Ein Symbol für beide Seiten

Der Kampf um "Mumia"

Auch wenn Todesurteile in den Vereinigten Staaten alltäglich sind: Seit Jahrzehnten haben die USA einen solch politisierten Strafprozess wie den gegen Mumia Abu-Jamal nicht mehr erlebt. Und so hat das Ringen um die Hinrichtung oder Freilassung des seit 1982 auf die Vollstreckung seines Urteils wartenden Journalisten mittlerweile kaum noch etwas damit zu tun, ob Jamal vor 18 Jahren den Polizisten Daniel Faulkner erschoss oder nicht. Es geht um mehr, sowohl für diejenigen, die den ehemaligen Black-Panther-Aktivisten tot sehen wollen, als auch für seine UnterstützerInnen.

Der Mensch Mumia Abu-Jamal ist mittlerweile Symbol für eine große Anzahl politischer Gruppierungen geworden: Gegner der Todesstrafe, die maoistische Revolutionary Communist Party, Initiativen gegen Polizeibrutalität, das Free Speech Movement, antirassistische Initiativen, diverse Nachfolgeorganisationen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, amnesty international, kurz: die Linke plus MenschenrechtlerInnen jeglicher Schattierung - sie alle kämpfen unter ihrem je eigenen Blickwinkel gegen seine Hinrichtung und ordnen Jamal so in die eigenen Zusammenhänge ein. Mit seinen eigenen Worten: "Manchmal befürchte ich, dass es einigen Leuten schwer fällt zu sehen, dass ich kein Symbol, sondern ein Mensch bin."

Doch ohne eine weitgehende Symbolisierung der Person des Todeskandidaten ließe sich wohl kaum eine internationale Solidaritäts-Bewegung auf die Beine stellen, mit der sich ein Großteil der Linken identifizieren kann. Der Sammelpunkt "Mumia" lässt die Linke für einen Moment vereint auftreten - und wer träumt nicht von einer solchen Einheit?

Doch auch für die Gegenseite, namentlich die verantwortlichen Richter, die rassistische Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police und die Law-and-order-Advokaten in den USA, geht es um viel. Z.B. um die Glaubwürdigkeit des Justizsystems. "Glaubwürdigkeit" im Sinne einer Machtdemonstration, nach dem Motto: "Wo kämen wir hin, wenn sich die amerikanische Justiz dem Druck der Straße beugen würde?"

Egal, ob Jamal gemordet hat oder nicht, egal, ob der Prozess nach allen Regeln der Strafprozessordnung korrekt war oder nicht - wenn die letzte Revisionsmöglichkeit ausgeschöpft und das endgültige Todesurteil unterzeichnet ist, hat ein System bewiesen, dass es Recht hat, da es "Recht" definiert. Jetzt nachzugeben, würde für die beteiligten Richter, die Staatsanwaltschaft und auch für den Gouverneur von Pennsylvania, Tom Ridge, einen folgenschweren Gesichtsverlust bedeuten. Die wählende Öffentlichkeit in den USA honoriert Demonstrationen von Härte, doch mit "Verlierern" wird kurzer Prozess gemacht.

Zudem würde die Hinrichtung aber auch einen Sieg über "Mumia" und alles, wofür dieses Symbol steht, bedeuten. Mumia Abu-Jamal wäre, wie zum Beispiel Malcolm X, ein weiterer Märtyrer, dessen Bild auf Demonstrationen auftauchen würde. Doch dass dann seine Attraktivität als Symbol größer würde oder wenigstens gleich bliebe, darf bezweifelt werden. Sicherlich gäbe es Ausschreitungen, die mit denen von South Central Los Angeles 1992 vergleichbar wären, doch die Law-and-order-Fraktion der politischen Klasse dürfte diesen Preis gerne zahlen.

Die Polizeigewerkschaft FOP indes betreibt ihre eigene Politik gegen die Mumia-Kampagne: Bei ihrer jährlichen Konferenz am 11. August in Alabama verabschiedete sie eine Resolution mit dem Inhalt, jede Firma und jede Person, die sich mit Mumia Abu-Jamal solidarisch zeigt, wirtschaftlich zu boykottieren. Beim Wirtschaftlichen wollte man es aber gar nicht erst belassen: Vor einigen Monaten konnten die Produzenten eines Filmes mit Whoopi Goldberg die Polizei nicht dazu bewegen, einen Drehort abzusperren. Begründung: Die Schauspielerin hatte sich für die Freilassung Jamals ausgesprochen.