Italien und die Kohl-Affäre

Rien ne va plus

Die Ausreden sind immer die gleichen: Die Partei hat nichts zu verbergen, niemand hat sich persönlich bereichert, bei den anderen Parteien sieht es ja auch nicht besser aus, und vor allem sind die Vorgänger schuld: Die heutige Parteiführung hat mit der Affäre nichts zu tun und weiß von gar nichts.

Ähnliches war auch von den italienischen Christdemokraten und den Craxi-Sozialisten zu vernehmen, als die Staatsanwälte Anfang der neunziger Jahre im Rahmen der Mani-pulite-Ermittlungen ihnen auf den Leib rückten. Vierzig Jahre lang hatte die Democrazia Cristiana (DC) das Steuer in der Hand und war an ungefähr ebenso vielen Regierungen maßgebend beteiligt. Auch die DC war eine Art System Kohl, das jedoch weitaus länger währte und wohl auch machtvoller war als das des Ex-Kanzlers. Heute existiert nichts mehr davon. Die vielen kleinen katholischen Parteien, in die die DC zerfiel, würden kaum die deutsche Fünfprozent-Hürde überwinden. Damit hätte 1992 niemand gerechnet.

Die Serie der ungezählten Skandale, die damals die italienische Politik auf den Kopf stellten, begann von unten. Der erste Verdächtige war der völlig unbekannte Sozialist Mario Chiesa, Empfänger von Schmiergeldern in Millionen-Höhe. An sich nichts Besonderes. Doch Chiesa packte aus und löste eine Kettenreaktion aus.

Der letzte DC-Chef, Arlando Forlani, schrie noch mit aller Kraft dem Parteitag entgegen: »Die DC hat keine partei-internen Untersuchungen nötig!« Heute ist er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und nur unter Auflagen auf freiem Fuß. Severino Citaristi, der Schatzmeister der DC, versicherte damals, sich niemals eine Lira in die Tasche gesteckt zu haben. Das stimmte sogar - er hatte lediglich brav die Schmiergelder in der Parteikasse verwaltet. Er wurde mit mehr als hundert Gerichtsverfahren überzogen.

Was heute Kohl, Schäuble und Co. von sich geben, unterscheidet sich nicht großartig von den letzten Äußerungen der italienischen Christdemokraten vor ihrem Untergang. Die derzeitige Unions-Affäre nahm ihren Anfang ganz oben: Beim Mann, der für eine ganze Ära steht. Es ging nicht um ein paar Mark, die sich ein kleiner Parteifunktionär für seine alten Tage einsteckte. Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien und das Verscherbeln der Leuna-Werke waren wichtige politische Entscheidungen. In Italien glaubt niemand, dass die CDU, wenn sie an Rüstungsexporten verdiente, nicht auch über andere einträgliche Einnahmequellen verfügte. Italiener lachen herzlich, wenn sie hören, dass Kohl angeblich alleine waltete und niemand etwas davon wusste.

Wenn in Deutschland die Staatsanwälte so effizient arbeiten wie die Industrie, werden auch die Deutschen bald einige juristische Begriffe wie »Ermittlungsbescheid« oder »Offshore-Gesellschaften« näher kennen lernen. Wie das Italienische wird auch die deutsche Sprache um Neologismen bereichert werden, die internationale Überweisungen oder Auftragserteilung ohne Wettbewerb ausdrücken. Die deutsche Öffentlichkeit wird die lustigen Namen der Schweizer Konten kennen lernen, deren Bezeichnungen einiges über denjenigen aussagen, der sie ausgedacht hat.

Nördlich wie südlich der Alpen sind Gelder geflossen. Neugierig verfolgt man nun in Italien, wie die CDU mit viel Respekt Kohls Sarg zu vernageln scheint - während in Italien Anfang der neunziger Jahre eine hemmungslose Hetzjagd auf die verhasste Politikerkaste losbrach.

Jeden Tag mehr scheint die deutsche Spendenaffäre eine italienische Wendung zu nehmen. Grund zur Sorge für die CDU. Jeder korruptionserfahrene italienische Politiker könnte seinen deutschen Kollegen erklären, wie die herrschende politische Klasse, je länger sie an der Macht bleibt, umso mehr dazu neigt, Gesetze zu verfassen, über die sie sich selbst hinwegsetzt.

Wie Keynes über den Kapitalismus sagte, sei der Wohlstand ein nebensächliches Resultat bei diesem Glücksspiel. Auch in der Politik ist die Wahrheit nur ein zufälliges Nebenprodukt. Und wer beim Roulette betrügt und sich dabei erwischen lässt, muss zahlen.

Der Autor ist Redakteur bei der italienischen Tageszeitung Il Manifesto. Übersetzung: Wibke Bergemann.