Die billigen Jobber vom Polen-Strich

Osteuropäische Schwarzarbeiter in Deutschland: Von Bauunternehmern angefordert, von Gewerkschaftern gehasst, von Behörden gejagt.

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Frankfurter Behörden: Über neue Kollegen und Kolleginnen konnte man sich Anfang des Jahres im Arbeitsamt der Main-Metropole freuen. 55 Beschäftigte mehr sollten künftig helfen, die Schwarzarbeit am Bau effektiver zu bekämpfen. Vier Monate später, am 27. Mai dieses Jahres, hatten die Neuen ihre erste große Bewährungsprobe. Mit Hilfe von Polizei, Ausländerbehörde, Staatsanwaltschaft und Berufsgenossenschaften riefen sie zur Treibjagd auf Frankfurts derzeit größter Baustelle, der so genannten Welle. Dort, gleich hinter der Alten Oper, wo derzeit 400 Arbeiter Büro- und Ladenräume sowie Wohnungen der gehobenen Klasse bauen, schlugen die Behörden zu.

190 Einsatzkräfte umstellten das Gelände, durchkämmten etagenweise das Gebäude und trieben die Arbeiter an einer zentralen Stelle zusammen. Sechs Stunden lang wurden die Männer kontrolliert. Zwei von ihnen hatten sich in Versorgungsschächten zu verstecken versucht. »Nicht ungefährlich« sei ein solcher Einsatz, sagte einer der hauptberuflichen Illegalen-Jäger und meinte freilich nicht die zahlreichen osteuropäischen Beschäftigten. Das Unfallrisiko sei recht groß, auch könne es zu Übergriffen kommen. Immerhin zeigte er Verständnis: »Es hängen ja Existenzen dran.« 20 Arbeiter wurden verhaftet, neun dem Haftrichter vorgeführt. Eines Erfolges konnte man sich sicher sein. Im vergangenen Jahr, als noch das hessische Landesarbeitsamt für solcherart Razzien zuständig war, kamen auf 5 000 kontrollierte Bauarbeiter etwa 1 000 Illegale.

Die IG Bau hält dieses Aussieben für unabdingbar. »Wir brauchen solche Razzien«, erklärt Michael Knoche, Pressesprecher des Verbandes. Zwar beschwert sich der Gewerkschafter darüber, dass es immer »die armen Schweine« treffe, während sich die Unternehmen »der Verantwortung entziehen«. Doch gegen das für solche Polizeieinsätze verantwortliche Arbeits- und Aufenthaltsrecht will auch er sich nicht stark machen. »Das VerursacherPrinzip muß her« - den Kapitalisten an den Kragen, schimpft Knoche. Aber auch die deutschen Unternehmen, sind »grundsätzlich für Razzien«, so die Hochtief AG. Sie lasse zumindest regelmäßig ihre Subunternehmen überprüfen. Dabei kamen nach Ermittlungen des Bundesinnenministeriums rund 60 Prozent der irregulär beschäftigten polnischen Arbeitnehmer nicht auf eigene Faust, sondern wurden - oft auf Anforderung der Bauunternehmer - von Agenten an die Einsatzorte vermittelt. Klare Sache: Wer tarifliche Löhne zahlt, ist zu teuer, bekommt also keine Aufträge.

Im Gegensatz zu Gewerkschafter Knoche war Hans-Peter Griesheimer, der Leiter des Arbeitsamtes, immer skeptisch. »Mit ordnungspolitischen Maßnahmen«, so meinte er noch im August letzten Jahres, »ist das nicht in den Griff zu kriegen.« Griesheimer hat den Überblick, zumindest optisch. Von seinem Büro aus hat er Aussicht auf den »Polen-Strich«, wie das unübersehbare Treiben auf der Straße im Volksmund heißt. Hier bieten sich Osteuropäer für Tätigkeiten aller Art feil. Die Beamten der Polizeiwache um die Ecke dulden zwar den offenen Schwarzarbeitsmarkt. Trotzdem kontrollieren und schikanieren sie die Billigarbeiter regelmäßig.

»Die Polizei weiß, dass hier an der Hanauer Landstraße Leute stehen, die Arbeit suchen«, berichtet der 22jährige Jerzy aus Klodzko, einer Kleinstadt im südpolnischen Sudetengebirge nahe der tschechischen Grenze. Gemeinsam mit Piotr steht Jerzy auf dem »Polen-Strich«. »Sie jagen die Leute weg und tragen mit Kugelschreiber: 'Angetroffen am soundsovielten' in den Pass ein. Die Polizei darf das eigentlich nicht, es ist eine Gesetzesverletzung, aber sie machen es trotzdem. Ich habe schon sechs Eintragungen«, erläutert der 25jährige Piotr aus der Woiwodschaft Nowy Sacz im Südosten Polens. Und Jerzy ergänzt: »Wenn sie einen zum zweiten Mal festnehmen, dann geben sie dir einen Stadtplan, damit du diese Straße hier, wo dich die Arbeitgeber treffen können, meidest.«

Ein Kumpel von Jerzy hat einen solchen Plan auf der Polizeistelle bekommen und durfte sich sieben Tage lang nicht mehr in der Gegend aufhalten. Und wenn jemand trotzdem kommt? »Dann wird er mit auf die Polizeiwache genommen und ausgewiesen. Wenn du ihnen antwortest, du bist ein Tourist und machst einen Spaziergang, dann bringen sie dich in den Wald, tief in die Pampa. Sie setzen dich im Wald aus, weil, wenn du Tourist bist, dann kannst du ja da wandern.«

Die größte Gruppe, die an der Hanauer Landstraße steht, kommt aus Polen, aber auch Russen, Ukrainer, Jugoslawen, Albaner und Männer aus den baltischen Staaten lassen sich hier abholen. Sie arbeiten nicht nur auf Baustellen. Auch für Umzüge, Renovierungen, Garten- und Landarbeiten, Veranstaltungsbau, Reparaturarbeiten werden sie angesprochen - meist schwere körperliche Tätigkeiten für einige Tage oder Wochen, häufig auch nur für ein paar Stunden.

Die Preise der Arbeitskräfte bestimmen sich nach dem Grad ihrer Illegalität: Während Polen etwa acht bis zehn Mark pro Stunde erwarten dürfen, sind Menschen aus der GUS oder (Ex-)Jugoslawien weit billiger. Schließlich dürfen Polen als Touristen ohne Visum für drei Monate einreisen, auch wenn sie keine Arbeitserlaubnis bekommen. Die Leute aus den Gus dagegen brauchen ein Visum. Sie dürfen nicht nur nicht arbeiten, sondern sich eigentlich gar nicht hier aufhalten.

Nur in der kurzen Spanne zwischen dem Berliner Mauerbau 1961, der den Arbeitskräftenachschub aus der DDR abreißen ließ, und dem Jahr 1973, als schlagartig ein Anwerbestopp für Gastarbeiter erlassen wurde, konnte in größerem Umfang nach Deutschland legal eingereist werden. Heute darf praktisch kein ausländischer Arbeiter mehr die deutsche Grenze übertreten, um hier sein Geld zu verdienen. Anfang der neunziger Jahre wurde dies auch im Ausländergesetz und im Arbeitsförderungsgesetz festgehalten. Seither besteht ein so genanntes Beschäftigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dass dennoch nicht wenige Arbeitsmigranten hierher gelangen, liegt weniger an einer durchlässigen Grenze als am Interesse von Arbeitgebern, die vom Kauf illegalisierter Arbeitskräfte profitieren wollen. Hier stehen sich Gesetz und Verwertungsinteressen häufig gegenüber.

Das Ausländerrecht umfasst zwei Dimensionen, die eine Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer regeln - eine aufenthaltsrechtliche und eine arbeitserlaubnisrechtliche. Wer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat, bekommt in der Regel auch kein Problem mit Arbeitspapieren. Das betrifft aber nur EU-Ausländer und solche, die wegen ihrer langen Anwesenheit Anspruch auf eine »besondere Arbeitserlaubnis« haben. Schlechter sieht es für Arbeitsuchende aus Nicht-EU-Ländern aus. Sie werden mit einer »allgemeinen Arbeitserlaubnis« nur begrenzt und befristet zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen. Seit Anfang der neunziger Jahre verteilen die deutschen Arbeitsbehörden auffällig mehr »allgemeine« kurzfristige als »besondere« Erlaubnisscheine, die zur langfristigen Arbeitsaufnahme berechtigen.

Für Polen sind die wichtigsten legalen Wege, um an einen Job in Deutschland zu kommen, Saison- oder Werkverträge. 1995 wurden beispielsweise deutschen Unternehmen 170 000 Arbeitserlaubnisse zugesichert, die für Saisonarbeit vorgesehen waren. Als zweite Möglichkeit bietet sich die Entsendung von Arbeitnehmern durch polnische Firmen, um Werkverträge auszuführen. Über diese bilateral vereinbarte Regelung kommen derzeit durchschnittlich 23 000 polnische Arbeitskräfte monatlich hierher. Weit weniger häufig sind Grenzgänger, die täglich zurück müssen. Ebenso rar: Beschäftigungen mit integrierter Fortbildung, Praktika und Ferienjobs für Schüler und Studenten sowie Reparatur- und Wartungsarbeiten an exportierten Anlagen polnischer Firmen.

Die mit Abstand meisten Beschäftigten reisen legal und ohne Visum als Touristen ein und arbeiten schwarz. Nach Schätzungen sollen es beispielsweise 1993 1,5 Millionen Polen gewesen sein, die aber in ihrer Mehrzahl nur für kurze Zeit gearbeitet hatten. Die irreguläre Arbeit findet in den schon genannten Bereichen, aber auch in Hotels und Gaststätten sowie im privaten Dienstleistungssektor statt, männliche und weibliche Prostitution inklusive. Nach Schätzungen von Sozialarbeitern in Berlin machen polnische Jugendliche etwa 20 Prozent der Stricher-Szene in der Stadt aus.

Der Migrationsforscher Norbert Cyrus vom Polnischen Sozialrat führt die Repression gegen polnische Arbeitnehmer nicht in erster Linie darauf zurück, dass sie ausgeschlossen werden sollen. Vielmehr gehe es »um einen selektiven Arbeitsmarktzugang, um einen Zusatz-, Extra- und Spezialbedarf an Arbeitskräften zu bedienen und gleichzeitig den dauerhaften Zuzug, die Niederlassung der nachgefragten Arbeitskraft zu verhindern«. Der Spezialbedarf besteht fast ausschließlich in Sektoren, in denen der Preis der Ware Arbeitskraft noch eine zentrale Rolle spielt. Der aktuelle Trend polnischer Migration nach Deutschland gehe derzeit zur Pendelmigration, erläutert Cyrus. »Die Leute bleiben nur vorübergehend hier, schlafen bei Verwandten oder Freunden oder müssen sich in einer umfunktionierten Wohnung ein Bettlager mieten.«

Piotr schläft bei einem Bekannten in einem Kämmerchen. In der Wohnung gibt es keinen Strom und keine Heizung. »Am Anfang war alles okay, aber er hat nachts Phantasien, er ist Alkoholiker. Es ist schon hart.« Jerzy kennt »besser gestellte Polen«, die größere Wohnungen haben. »Sie vermieten manchmal ein Zimmer und man schläft zu dritt oder zu viert für 200 oder 300 Mark pro Person im Monat.«

Ortswechsel: Von Frankfurt nach Berlin, der Hauptstadt der polnischen Community in Deutschland. Durch die lange Geschichte der Zuwanderung aus Polen gibt es hier Strukturen, in denen Neuankömmlinge aufgenommen werden können: Unterkünfte, Kneipen usw., Orte, die gleichzeitig der Arbeitsvermittlung dienen. Einen offenen Schwarzarbeitsmarkt wie Frankfurts Hanauer Landstraße gibt es hier nicht. Die Jobs werden durch persönliche Vermittlung vergeben.

Berlin, eine weltoffene Stadt: »Tretet kühn durch dieses Tor, nutzt Eure Chance« - ruft der Berliner Osteuropa-Senator Elmar Pieroth den Polen in der polnischen Wochenzeitung Polityka entgegen. »Meine Parole für Euch: Go west! Go to Berlin.« Pieroth ist damit betraut, Geschäftsverbindungen zwischen Berlin und Osteuropa aufzubauen. Beim Bau-Senat ist man jedoch kräftig mit der Abwehr jener beschäftigt, die die Einladung allzu wörtlich nehmen. Polnische Firmen, die sich am Bau des neuen administrativen Zentrums beteiligen wollten, bekamen eine Abfuhr. Begründung: Speziell für Firmen aus Polen gebe es eine Limitierung. Ähnlich ablehnend auch die Gewerkschaft. So veranstaltete die IG Bau im Sommer 1998 eine Tagung »Wild-West auf dem Bau. Wie kann die Ordnung auf dem Bau wiederhergestellt werden?«

Die damalige Arbeitssenatorin Christine Bergmann legte in ihrer Analyse auch gleich die Beantwortung der Frage nahe: In der Stadt würden jährlich 25 Milliarden verbaut, doch zähle die Branche 32 Prozent Arbeitslose. In der Stadt arbeiteten ebenso viele »Billigarbeiter«. Tausend deutsche Betriebe hätten vergangenes Jahr aufgeben müssen, orakelte die Sozialdemokratin, während mafiöse Strukturen dafür sorgten, dass Bauarbeiter nach Berlin geholt würden: Polen für zehn Mark Stundenlohn, Ukrainer für 2,50 Mark. Ergo: Ausländer raus? Natürlich nicht. Stattdessen machte Bergmann sich für »verschärfte und internationalisierte Kontrollen« stark. Die Arbeitgeber sollten strafrechtlich verfolgt werden - »gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort«. Vor dieser Lösung aber hat sich der Staat schon durch entsprechende Grenz- und Migrationspolitik geschützt.

Während die Gewerkschaften sich als Vertretung deutscher Arbeitskräfte, zumindest aber von Arbeitern mit entsprechenden Papieren verstehen, Illegalisierte hingegen als Störenfriede der sozialen Ruhe wahrnehmen, haben Unternehmer durchaus Interesse an ihnen. Sie sind billiger, erpressbarer und vor Arbeitsgerichten chancenlos. Gerade weil sie weder integriert noch organisiert sind und keine bürgerliche Rechtssicherheit genießen, ist ihre Arbeitskraft so begehrt. Der primäre strukturelle Gegner von Illegalisierten sind folglich nicht der Arbeitgeber, der immerhin noch Interesse an deren Ausbeutung hat, sondern die staatlichen Verfolger. Und natürlich deren freiwillige Kollegen: Nicht zufällig werden die meisten Razzien der Arbeitsämter gegen Schwarzarbeit nach Tipps aus der Bevölkerung durchgeführt.