Helden der Neunziger

Ultralounge

Michael Wells ist so wie wir, nur noch cooler. Du liest diese Zeilen, ich schreibe sie, und Michael Wells macht die Musik, weshalb das alles so ist, wie es ist. Zum einen, weil es ohne seine neue Platte "In Is Out" hier gar keinen Artikel über ihn gäbe, zum anderen aber, weil es dich und mich und den Rest der musikalischen Neunziger auch gar nicht gäbe, wenn da nicht irgendwann einmal Michael Wells gewesen wäre und sein bahnbrechender Überknaller "Tricky Disco". Das war Anfang des Jahrzehnts, und seitdem ist nichts mehr wie es vorher war. Und das ist noch nicht alles. Michael Wells war auch der Kopf hinter Technohead und "I wanna be a hippy", jenem gnadenlos jenseits von Gut und Böse verloren gegangenen Gabba-Bubblegum-Popstück aus den mittleren Neunzigern. Ein Mann mit Meriten also.

Und jetzt hat er eine neue Platte in die Welt entlassen. Was sich viel dramatischer anhört, als es tatsächlich ist. Denn Michael Wells ist nicht die Art von Person, die viel Aufhebens um solche Sachen machen würde. "In Is Out" heißt die Platte, und S.O.L.O nennt er sein Projekt.

"In Is Out" ist ein Zitat aus "Glamourama" von Bret Easton Ellis, das gerade alle lesen, und die ganz besonders Schnellen haben es schon durch. Darin gibt es einen Club, in dem sie Musik spielen, die so out ist, dass sie in ist, und die heißt "Ultralounge". Ungefähr so etwas macht "In Is Out" auch. Auf welcher Seite von "In" und "Out" sich Michael Wells jetzt verortet, weiß er gar nicht so genau zu sagen, weil ihm beides im Laufe seiner Karriere immer egal war und alle seine tollen Platten immer Zufälle waren. So sieht er das wenigstens. Und es gibt keinen Grund, ihm das nicht zu glauben. Denn Michael Wells trägt ähnliche Klamotten wie du und ich, und er ist auch ungefähr genauso groß wie du und ich. Wenigstens im Sitzen.

Er kommt aus England. Aus Liverpool, genauer gesagt. Und wer es jetzt noch nicht ahnt, dem sei gesagt, er hat einen working class-Background und hat die Achtziger auf einer Kunsthochschule verbracht. Dann gründete er eine Band, die GTO hieß - was die Abkürzung ist für Greater Than One -, und dann kam "Tricky Disco", eine der ersten Singles auf Warp.

"In Is Out" hört sich an wie Ultralounge. Sehr schön. Mit vielen Samples und Geräuschen. Wie Jazz. Ist aber keiner, weil Michael Wells nämlich Jazz eigentlich fürchterlich findet und nur zufällig Sounds von einer Jazz-Sample-CD benutzt hat. Eigentlich sind das lauter kleine Kammer-Elektronik-Tracks. Momentaufnahmen vielleicht. Wenn man genau hinhört, hat es auch Bass & Bleeps und außerdem Gitarren, die sich anhören wie von Django Reinhardt.

Das kann aber auch Projektion sein, wenn man öfters mal Stunden in der Vergangenheit zubringt. Macht Michael Wells aber nicht. Er hört sich nicht mal die Remixe der Vergangenheit an. So wie die von Warp zum zehnten Labelgeburtstag. "Tricky Disco" remixt von Plone. Interessiert Michael Wells nicht. Was sehr schlau ist, denn diesen ganzen Warp-Remixquark kann man ja auch in die Tonne treten.

So muss man sich nicht ärgern. Michael Wells hört lieber seine eigene Musik. Und das ist nicht mal die von "In Is Out". Wenn er eine freie Minute hat, hört er seine allerneusten Produktionen auf dem Kopfhörer. Nur so. Schnell arbeiten und vergessen. So arbeitet er, und so ist es wahrscheinlich auch am besten.

Michael Wells presents S.O.L.O: "In Is Out". sulfur records (3mv)