Der Spion, der aus der Uni kam

Der in Berlin vor Gericht stehende iranische Agent Hamid Chorsand könnte gegen den Deutschen Helmut Hofer ausgetauscht werden.

Der Prozess-Auftakt hatte es in sich. Am Morgen der ersten Verhandlung gegen den Iraner Hamid Chorsand prügelte sich der Angeklagte mit dem Wachpersonal des Berliner Gerichts. Mit leichten Verletzungen im Gesicht betrat der 37jährige dann den Verhandlungssaal - nur um dem Richter Frithjof Kubsch, der bereits den Mykonos-Prozess geleitet hatte, Befangenheit vor- und sich mit seiner Pflichtverteidigerin zu überwerfen.

Seit zwei Wochen verhandelt das Berliner Kammergericht gegen den im irakischen Bagdad geborenen Hamid Chorsand. Generalbundesanwalt Bruno Jost wirft ihm vor, »für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt« zu haben. Die Anklage beruht auf der Auswertung einer Reihe von Handy- und Telefonüberwachungen des Bundeskriminalamtes. Allein von 1997 an soll der Angeschuldigte mindestens zwei Zahlungen des iranischen Geheimdienstes in einer Gesamthöhe von 12 520 Mark erhalten haben.

Seit spätestens Ende 1995 bis zu seiner Festnahme am 14. Juli 1999 in Berlin unterhielt Chorsand nachrichtendienstliche Verbindungen zum Ministerium für Information und Sicherheit des Iran (Vevak). Seine Aufgabe war es in erster Linie, in Deutschland lebende Volksmudjahedin zu bespitzeln. Diese operieren militärisch von Irak aus gegen den Iran. Da seine Schwester seit Beginn der Iranischen Revolution 1979 Mitglied der Volksmudjahedin ist und im Irak lebt, war es für ihn relativ einfach, eine Mitgliedschaft bei den Volksmudjahedin zu beantragen.

Auch wenn das Gericht Mitte letzter Woche den Antrag von Chorsands Pflichtverteidigerin, sich wegen »unüberbrückbarer Auffassungsgegensätze« und »fehlendem Vertrauen« von der Verteidigung befreien zu lassen, ablehnte, dürfte Chorsand geglückt sein, was er will: die Hauptverhandlung weiter zu verzögern. Denn der Iraner weiß, was er tut. Mit dem Ziel, Physik zu studieren, reiste der junge islamische Revolutionär 1980 nach München ein. Schon nach kurzer Zeit wechselte er in das Fach Elektrotechnik über - und ging von der Fachhochschule zur Technischen Universität. Eine Karriere als Ingenieur machte er zwar nicht, dafür aber eine als Spion.

Diese verlief von Anfang an parallel zu seinem gescheiterten Studium. Am 7. Mai 1982 erhielten Chorsand und 63 weitere Khomeinisten einen Ausweisungsbescheid. Der Grund: Sie hatten sie sich eine Schlacht mit linken Studenten geliefert, bei der Dutzende oppositionelle Studenten verletzt wurden. Mit dabei: Kazem Darabi, der eine führende Rolle bei der Organisation der Hezbollah-Studenten inne hatte und inzwischen als einer der Drahtzieher des Mykonos-Attentats in Haft sitzt. Mehrere militante Hezbollah-Studenten wurden daraufhin verhaftet und sofort abgeschoben.

Doch Chorsand und seine Mitstreiter setzten auf Zeit und versteckten ihre iranischen Pässe. Die iranische Botschaft spielte mit und verweigerte den Khomeinisten die Ausstellung eines neuen Passes. Die Fluggesellschaften wiederum weigerten sich, Iraner ohne reguläre Pässe in den Iran abzuschieben.

Auch in der Haft konnte er sich sicher fühlen: Die Konsularabteilung der iranischen Botschaft machte sich stark für die Studenten und verhandelte mit der deutschen Polizei. Die Studenten sollten zunächst ihr Studium beenden dürfen und erst dann abgeschoben werden. Die Iraner setzten sich durch: Im Oktober 1982 wurde der junge Khomeini-Fan gemeinsam mit den anderen Hezbollahs aus der Haft entlassen - und die Abschiebung ausgesetzt. 1986 dann setzten sich die diplomatischen Vertreter Khomeinis in Deutschland erneut für ihre Anhänger ein. Während die Iraner massenweise nach Europa flohen, forderte die iranische Botschaft in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt eine Aufenthaltserlaubnis der frommen und fleißigen Studenten.

Tatsächlich reagierte das Auswärtige Amt und bat die zuständigen Länder-Innenministerien, den Hezbollah-Studenten eine Aufenthaltsgenehmigung zu geben. Die Unterstützung half: 1992 brach Hamid Chorsand sein Studium endgültig ab. Er schlug sich mit Jobs durch, überlegte, in den Iran zu reisen, wollte aber keinen Militärdienst leisten.

Der ideale Zeitpunkt für den Beginn der Spionage-Tätigkeit. Sein Führungsoffizier war zunächst ein Vevak-Mitarbeiter, der im iranischen Generalkonsulat Berlin tätig war. Im April 1997 wurde der Agenten-Chef im Zusammenhang mit dem Mykonos-Urteil ausgewiesen - von dem Zeitpunkt an lief die Betreuung telefonisch von Teheran aus.

Chorsand beteiligte sich an den Aktivitäten des »Vereins zur Eingliederung iranischer Flüchtlinge«, einer Tarnorganisation der Volksmudjahedin: Zur Fußball-Weltmeisterschaft 1998 organisierte er die Reise zahlreicher ihrer Anhänger nach Frankreich. Über die unmittelbar oder mittelbar gewonnenen Erkenntnisse unterrichtete der Angeschuldigte seinen Führungsoffizier persönlich. Beispielsweise erhielt er von seinem Führungsoffizier die Weisung, sich bei möglichen Auseinandersetzungen während der Fußballweltmeisterschaft zurückzuhalten, damit er nicht von der französischen Polizei verhaftet werde. Und als der iranische Präsident Mohammad Khatami im März 1999 den Papst besuchte, charterte Chorsand Reisebusse nach Italien. Als Reiseorganisator von Regimegegnern wurde er auch aktiv, als der iranische Präsident im April bzw. Juni 1999 einen Staatsbesuch nach Frankreich unternahm. Enge Kontakte pflegte er mit den Mitgliedern und Funktionären der Volksmudjahedin, die an den kommenden Prozess-Tagen gegen ihn aussagen werden.

Hamid Chorsand ist zwar kein Top-Spion, aber möglicherweise wird er Geschichte machen. Nur zwei Wochen nach seiner Verhaftung im Juli in Berlin wurde im Iran der deutsche Kaufmann Helmut Hofer erneut angeklagt - wegen Kontakts mit verdächtigen Elementen. Im Klartext: Spionage. Die noch offene Frage ist, ob die deutsche Diplomatie sich auf ein Tauschgeschäft zwischen Hofer und dem iranischen Spion einlässt. Der iranische Außenminister Kamal Charrasi setzt darauf: »Wir erwarten einen fairen und offenen Prozess, und das Urteil sollte dann dementsprechend gefällt werden.«