Keep On Pushing

Curtis Mayfield machte den Soul der Bürgerrechtsbewegung, er gab dem Blaxploitation-Film das Sounddesign, er war Geschäftsmann, Gitarrist und ein tragischer Held.

Alles ist heute anders. Die Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts sind vorbei, die Sechziger und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung sind ein Spielfilm, die Siebziger sind nur noch Zitate, die Black Panther Ikonen cooler Militanz. Auch Richard Nixon ist nur noch ein Film, Ronald Reagan hat Alzheimer, George Bush gibt es politisch nur noch als Junior. Allein die Hoffnung, es könnte einmal besser werden, hat überlebt, wenn auch als Rarität und Sammlerstück. Oder als Wiederveröffentlichung.

Curtis Mayfield ist tot, und wo man geht und steht, sieht man Curtis-Mayfield-Alben in den Plattenläden stehen, als 180-Gramm-heavy-weight-vinyl-Reissue. »Curtis«, »Curtis live«, »Roots« und »Superfly«. Kanonisch grüßen sie aus den Schaufenstern. Der Weg zur Hoffnung führt durch Gangster-Groove-Parties, Tarantino-Filme, Master-P-Stücke, Ice-T-Cover-Versionen, Prince-Platten und durch einen Wust von musikhistorischem Spezialwissen. Denn für jemanden, der im selben Jahr das Licht der Welt erblickte wie das zweite und dritte dieser Alben, gab es zunächst lange nur eins: »Superfly«. Das Album, den Film, die Folgen und die Wiedergänger. Und dabei steht ausgerechnet »Superfly« für den entscheidenden Bruch in Mayfields Karriere.

Die begann 1959 in einer DooWop-Gruppe - den Impressions - in Chicago. Eigentlich, so geht die Legende, wollten die Impressions zu Chess Records, dem großen Chicagoer Blues-Label, doch als sie zum Vorsingen kamen, standen sie vor verschlossenen Türen und spazierten so zu Vee-Jay, dem Label gegenüber, dessen Macher so hingerissen war von ihrer Art, Gospel-Elemente in ihre DooWop-Harmonien einzufügen, dass er sie unter Vertrag nahm. Die erste Single »For Your Precious Love« verkaufte sich 900 000 Mal. Das war 1959, Curtis Mayfield war gerade 17 Jahre alt und hatte vorher im Kirchenchor seiner Großmutter gesungen. Unter den Spielarten schwarzer Popmusik dieser Tage waren die Impressions etwas Besonderes. »Gospel ohne Gott« nannte Mayfield den Stil später, »We Shall Overcome« zum Mädchen-Hinterhersingen nannte es der Manager von Vee-Jay.

Chicago lag abseits der beiden großen Zentren, zwischen denen sich die Soulmusik bewegte, Detroit mit dem Motown-Sound auf der einen und Memphis mit dem Stax-Sound auf der anderen Seite. Die einen nannten sich Hitsville USA, die anderen Soulsville USA, die einen hatten die Eleganz, die anderen die ruffe Erdung. Das eine war der Soul der Stadt, das andere der des Südens. Die Impressions waren beides, aber eben noch mehr: Sie hatten message.

Da gab es »We're a Winner«, das von vielen weißen Radiostationen wegen der Zeile »Keep on pushing / like our leaders tell us to« boykottiert wurde, und das auch die Parole »Move On Up«, die später der Titel von Mayfields größtem Hit werden sollte, zum ersten Mal ins Spiel brachte. »Keep On Pushing« war noch eine. Und »People Get Ready« noch eine. Kein schwarzer Künstler in den frühen Sechzigern brachte so explizit politische und soziale Inhalte in seinen Stücken unter, und selten war so sehr politisch aufgeladene Musik gleichzeitig so massenwirksamer Pop. Und je weiter Curtis Mayfield in das Zentrum der Impressions rückte, desto stärker begann er nicht nur die künstlerische, sondern auch die geschäftliche Kontrolle in seine Hände zu nehmen. Nach Sam Cooke war Mayfield der erste afro-amerikanische Musiker, der eine eigene Firma gründete, um die Rechte an seinen Songs zu behalten. 1961 gründete er die Curtom Publishing Company, die er 1967 zu seinem eigenen Label Curtom Records ausbaute, dessen Logo er mit dem Spruch »We're a Winner« schmückte.

Ähnlich wie das Singen im Kirchenchor Mayfield mit der Gemeinde verbunden hatte, funktionierte die Musik der Impressions für Mayfield vor allem im Austausch mit der Bürgerrechtsbewegung. Und als diese gegen Ende der Sechziger in die Krise kam, als 1967 in Chicago die Gettos brannten, es 40 Tote und 7 000 Verhaftungen gab und die Hoffnungen auf einen friedlichen Fortschritts hin zu einer besseren Welt nicht mehr zu halten waren, als es keine Bewegung mehr gab, die quer durch alle Lager »Keep On Pushing« singen wollte, verließ Mayfield die Impressions und brachte 1970 sein erstes Soloalbum »Curtis« heraus. Er war 28 Jahre, und die Platte sollte der Blueprint für all die politisch bewussten Autorensoul-Alben der frühen Siebziger werden.

»Sisters! Niggers! Whities! Jews! Crackers! If there's a hell below, we're all gonna go!« Das Subjekt gesellschaftlicher Veränderung ist auf »Curtis« verlorengegangen, übrig sind nur noch Trümmer, Gewalt, Lügen und vereinzelt Herumirrende. »We all know what's wrong / but who's gonna fight to make it right?« hieß es in »Mighty Mighty (Spade & Whitey)« auf dem Live-Album ein Jahr später. »Roots« folgte im gleichen Jahr und schließlich »Superfly«, der Soundtrack zu dem Blaxploitation-Film. Und ausgerechnet als Soundarchitekt dieser eleganten Dealer-Sinfonie, dieses »cocaine commercial«, ausgerechnet als hero des Augenblicks, in dem seine eigenen Vorstellungen umkippen, fiel einem in den Neunzigern Curtis Mayfield schließlich in die Hände. Sei es als Großvater des einen oder anderen Gangsterrap-Stücks, sei es als Produzent des gelungensten Blaxpoitation-Scores und somit als Ahne all dessen, was in der Nachfolge zu dem Soundtrack des Tarantino-Films »Jackie Brown« in den Lounges der westlichen Welt gespielt wird.

Dabei ist »Superfly« eigentlich alles andere als eine Verherrlichung des Pimptums. Die community, wenn es denn mal eine gab, ist für den Film schon so weit auseinandergefallen, dass der »Pusherman« da steht, wo es vorher noch »Keep On Pushing« hieß. Die Black-Power-Aktivisten sind nichts als eine weitere und nicht einmal besonders gefährliche, schutzgelderpressende Bande von Hampelmännern, der eigentliche Held ist Priest, der man in control, der Superfly Guy, dem alles gelingt und der alles bekommt, von der weißen Frau bis zum weißen Pulver. Um nicht mehr the life führen zu müssen, gilt es eine Million Dollar zusammenzukriegen und zu verschwinden. Die Coolness, die Priest aufbietet, um sein altes Leben hinter sich zu lassen, überstrahlte in der Rezeption des Films allerdings die Gründe, warum.

Und dieser Bruch, mit einem Missverständnis den größten Erfolg erreicht zu haben, machte Curtis Mayfield zu einer tragischen Figur. Auch deshalb, weil er damit die Umstände reflektierte, die wenige Jahre später zum vorläufigen Niedergang der gesamten Soulmusik führen sollten. In den Augen der Plattenindustrie verlor Soul die Fähigkeit zum Crossover, da das schwarze Publikum sich aufsplittete und das weiße genug hatte von Forderungen nach Freiheit und Respekt. Die großen Independents machten Bankrott - wie Stax - oder konnten zumindest nicht mehr so viel verkaufen wie vorher - wie Motown. Auch Curtom kam in Schwierigkeiten. Disco war die Musik, die die Majors die Etats für Soul kürzen ließ. Und dem Hedonismus von Disco konnte jemand, der dem Drogen-Konsum so ablehnend gegenüberstand wie Mayfield, nicht viel abgewinnen. Er empfand Disco schlicht als »Fluchtmusik«.

Er machte weiter Filmmusiken und brachte Album auf Album heraus, konnte allerdings nie wieder so vollendet Pop, Politik und Eleganz überblenden. 1984 musste er sein Curtom-Label aufgeben. Bei einem Auftritt in Brooklyn 1990 stürzte ein Beleuchtungsmast herab und verletzte ihn schwer. Er war fortan vom Hals an abwärts gelähmt. Auch die Diabetes, an der er jetzt verstarb, war eine Folge dieses Unfalls. Die Krankenhaus-Rechnung konnte nur bezahlt werden, weil diverse Soul- und HipHop-Acts sich zusammentaten, um Tribute- und Solidaritätskonzerte zu geben. Ein halbes Jahr später brannte auch noch sein Haus ab.

Und heute ist alles anders. Heute wird Curtis Mayfield von Master P gesampelt und von Total gecovert. Heute ist Curtis Mayfield in der Hall Of Fame, auch wenn er zur Zeremonie nicht mehr erscheinen konnte, weil er schon zu krank war. Heute hört man sich seine letzte Platte an, »New World Order« von 1996, und stellt fest, wie sehr das minimalistisch-plockernde Gitarrenspiel fehlt. Man hört sich die Musik vom Anfang der Siebziger an und versucht sich durch die Zeit hindurchzulauschen. Soul und Folk lagen einmal gar nicht so weit auseinander.