Die Geschichte eines Schwarzen

Falsche Kugel

Die politische Laufbahn Mumia Abu-Jamals beginnt früh: Mit 15 Jahren zählt er 1969 zu den Mitbegründern der Black Panther-Gruppe in Philadelphia. Als er dort seinen ersten Posten als Kommunikationssekretär übernimmt, arbeitet Abu-Jamal bereits als Journalist. Damals läuft gerade das vom FBI initiierte Programm Cointelpro an - eine Operation mit dem Ziel, als staatsfeindlich wahrgenommene Gruppen "zu neutralisieren". Abu-Jamal schafft es bis in den "key agitators index" des FBI und steht praktisch unter ständiger Überwachung, obwohl er niemals einer kriminellen Aktivität verdächtigt wird.

Als die Panthers in den frühen Siebzigern Auflösungserscheinungen zeigen, wendet er sich dem Radiojournalismus zu, verdient seinen Lebensunterhalt aber als Taxifahrer. Seine meistbeachtete Arbeit: Die Berichte über quasi-militärische Polizeiaktionen gegen "Move", eine Nachfolgegruppe der Panthers in Philadelphia.

Am frühen Morgen des 9. Dezember 1981, Abu-Jamal ist gerade mit seinem Taxi unterwegs, bemerkt er, wie das Auto seines Bruders William Cook von der Polizei angehalten wird. Er steigt aus, geht in Richtung des Geschehens, flüchtet aber, als er sieht, wie ein Polizist den Bruder zu schlagen beginnt. Was dann geschieht, ist unklar, doch das Ergebnis ist bekannt: Abu-Jamal bleibt mit einer schweren Schusswunde im Oberkörper liegen, der Polizist Daniel Faulkner ist tot. Abu-Jamals Bruder ist bis heute untergetaucht.

In der Folge wird der Journalist wegen Mordes angeklagt. Er beschließt, sich selbst zu verteidigen. Der Prozess erfüllt alle Kriterien der Regelwidrigkeit: Schon im Vorfeld stellt die Staatsanwaltschaft Ausschlussanträge gegen drei Viertel der afroamerikanischen Kandidaten für die Jury. Nachdem Abu-Jamal protestiert, schließt ihn der Vorsitzende Richter und Ex-Polizist Albert F. Sabo aus und ersetzt ihn durch einen Anwalt, der nach eigenem Bekunden mit dem Prozess nichts zu tun haben will. Abu-Jamal wird im weiteren Verlauf so häufig vom Prozess ausgeschlossen, dass er seine Verteidigung nicht ernsthaft wahrnehmen kann. Die beiden einzigen Zeugen, die ihn als Täter identifizieren, sind selbst wegen kleinerer Vergehen angeklagt und werden unter Druck gesetzt, eine Schwarze wird von Sabo aus der Jury entfernt und durch einen Weißen ersetzt. Am 3. Juli 1982 verurteilt Sabo Abu-Jamal wegen Mordes zum Tode, 1989 lehnt der Oberste Gerichtshof von Pennsylvania die Revision ab.

1990 gelingt es Abu-Jamal, den in politischen Prozessen erfahrenen Anwalt Leonard Weinglass zu gewinnen. Weinglass lässt Gutachten über den Tathergang erstellen. Als Gouverneur Thomas Ridge am 1. Juni 1995 das Urteil unterzeichnet und die Hinrichtung für den 17. August anordnet, kann Weinglass einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vorlegen.

Der zuständige Richter - wieder ist es Sabo - muss dem Antrag stattgeben, es gelingt ihm jedoch, die Einwände der Verteidigung für nicht mehr zulassungsfähig zu erklären. Begründung: Sie hätten auch zum ursprünglichen Prozess vorgelegt werden können. Die Verteidigung muss nun ihre Einwände - etwa die Tatsache, dass die Kugel in Faulkners Körper nicht das gleiche Kaliber hatte wie Abu-Jamals Revolver - einzeln wieder vorbringen.

Am 29. Oktober 1998 lehnt der Oberste Gerichtshof von Pennsylvania sämtliche Anträge ab. Jamals Anwälten bleibt nur noch der Weg zum Obersten Bundesgerichtshof. Doch der verweigert am 4. Oktober dieses Jahres die Behandlung des Falles. Pennsylvanias Gouverneur unterzeichnet das Todesurteil und legt die Hinrichtung auf den 2. Dezember fest.