Leben im Wartestand

Ein Jahr rot-grüne Flüchtlingspolitik: Von der im Koalitionsvertrag vereinbarten Altfall-Regelung können die Betroffenen bis heute nicht profitieren.

Marieluise Beck gab sich alle Mühe. Ein Jahr, nachdem die Grünenpolitikerin das Amt der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung übernommen hat, musste endlich Profil gezeigt werden. Ihre vergangene Woche inszenierte Kampagne, nach der Ausländer und Ausländerinnen doch bitte die Chance zur Doppelten Staatsbürgerschaft nutzen mögen, verursachte denn auch die eine oder andere Meldung. Und das hat Beck derzeit dringend nötig. Denn mehr als die abgespeckte Version des Einbürgerungsrechts kann die rot-grüne Koalition in Sachen Einwanderungs- und Asylpolitik nicht vorweisen. Und die wenigen beschlossenen Initiativen drohen am fehlenden politischen Willen der Landesinnenminister zu scheitern.

So etwa die "Altfall-Regelung", die ein humanitär begründetes Bleiberecht für langjährig in der Bundesrepublik lebende abgelehnte Asylbewerber garantieren soll. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Manfred Püchel (SPD), einer der wenigen Sozialdemokraten in diesem Amt, die in Flüchtlingsfragen eine von den Unionsparteien deutlich unterscheidbare Position einnehmen, erklärte kürzlich im Magdeburger Landtag, dass es keinesfalls sicher sei, "ob und insbesondere mit welchen Kriterien die Altfall-Regelung zu Stande kommt". Nächste Woche steht das Thema nun auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz (IMK).

Neben einer stärkeren Berücksichtigung frauenspezifischer Fluchtursachen im deutschen Asylrecht war diese "Altfall-Regelung" der einzige Punkt, den Bündnisgrüne der SPD im Koalitionsvertrag auf flüchtlingspolitischem Gebiet hatten abringen können. Es ging darum, das jahrelange Warten vieler Menschen, die durch das Raster des deutschen Ausländerrechtes gefallen sind, aber dennoch nicht in ihre Heimat zurückkehren können, zu beenden: staatenlose Palästinenser aus dem Libanon, die niemand aufnehmen will, oder etwa Algerier, Togolesen und Sudanesen, die kein Asyl bekamen und denen bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Verfolgung droht. Auch Menschen aus Vietnam, deren Rückübernahme von der Hanoier Regierung entweder abgelehnt oder seit Jahren verschleppt wird, sollten in den Genuss der Regelung kommen.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Maßnahme "einmalig" während der laufenden Legislaturperiode und "gemeinsam mit den Ländern" zu vereinbaren. Prinzipiell hätte es zwei Möglichkeiten zur Durchsetzung gegeben: über eine Änderung des Ausländergesetzes durch den Gesetzgeber oder über einen IMK-Beschluss, der einstimmig gefällt werden muss. Die Koalitionsvereinbarung meint mit der Formulierung "gemeinsam mit den Ländern" die zweite Variante.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) brachte das Thema im November vergangenen Jahres in die IMK ein. Diese bildete eine Arbeitsgruppe, die zu Jahresbeginn Arbeitsergebnisse vorlegte. Danach sollten abgelehnte Asylbewerber mit Kindern, die seit Mitte 1993 in Deutschland leben und abgelehnte Asylbewerber ohne Kinder, die vor Anfang 1990 einreisten, das Bleiberecht erhalten. Voraussetzung: Sie mussten straffrei sein und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Das Papier war nichts anderes als die Fortschreibung jener Altfall-Regelung aus dem Jahre 1996, die unter einer CDU-FDP-Regierung getroffen worden war. Davon hatten rund 7 000 von gut 500 000 abgelehnten Asylbewerbern profitiert. Weniger übrigens, als selbst der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) prognostiziert hatte: Seine Schätzung lag bei 15 000 bis 20 000. Viele waren an der Auflage gescheitert, nach Jahren des erzwungenen Nichtstuns binnen kürzester Zeit einen Job zu finden. Die Ausländerbeauftragte Beck hatte zwar im Februar die Hürden der neuen Regelung als zu hoch bezeichnet und befürchtet, unter Rot-Grün würden nicht mehr, sondern weniger Menschen in den Genuss des Bleiberechtes kommen. Trotzdem schien das Vorhaben klar.

Doch nach der Hessen-Wahl kam alles anders. Martin Buser, Sprecher des jetzt der Union zugefallenen hessischen Innenministeriums, erklärte öffentlich, "gemeinsam mit Bayern und Baden-Württemberg die in Aussicht gestellte Altfall-Regelung nicht mittragen" zu wollen. Auch das CDU-regierte Sachsen hatte Probleme mit dem Vorhaben, stellte sich jedoch nicht prinzipiell dagegen. Das Problem: Die IMK muss ihre Beschlüsse einstimmig fällen.

Als Antwort auf die Blockadehaltung wurde die Regelung vom Jahresbeginn durch die Arbeitsgruppe abgeschwächt: Bürger aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien und aus Vietnam sollen von dem humanitären Bleiberecht ausgeschlossen bleiben. Begründung: Mit diesen Staaten bestehen Rückübernahme-Abkommen, die noch nicht erfüllt seien. Nach Schätzungen von Ausländerinitiativen sind aber gerade Bosnier, Serben, Kosovo-Albaner und Vietnamesen die zahlenmäßig größten Betroffenen-Gruppen.

Ein humanitäres Bleiberecht bekommen sollen hingegen abgelehnte Spätaussiedler, die ebenso lange wie abgelehnte Asylbewerber hier leben. Das sind Menschen mit deutschen Vorfahren aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die als Aussiedler einreisten, denen deutsche Behörden nach der Einreise jedoch keinen Aussiedlerstatus zusprachen, etwa weil ihre deutschen Sprachkenntnisse nicht ausreichend waren oder weil sie in der früheren Sowjetunion hohe Funktionen bekleidet hatten.

Die abgeschwächte Variante soll nun am 11. November auf der IMK erneut beraten werden, nachdem sie schon zweimal von der Tagungsordnung gekippt wurde. Ob es dort nun überhaupt zu einem Beschluss kommt, ist höchst fraglich. Gegen den Ausschluss der Vietnamesen regt sich in zwei Landtagen Widerstand: in Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen. Das Magdeburger Parlament fällte kürzlich einen Beschluss, der Innenminister Püchel verpflichtet, sich auf der IMK dafür einzusetzen, dass auch Vietnamesen in den Genuss eines humanitär begründeten Bleiberechtes kommen sollten. Oder besser gesagt: Die Abgeordneten stärkten Püchel den Rücken, denn er hätte es ohnehin getan. In dem Bundesland macht der Fall einer ausreisepflichtigen vietnamesischen Gymnasiastin aus Thale Schlagzeilen: Die Musterschülerin muss die Bundesrepublik verlassen, falls keine Altfall-Regelung zu Stande kommt.

Der PDS-Abgeordnete Matthias Gärtner, der den Landtagsbeschluss initiierte, weiß, dass mehr nicht drin ist als vielleicht eine Einbeziehung der Vietnamesen in die Regelung. Zu offensichtlich sind die Sperren der übrigen Innenminister. Und nachdem die CDU Landtagswahlen in Reihe gewonnen hat, scheidet auch die Möglichkeit aus, ein humanitäres Bleiberecht über eine Gesetzesänderung durchzusetzen. Denn dieser Änderung müsste der Bundesrat zustimmen. Das Ergebnis wäre dasselbe in Grün, nur mit ein bis zwei Jahren Verspätung.