt der "Baum" als Nazitreffpunkt. Und das, obwohl Friedrichshain doch als Szene-Bezirk bekannt ist - oder es zumindest lange Zeit war. Ehemals besetzte Häuser und linke Polit-WG, Infoläden und selbst organisierte Cafés prägen neben den üblichen Ostberliner Prolls das Erscheinungsbild des Bezirks.

Nun aber kommen in der so piefig erscheinenden Kneipe die jungen kurzhaarigen Männer zusammen, um gemeinsam zu saufen, abzuhängen oder auch mal loszuziehen, um Ausländer oder Linke "aufzumischen". Ständig hängen sie vor dem "Baum" herum, gebärden sich so männlich wie nur irgend möglich, nennen Vorbeigehende auch schon mal "Judennase" oder greifen sie körperlich an.

Die Wirtin Doris Engel stört das alles nicht. Anfang des Jahres hat ihr Mann die Kneipe übernommen. Mittlerweile führt sie den Laden, weil ihr Gatte im Knast sitzt - wegen eines "Bagatelldeliktes", wie es beim Bezirksamt heißt. Engel scheint mit den rechtsextremen Gästen bestens auszukommen. Liebevoll redet sie von "meinen Jungs". Am Outfit, den rechten Sprüchen und der Musik ihrer Besucher kann sie erstmal nichts Schlimmes finden. Im Grunde ist das ja auch in anderen Proll-Kneipen ganz ähnlich - Hauptsache, der Umsatz stimmt. Und das zur Genugtuung beider Seiten. Denn die rechte Klientel, so verrät ein Behördenvertreter, fühle sich im "Baum" auch deswegen so wohl, "weil das Saufen dort einfach etwas billiger ist als woanders".

Neben Hooligans, die sich zwar als "rechts, aber unorganisiert" bezeichnen und trotzdem gerne Jagd auf Ausländer machen, treffen sich im "Baum" in erster Linie Nazis aus dem so genannten Kameradschaftsspektrum. Formale Mitgliedschaften gibt es bei den Kameradschaften zwar nicht, durch Koordination untereinander können sie dennoch auf eine gewisse Infrastruktur zurückgreifen und sind vor allem wesentlich aktionistischer als die Wahlpartei NPD.

Wo sich ein so großes faschistisches Potenzial wie im "Baum" zusammenfindet, darf aber die NPD auf keinen Fall fehlen. Aktivisten der Nazipartei besuchen die Friedrichshainer Kneipe schon mal in der Hoffnung, hier neue Mitglieder rekrutieren zu können.

Der Verfassungsschutz hat nach eigenen Angaben bisher kein Auge auf die Kneipe in der Libauer Straße geworfen. Aufgabe des Amtes sei allein die Beobachtung organisierter Extremisten. Das lose Zusammentreffen in der Kneipe gehöre nicht dazu - obwohl der jährliche Verfassungsschutzbericht auch die Unabhängigen Kameradschaften aufführt. Aber im Gegensatz zum Lichtenberger "Café Germania", das bis Ende vergangenen Jahres Treffpunkt der Berliner Neonazi-Szene war, wird der "Baum" nicht von den Rechtsextremen selbst betrieben, sondern lediglich von ihnen frequentiert.

Bei der Polizei dagegen ist der "Baum" durchaus bekannt. Die Schutzpolizei zeigt in der Libauer Straße regelmäßig Präsenz. Bisher, so antwortete der Innensenat auf eine Kleine Anfrage des PDS-Abgeordneten Freke Over, gebe es bereits neun Strafanzeigen, "die in direktem örtlichem Zusammenhang mit der betreffenden Gaststätte stehen". Anfang Juli sei es vor dem "Baum" gar "zu einer wechselseitigen gefährlichen Körperverletzung zwischen einem Ausländer und einem deutschen Staatsangehörigen" gekommen.

Das Gefährlichste an der Kneipe, so die Meinung von Innenverwaltung und Polizei, sei jedoch die Gegenmobilisierung der Antifa. Bei sechs der neun Strafanzeigen geht es um Aktionen gegen die Gaststätte - darunter auch "gemeinschaftlich begangene Delikte in Verbindung mit Landfriedensbruch". Und so erklärt sich auf Anfrage ein Kriminalbeamter des Referates Rechtsextremismus beim Berliner Staatsschutz auch für "nicht zuständig" und verweist an einen Kollegen vom Referat Linksextremismus: "Der kann Ihnen mehr dazu sagen." Darf er aber nicht. Sonst wäre eventuell der Erfolg polizeilicher Maßnahmen gefährdet.

Angesichts der Behörden-Befürchtung, das Schreckgespenst Antifa-Bewegung werde nicht ruhen, bis der "Baum" dichtmacht oder zumindest die rechten Gäste ausbleiben, setzt das Bezirksamt Friedrichshain auf Mediation: Wenn sich alle an einen Tisch setzen und über ihre Probleme miteinander plaudern, dann wird's schon irgendwie werden. Alle Seiten, so ist der Wunsch der Bezirksverwaltung, sollen am Ende zufrieden sein. Das alles unter dem Vorzeichen des so genannten Quartiersmanagements. Der Bezirk soll attraktiver werden - und da passt das Bild von prügelnden Nazis, aufgebrachten Nachbarn und demonstrierenden Antifas eben nicht so richtig hinein.

Die bisherige Berichterstattung der Berliner Lokalpresse über den "Baum" und dessen rechtsextreme Gäste sieht man daher nicht gerade gern: Für die vom Bezirksamt initiierten Gespräche zur "Beilegung des Konfliktes" seien der Medienrummel, die von den Anwohnern organisierten Unterschriftenlisten gegen den "Baum" und die Aktionen von Antifa-Initiativen nicht gerade förderlich, finden die Quartiersmanager.