Love Me Gender, Love Me True

Der Versuch, zwischen den Geschlechtern zu leben, endet für Brandon Teena mit dem Tod. Kimberly Peirces Spielfilm "Boys Don't Cry" auf dem Internationalen SchwulLesbischen Filmfestival.

Brandon Teena, 1993 in Falls City / Nebraska ermordet, ist zu einer Ikone der Transgender-Szene geworden. In Lesben-, Schwulen, Transgender-, aber auch in den Mainstream-Medien wird seine Geschichte erzählt. Brandon steht exemplarisch für die Morde an denjenigen, die die Stereotype des ihnen zugewiesenen Geschlechts nicht erfüllen.

Kimberly Peirces Spielfilm "Boys Don't Cry", der derzeit im Rahmen des "Internationalen SchwulLesbischen Filmfestivals 'Verzaubert'" gezeigt wird, beschäftigt sich mit den Umständen, die am 31. Dezember 1993 in Falls City zu Brandon Teenas Ermordung führten: Zwei Wochen ist der 20jährige Brandon in der Stadt, als er Opfer eines Hate-Crime wird. Zwei junge Männer, John Lotter und Marvin Thomas Nissen, entkleiden Brandon gewaltsam und zwingen Brandons Freundin Lana dazu, ihnen die Weiblichkeit von Brandons Genitalien zu attestieren.

Nach diesem Angriff verschleppen und vergewaltigen die beiden Brandon. Trotz Einschüchterungen durch die Täter zeigt Brandon die Vergewaltigung an. Lotter und Nissen bleiben jedoch auf freiem Fuß und ermorden eine Woche später Brandon und die Bewohner des Farmhauses, in dem er sich aufhielt. (Inzwischen wurde Nissen zu einer lebenslangen Haftstrafe und Lotter zum Tod verurteilt.)

In der kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Falls City gelingt es Brandon - bis zum Abend seiner gewaltsamen Entkleidung -, als Mann zu leben und akzeptiert zu werden. Anstatt seines Geburtsnamens Teena Renae Brandon benutzt er eine Vielzahl geschlechtsneutraler oder männlicher Namen.

Nicht so sehr mit der Lebensgeschichte Brandon Teenas, sondern vielmehr mit den Motiven der Tat beschäftigen sich Aphrodite Jones' Kriminalroman "All S / He Wanted" (1998) und der Dokumentarfilm "The Brandon Teena Story" von Susan Muska und Greta Olafsdottir (USA 1998). Auch "Boys Don't Cry" zeigt Brandon (Hilary Swank) als einen Menschen, der der Dichotomie der Geschlechterkonstruktion geopfert wird. Wenn sich am Ende des Films die Geliebte Lana Tisdell (Chlo' Sevigny) zu einem selbstbestimmten Leben aufmacht, der Enge des Kaffs Falls Citys entflieht und nach Memphis geht, zitiert "Boys Don't Cry" William Wylers "The Children's Hour" (USA 1961). Dort führt die Unmöglichkeit lesbischen Begehrens zum Tod der des Lesbianismus verdächtigen Figur Marthe (Shirley MacLaine), während die heterosexuelle Karen (Audrey Hepburn) zu neuen Ufern aufbricht. Erst in den Neunzigern überleben im Kino schwule und lesbische Charaktere ihre Leidenschaften.

Mit Brandon Teena aber erhält das Kino eine Figur, deren geschlechtliche und sexuelle Disposition weder auf einen weiblichen noch einen männlichen Referenten rückführbar ist. Anders als homosexuelle Charaktere greift diese Figur das Zwangssystem von Zweigeschlechtlichkeit an; zugleich bietet ihr Tod die Möglichkeit, diesen Angriff abzuwehren. Ist die Biografie Brandon Teenas nicht gerade deshalb so populär, weil hier die Erzählung von Gender Trouble gewissermaßen einen versöhnlichen Schluss erhält?

Der Tod Brandons verleiht der Geschichte des signifikativen Exzesses von Geschlecht einen cinematografischen Abschluss. Mit der Fokussierung auf die Umstände des Todes vermeidet "Boys Don't Cry" die Antwort auf die Frage nach dem wahren Geschlecht Brandons und weist dieses fragende Interesse als einen Herstellungsmechanismus von Geschlecht aus. Nur unter Zwang begründet Brandon sein Verhalten mit versagender Stimme als "sexual identity crisis".

Auch die Aufforderung, zuzugeben, dass er eine Lesbe sei, verweigert Brandon, ohne sich jedoch auf den Status des heterosexuellen Mannes zurückzuziehen. Selbst der Blick auf seine Genitalien genügt seinen Mördern nicht als sicheres Zeichen der Weiblichkeit Brandons. Die Vergewaltigung Brandons ist ein erneuter Versuch, ihn zur Frau zu machen. Erst bei seiner polizeilichen Vernehmung wird sein Körper als ein weiblicher zum Sprechen und zu einer Bezeichnung gebracht: Vom Beamten gezwungen, anzugeben, wo die Vergewaltiger in ihn eindrangen, muss Brandon seinem Körper eine Vagina verleihen. Während Brandon freiwillig keine Antwort auf die Frage nach seinem Geschlecht gibt, zeigt der Film die Verschränkung der Materialität des sprachlichen Zeichens mit der Materialität des Körpers in Szenen juristischer Anrufungen und Benennungen.

"Boys Don't Cry" wiederholt damit im Feld der Justiz die Geburts-Szene, in der der geschlechtliche Körper im Akt des Benennens in die Materialität der Welt gerufen wird. In Konfrontationen mit dem Gesetz erhält Brandon immer wieder ein neues Geschlecht. Als Mann übersteht er eine Polizeikontrolle, in einem Gerichtssaal verfehlt ihn die Appellation als "Miss Brandon", im Gefängnis wird er bei den Frauen untergebracht. "They put you wherever they want", erklärt er Lana, als die ihn rausholt.

Brandon verfügt über zahlreiche Dokumente - Ausweise, Karten etc. -, darunter einige, die ihn als Teena Brandon ausweisen, was schließlich bei seinen Gastgebern in Falls City Verdacht erregt. Brandons Identität ist in seinen Papieren immer aufgeschoben, es gibt keinen Namen (und damit auch keine Bezeichnung für sein Geschlecht), den er sich zu eigen macht. Allein diese Verweigerung von Identität und Bezeichnung befördert Brandon in die Sphäre des Kriminellen. Seine zahlreichen Diebstähle und Fälschungen von Ausweispapieren sind nur Ausdruck und Folge der viel grundlegenderen Verletzung des Gebots, das ihm zugewiesene Geschlecht zu verkörpern. Seine Mörder, Nissen (Brendan Sexton III) und Lotter (Peter Sarsgaard), sind damit nichts anderes als die Exekutive geschlechtlicher Überwachung und Identifikation.

"Boys Don't Cry" zeigt Brandons Körper als einen Körper, der wegen seiner Schönheit begehrenswert ist. Nun ist die abgenutzte Äußerung der Schönheit im Szenario des Begehrens reichlich prekär, trägt sie doch die Bedeutungslast nicht nur des Groschenromans und der Hochliteratur, sondern auch des Geschlechts. Der Satz: "Du bist so schön" raubt, wenn er an einen Mann gerichtet ist, diesem sogleich die Männlichkeit und konnotiert ihn mit Homosexualität, denn nur das Weibliche lässt sich als das Schöne adressieren. Das Anrufen der Schönheit ist ein geschlechtskodierter und geschlechtskodierender Akt; er situiert Sprecher und Empfängerin immer wieder und von Neuem entlang einer zweigeschlechtlichen Geschlechterdifferenz.

So stockt auch dem Publikum in "Boys Don't Cry" der Atem, wenn Lanas Mutter (Jeannetta Arnette) vor der versammelten Familie ihre Hand prüfend über die Wange des Heldens gleiten lässt, um dessen Schönheit zu konstatieren. Zwar hat Brandon nicht einmal den Ansatz eines Bartes, sein Gesicht zeigt jedoch ein anderes Merkmal von Männlichkeit: eine Wunde, die sich Brandon bei einer Schlägerei unter Männern zugezogen hat. Die Wunde - als Beweis der Männlichkeit - erlaubt es denn auch Lanas Mutter, die Schönheit Brandons auf dessen Schwester zu übertragen, als Brandon sagt, dass seine Schwester als Model Karriere macht.

Geschlecht manifestiert sich in "Boys Don't Cry" als Verwundung. Die Vergewaltigung Brandons ist nichts anderes als der Versuch, ihm in einer signifikativen Verwundung Weiblichkeit zuzufügen. Brandons Körper ist mit Verwundungen als lesbare Markierungen von Geschlecht gezeichnet. Wenn Lana am Ende des Films zu Brandon von dessen Schönheit spricht, so ist dies der Versuch, die Narben der Einschreibung des Geschlechts zu transzendieren. Die Liebe, so behauptet "Boys Don't Cry", schließt die Wunden des geschlechtlichen Körpers und führt ihn aus den Abgründen der Geschlechterdifferenz.

Dabei ist Brandon für Lana viel mehr als ein Mann oder eine Frau. Lana findet beim Sex mit Brandon ihre Lust an den signifikativen Überschüssen der Zweigeschlechtlichkeit. Die Frage, ob und seit wann Lana vom wahren Geschlecht ihres Liebhabers weiß, verkennt ihr Begehren und überführt es in die lacanianische heterosexuelle Komödie der Zweigeschlechtlichkeit. Selbst als Lana von Nissen und Lotter gezwungen wird, Brandons Geschlecht zu identifizieren, erkennt sie es nicht als ein selbstidentisches Zeichen für Weiblichkeit. Literal wird Brandon Teena erst durch seine Ermordung, die seine Geschichte auch für "Boys Don't Cry" bewältigbar macht.

"Boys Don't Cry". USA 1999. Buch/Regie: Kimberly Peirce. Mit Hilary Swank, Chlo' Sevigny, Peter Sarsgaard, Brendan Sexton III, Alison Folland. Der Film läuft als Abschlussfilm des Festivals "Verzaubert" und wird noch in folgenden Kinos zu sehen sein: Berlin / Hackesche Höfe: 1. Dezember; Frankfurt a. M./ Turm Palast: 8. Dezember; Köln / Residenz: 9. Dezember