Die Frau mit dem Torpedo

Hedy Lamarr hatte den ersten on-screen-orgasm der Kinogeschichte, erfand die Funkfernsteuerung für Torpedos, eine Technologie, die heute Handys laufen lässt, und sie mag Bart Simpson.

Hedy Lamarr hat den modernen, ordentlichen Daten-Krieg erst möglich gemacht. Welcher Hollywood-Star kann damit in seiner Biografie aufwarten? Eine Biografie, die ohnehin so monumental ist, dass es der Vorstellungskraft eines Cecil B. deMille bedürfte, um sie auf die Leinwand zu bringen. Mit dem hat Hedy Lamarr tatsächlich ihren größten Erfolg in Hollywood verbuchen können, 1949 als enigmatische Delilah in dem Bibelschinken "Samson und Delilah". Kein Film allerdings, für den sie bei eingefleischten Cineasten hätte Punkte machen können. Und das gilt eigentlich für alle ihre Filme. Lamarrs Marktwert lag eher in ihrer unterkühlten, blendend-schönen Erscheinung, einer Mischung aus Schneewittchen und Sphinx.

Zwar erklärte Louis B. Mayer, der Chef von MGM, sie Ende der Dreißiger zur "schönsten Frau der Welt", eine eindeutige Kampfansage an die Vormachtstellung der Wasserstoffblondine, allen voran Jean Harlow, deren Tod später tatsächlich mit der häufigen Anwendung des Bleichmittels Peroxid in Zusammenhang gebracht wurde. Doch Anpassungsfähigkeit war nie Lamarrs Stärke. Ihre Verachtung für die patriarchalen Hollywood-Mechanismen (in ihrem Fall Sexismus, Ausbeutung und marktgerechte Identitätsstiftung) gipfelte in der Erkenntnis: "Any girl can look glamorous. All she has to do is stand still and look stupid." Und weil sie sich den Willen der Studio-Bosse nicht aufzwängen ließ, war ihre Filmkarriere Mitte der Fünfziger auch schon beendet. Heute findet sich keiner ihrer Filme im nationalen Filmarchiv von Österreich wieder, dem Land, aus dem sie 1937 geflohen war.

Bis hierhin langt das aber bestenfalls für eine Fußnote in "Hollywood Babylon". Lamarrs Biografie ist eine Ansammlung von Skandalen, Katastrophen, Rückschlägen und kleinen und großen Missverständnissen. Erstmals erregte sie 1933 Aufsehen mit ihrer Nacktszene in dem österreichischen Film "Ekstase". Aufnahmen, die die Legende begründeten, sie habe die erste Nacktszene der Kinogeschichte gedreht. Das stimmt zwar nicht, wohl aber stellt ihr erregt geöffneter Mund so etwas wie den ersten on-screen-orgasm dar.

Nach ihrem Karriere-Einbruch in den späten Fünfzigern wäre ihr 1966 beinahe ein Hollywood-Comeback gelungen, wäre sie nicht (fälschlicherweise) wegen Kaufhausdiebstahls angezeigt worden und hätte nicht kurz darauf die unautorisierte Autobiografie "Ecstasy and Me" den Rest ihrer Glaubwürdigkeit in den Schmutz gezogen. Ein Buch, das bezeichnenderweise Hedy Lamarrs Bedeutung für die Informationstechnologie mit keinem Wort erwähnt, dafür aber einige hässliche Bett- und Scheidungskriege. Mit einer Unzahl von Prozessen, die sie bis weit in die Achtziger führte - gegen den Verfasser ihrer Biografie, diverse Ehemänner und die Software-Firma Corel - verbaute sie sich die Rückkehr nach Hollywood schließlich endgültig.

Doch es ist ohnehin nicht ihre emanzipierte Protesthaltung, die sie zum female role model macht: Dazu gehört mehr, gerade im Vergnügungssektor. Heldinnen wie Hedy Lamarr werden durch einen Mythos geboren, sie sind keine einfachen Arbeiterinnen, sie verbinden Glamour, Hedonismus und Intelligenz mit fein versponnenen Geschichten aus Gerüchten, Legenden, Halbwahrheiten, Übertreibungen und einem Hauch von Wahrheit.

Und so ist es kein Zufall, dass Hedy Lamarr auf der Ars Electronica in Linz im September 1998 - einundsechzig Jahre nach ihrer Emigration in die USA - ausgerechnet im Kontext von Militärstrategen, Kriegstechnologie-Designern, Informationstheoretikern, Kryptologen und Computer-Hackern ins Bewusstsein ihrer ehemaligen Landsleute zurückkehrte: als Objekt der audio-visuellen Installation "Hommage ˆ Hedy Lamarr". Das Thema: Info-War. Hier verdichtete sich ihr Mythos endgültig zu lupenreinem, crossovertauglichem Popstardom. Denn noch viel mehr als für ihre charismatischen Auftritte in allenfalls durchschnittlichen Hollywood-Produktionen wird sie von ihren die hard-Fans für eine Erfindung geliebt, die eine Grundlage der modernen Kryptografie darstellt: für das "Secret Communication System", eine störsichere Fernlenkvorrichtung für Torpedos.

Das nötige Know-how für diese Entwicklung hatte sich Hedy Lamarr, damals noch unter ihrem Mädchennamen Hedy Kiesler, während ihrer kurzen Ehe mit dem österreichischen Waffenfabrikanten Fritz Mandl, der Mussolini und Hitler zu seinen besten Kunden zählte, angeeignet. Mitte der Dreißiger steckte die Entwicklung von Funkfernsteuerungen für Torpedos in einer Sackgasse, denn die Funkfrequenzen hatten sich als zu anfällig für Störversuche des Feindes erwiesen.

1937 wurde die Situation in Österreich für Lamarr immer unerträglicher: Das Land stand kurz vor dem Anschluss durch die Nazis. Sie war jüdischer Herkunft, und ihr herrschsüchtiger Ehemann, der mit dem Feind gute Geschäftsverbindungen pflegte, machte Lamarr das Leben zur Hölle. Sie emigrierte in die USA, um von dort aus die Nazis zu bekämpfen. 1940 trat sie in Kontakt mit dem Avantgarde-Komponisten Georges Antheil, zunächst nur, wie Antheil meinte, um mit ihm über die Möglichkeiten einer Brustvergrößerung zu sprechen. Dass dieses Treffen später zur Entwicklung einer militärisch hoch brisanten Kommunikationstechnik führte, die auch heute noch die Grundlage für die Abhörsicherheit von Handys, GSM-Mobiltelefonen und des militärischen Satelliten-Abwehrsystems bildet, ist einer der Gründe für den Mythos Hedy Lamarr.

Antheil hatte bereits 1927 mit seiner - von den italienischen Futuristen beeinflussten - Komposition "Ballet Mécanique" das Problem bewältigt, vier mechanische Pianos miteinander in Einklang zu bringen. Er war also mit der Problematik, verschiedene Tonquellen (Frequenzen) zu synchronisieren, bestens vertraut, als Lamarr ihm die Idee unterbreitete, das Funksignal zur Fernsteuerung permanent über das Frequenzspektrum springen zu lassen ("Frequency Hopping"), um es vor Störversuchen zu schützen. Eine Idee, die ihr - wie die Legende es will - beim vierhändigen Klavierspiel mit Antheil gekommen war. Die Synchronisation von Sender und Empfänger zur lückenlosen Datenübertragung gelang den beiden mit dem Lochkarten-Prinzip von Antheils mechanischen Pianos. Das Secret Communication System wurde so Antheils radikalste Komposition.

1942 übergaben Lamarr und Antheil die patentierte Erfindung an die US-Streitkräfte zum Einsatz gegen die deutsche Wehrmacht. Im Pentagon fand man aber wohl, dass eine charismatische Persönlichkeit wie Lamarr ihren Kriegstribut eher durch die Werbung für Kriegsanleihen und weniger durch das Entwickeln von Kriegstechnologien leisten sollte. Erst zwanzig Jahre später, drei Jahre nach dem Tod Antheils, wurde das Prinzip des Frequency Hoppings erstmals eingesetzt: bei der Invasion in der Schweinebucht. Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Patentrechte aber längst abgelaufen. Erst 1997 wurden Hedy Lamarr und - postum - Georges Antheil für ihre Erfindung ausgezeichnet.

Der Rückzug ins Private war der einzig logische Schritt für die Kämpferin Hedy Lamarr. Obwohl sie heute, fast 86jährig, verarmt in einem von der Seniors Actors Guild finanzierten Heim lebt, betrachtet sie ihr Leben als einen großen Triumph. Sie hat Geschlechtermodelle transzendiert und neu erfunden. Sie hat in Männerdomänen interveniert, sechs Ehemänner überstanden und nebenbei drei Kinder großgezogen. Ihr Bild hängt heute sowohl in den Spinden von blassen Computer-Nerds als auch in den aseptischen Gängen der National Science Foundation. Und wer könnte einer Frau widerstehen, die Bart Simpson als ihre literarische Lieblingsfigur angibt?

Eine "Hommage á Hedy Lamarr" ist bis zum 8. November in Juliettes Literatursalon zu sehen. Gormannstraße 25, 10119 Berlin. Parallel dazu laufen ihre Filme im Berliner Kino Central.