»Schlaraffenland«

Pumuckls Tod

Das Tor zum Tempel steht offen. Schräg hinauf gleitet der Blick, über Granitstufen, hell vom gleißenden Licht aus dem Inneren, hinauf zum gläsernen Eingang, höher noch an den zwei bunt leuchtenden Säulen entlang, die sich in den Abendhimmel strecken. Der Eingang ins Schlaraffenland, in Europas größtes Einkaufszentrum. Sieben Kinder schleichen nach Ladenschluss hinein, geil auf Konsumorgien, Sex und Drogen. Am Morgen danach hocken vier von ihnen immer noch dort, drei sind tot.

Am Abend zuvor schwelgen sie noch in Bonbonfarben. Wie Regisseur Friedemann Fromm glaubt, dass es die Jugend heute so tue. Seinen Film sieht er auch gleich als "Porträt einer Generation, zeitlos durch die großen Themen, die in die Geschichte eingewoben sind". Wow. "Buy now, pay later" sei das Lebensgefühl. Klingt so abgeschmackt wie in den Achtzigern.

Die Vertreter der neuen Generation sind alte Bekannte. Der integre Anführer aus armen Verhältnissen - Laser - hat durch Zufall erfahren, dass ein Gewitter die Alarmanlage des Einkaufszentrums lahm gelegt hat. Nachts zieht er dort mit der Vorstadtclique seine Lines. Den Stoff haben sie vom stillen, leicht psychotischen Drogenkid Checo. Sie tanzen, feiern und vögeln unter den türkise-farbenen Metallträgern. Laser "heiratet" seine Liebe Pia im Kerzenschein, Blocker und Mary schlafen im Schneegestöber miteinander. Der Brautschleier ist von der Stange geklaut, der Schnee künstliche Vorweihnachtsdeko.

Die sieben feiern nicht allein. Schwarze Sheriffs sollen die vorweihnachtlichen Einnahmen bewachen, doch sie wollen die zwei Millionen stehlen. Die Kinder kommen ihnen gerade recht. Tot sind sie keine Zeugen, sondern auf der Flucht erschossene Räuber. Die Jagd beginnt, dunkles Rot löst knallige Farben ab, Blut sprudelt aus den Mündern, wird an den Hosen abgewischt, verschmiert die weißen Wände und gekachelten Böden. Was der ARD-Sonntagabend an Blut nicht hergibt, muss hier fließen. Aber Action und Gewalt retten die Story nicht.

"Schlaraffenland" ist, wie es sich für den deutschen Film gehört, berechenbar: Konsumgeile Kids gehen durch die Hölle und finden zu wahren Gefühlen zurück. Zu guter Letzt zünden sie das Geld an. Alles, wirklich alles muss in diesem Film ausgesprochen werden. Checos Drogenproblem sieht man nicht, man bekommt es gesagt: "Hey, ich muss wegen der Drogen nächste Woche in die Psychiatrie."

Auch da, wo Bilder sprechen sollen, vertraut der Film ihnen nicht. Checo ballert an der Spielkonsole. Die Kamera gleitet über seine Schulter, bis der Videospiel-Schirm die Leinwand ausfüllt. Man sieht Menschen sterben. Dann ein schneller Schnitt, Checo schießt auf einen Wachmann. Videobild und Realität verschmelzen. Doch das Bild ist weder neu noch geschickt.

Ohne die Generationsporträt-Attitüde könnte man "Schlaraffenland" als Action-Film genießen. So bleibt nur gelangweilter Sadismus: Ein Mädchen fällt auf Glas, ihr Schädel und die Scheibe splittern. Stille. Langsam fließt das Blut aus ihrem Kopf übers Glas. Manchen wird es freuen, so den Star aus "First Love - Freches Herz" und "Pumuckl TV" aus dem Leben scheiden zu sehen. Der Rest bleibt Schlaraffenland.

"Schlaraffenland". D 1999, R: Friedemann Fromm; B: Christoph Fromm, D: Ken Duken, Denise Zich, Heiner Lauterbach, Franka Potente. Start: 28. Oktober