Die moderne Rechte

Die moderne Sozialdemokratie verbindet den liberalen Markt mit dem starken Staat.

Cross-Over bei den Sozis. Jeder ist sein eigener Unternehmer, sagen Blair und Schröder und propagieren ein neoliberales Gesellschaftsbild. Doch moderne Sozialdemokraten wollen mehr als traditionelle Wirtschaftsliberale: Der Nationalstaat soll nicht verschwinden, sondern eine neue Rolle spielen - mal autoritär, mal fürsorglich.

Das Modell ist attraktiv. Auch der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider findet diese Mischung prima und fasst die Möglichkeit ins Auge, mit den Sozis zu koalieren. Oder ist die moderne Sozialdemokratie am Ende die moderne Rechte? Die Diskussion wird in den nächsten Ausgaben fortgesetzt.

Der Dritte Weg ist das Ziel: Seit einigen Jahren versuchen sich die europäischen Sozialdemokraten - allen voran die in Deutschland und Großbritannien - zu modernisieren und marschieren dabei stramm nach Rechts. Populismus, Führerfiguren und Zentralismus der parteipolitischen Strukturen kennzeichnen dabei die "moderne Sozialdemokratie" als Partei. Die von einigen diagnostizierte "Amerikanisierung" der Sozialdemokratie ist jedoch mehr als nur ein Import von Wahlkampftechniken. Das "Neue" ist auch kein "Thatcherismus mit menschlichem Antlitz". Die Sozialdemokratie erweist sich vielmehr als konsequenter in der Formulierung marktgerechter Politik, denn sie agiert ohne den klassischen konservativen Ballast. Sie übernimmt damit das Erbe der Konservativen und präsentiert sich als die eigentliche moderne Rechte.

Für die moderne Sozialdemokratie gibt es keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur noch effektive oder ineffektive. Die Ertragslage gilt es mit dem Verweis auf den "Naturzwang der Globalisierung" zu sichern. Die sozialdemokratische moderne Rechte signalisiert: Die "soziale Frage" ist in den Griff zu bekommen. Die statistische Arbeitslosigkeit wird beseitigt, offene Armut vermieden, überlastete Sozialetats werden saniert. Das Blair / Schröder-Papier fasst dies nochmals zusammen. Neoliberale Wirtschaftspolitik, gepaart mit einer klaren Definition sozialer Mindeststandards, mit innerer Aufrüstung und verschärfter Repression gegen die Verlierer sind die Essentials. Diese kommen in den Aussagen zur inneren Sicherheit und zur Drogenpolitik ebenso klar zum Ausdruck wie im Wandel von sozialen Rechten hin zum nachdrücklichen Zwang, sich im Niedriglohnsektor zu verdingen.

Der Staat spielt dabei alles andere als eine schwache Rolle, sowohl in ökonomischer wie auch in innenpolitischer Hinsicht: "Flexible Märkte müssen mit einer neu definierten Rolle für einen aktiven Staat kombiniert werden" (Blair / Schröder). Die "Kehrseite der liberalen Medaille ist die Ordnungs- und Sicherheitspolitik - als einzig mögliche Antwort auf die zu erwartende soziale Verwüstung", schrieb dazu Daniel Bensaid in Le Monde diplomatique (Nr. 12/98). Er verweist darauf, dass Blair seine Partei als die von "Recht und Ordnung" und von "Null-Toleranz" bereits profiliert hat. Blair / Schröder wiederholen die Sicherheitsrhetorik der Rechten, beschwören die Schreckgespenster von "steigender Kriminalität und Vandalismus" und erklären die "Sicherheit auf den Straßen" zum "Bürgerrecht".

Sozialpolitik ist Ordnungspolitik. New Labour wandelt sich von der Arbeiterpartei zur Arbeitspartei, und dies meint: Arbeitsbeschaffung durch rigide staatliche Maßnahmen. Die von Blair und Schröder beschworene "Treue zu unseren Werten" ist mehr als eine Floskel. "Unsere" Werte sind Leistung, Leistung, Leistung und Eigenverantwortung. Als wolle die Sozialdemokratie den Betrieb Europa zur 150prozentigen Planerfüllung treiben, werden die Worte: herausragende Leistung, Kreativität, Erfolg, neuer Unternehmergeist, Eigenverantwortung in ihrem Programmpapier ohn' Unterlass wiederholt.

Diese mit Identität, Unabhängigkeit und Selbstwertgefühl argumentierende Arbeitsethik entspricht in ihrer Fetischisierung traditionellem sozialdemokratischem Habitus. Hier wird aber gleichzeitig auch deutlich, wie diese Arbeitsethik funktionalisiert wird. Sie ist ideologisches Element der als Modernisierung erscheinenden Durchkapitalisierung der Gesellschaft.

"Allzuoft werden Rechte höher bewertet als Pflichten." "Keine Rechte ohne Pflichten", das war schon der Slogan des traditionellen Sozialismus, vom "frühen" bis zu dem der SED. Die Verfassung der DDR hielt neben dem Recht auch die Pflicht zur Arbeit fest. Das Anspruchsdenken muss aufhören, die VerliererInnen der Gesellschaft sollen von "überflüssigen Essern" zu produktiven Mitgliedern der Gemeinschaft gemacht werden.

Wie sieht "die gezielte Rückführung aus der sozialen Abhängigkeit in Erwerbstätigkeit" (Blair / Schröder) aus? Verstärkte Arbeitspflicht bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen, sinnvollerweise gepaart mit einer Grundsicherung (BürgerInnengeld), flexible Arbeitsverhältnisse und ein Niedriglohnsektor sind die Komponenten der modernen Sozialpolitik. Der von den VordenkerInnen der sozialdemokratischen modernen Rechten entworfene "dritte Sektor" bildet dabei die moderne Variante des Armenhauses.

Diese "moderne Sozialpolitik" soll dazu führen, dass der Kapitalismus künftig nicht mehr eine Veranstaltung widerstreitender Interessen ist: "Die traditionellen Konflikte am Arbeitsplatz" (Blair / Schröder) müssten überwunden werden. Ein einig Volk übernimmt "die gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl".

Partnerschaft bei der Arbeit, und die ArbeiterInnen erhalten zumindest die "Chance" auf den gerechten - und nicht mehr den gleichen, wie noch die alte Sozialdemokratie formulierte - Arbeitsertrag. Sozialer Frieden ist dann selbstverständlich. Arbeitslosigkeit selbst wird von der "modernen Rechten" nur noch als Gefahr für die Gemeinschaft gedeutet, insofern ist "eine Zunahme der Beschäftigung und der Beschäftigungschancen [...] die beste Garantie für eine in sich gefestigte Gesellschaft" (Blair / Schröder).

Marktliberalismus und Autoritarismus bilden sich in den Konzepten der sozialdemokratischen modernen Rechten doppelt ab: Als selbstbewusste staatliche Wirtschaftspolitik und innenpolitisch als repressiver Wohlfahrtsstaat mit Betonung von sozialen Pflichten (statt Rechten) und sozialer Grundsicherung. Neoliberalismus und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns (seit April 1999) bilden den Dritten Weg von New Labour.

Und dafür wird jeder in die Pflicht genommen. Für "unsere Volkswirtschaften" (Blair / Schröder) sind wir schließlich alle verantwortlich. "Governance", der neue, moderne Politikstil, der dies zum Ausdruck bringt, wird als entpolitisierte staatliche Regulierung begriffen: technisches Management, die Politische Ökonomie des 21. Jahrhunderts, in dem es keine Alternative zum Kapitalismus (Giddens) mehr gibt. Geld und Zinspolitik werden an "unabhängige" Zentralbanken delegiert - eine Institution, die ohne demokratisch-politische Legitimation auch Ökonomie nur noch als neutralen, technischen Fakt begreift.

Der "radikale Reformismus" der modernen, sozialdemokratischen Rechten distanziert sich entsprechend vom ideologischen Keynesianismus der siebziger Jahre: "Die beiden vergangenen Jahrzehnte des neoliberalen Laisser-faire sind vorüber. An ihre Stelle darf jedoch keine Renaissance des 'deficit spending' und massiver staatlicher Intervention im Stile der siebziger Jahre treten. Eine solche Politik führt heute in die falsche Richtung" (Blair / Schröder). Die Sicherung "unserer Volkswirtschaften" wird nicht mehr über die Vision der keynesianischen "Globalsteuerung" verfolgt. Zur Umsetzung ihrer Vorstellung setzt die Sozialdemokratie auf die Kräfte des Marktes, auf die ungeschützte Konkurrenz der Arbeitsanbieter. Es wird jedoch - sozialdemokratisch modern - nicht nur die Ideologie der zu befreienden Märkte gepredigt.

Moderne Politik hat zwei Ebenen: "Moderne Sozialdemokraten sind keine Laisser-faire-Neoliberalen. Flexible Märkte müssen mit einer neu definierten Rolle für einen aktiven Staat kombiniert werden. Erste Priorität muß die Investition in menschliches und soziales Kapital sein." (Blair / Schröder) Der sozialdemokratische "aktive Staat" ist eben kein verschwindender. Es wird nicht versucht, die Rolle des Staates herunterzuspielen. Offen und offensiv werden die Steuerungs- und Kontrollkapazitäten des Staates auch im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik propagiert.

Dies bekennende Verhältnis zu staatlichen Eingriffen und staatlicher Macht unterscheidet die Sozialdemokratie von den Konservativen und ihren "liberalen" Ideologemen. Aber auch die Art der Steuerung unterscheidet sich von derjenigen sowohl der Konservativen wie auch der alten Sozialdemokratie. Der "Scheinwiderspruch von Angebots- und Nachfragepolitik" soll zu Gunsten eines "fruchtbaren Miteinanders von mikroökonomischer Flexibilität und makroökonomischer Stabilität" überwunden werden (Blair / Schröder).

Blairs Programm "welfare to work", so Bensaid, "wird das System der sozialen Sicherung in ein System der Zwangsarbeit mit sozialer Grundsicherung umbauen". Bei Blair und Schröder hört sich dies so an: "Moderne Sozialdemokraten wollen das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln." Oder: Jeder Mensch wird zum Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft, die er als Ware herstellt und feilbietet - zu welchem Preis auch immer.