Selber schuld

Im Prozess um die tödliche Hetzjagd von Gubener Neonazis auf drei Afrikaner setzt die Verteidigung auf Verharmlosung und Entpolitisierung - passend zur Haltung der Öffentlichkeit.

Die Angeklagten scheinen mit der ganzen Sache nichts zu tun zu haben. Sie unterhalten sich oder warten gelangweilt auf die nächste Pause. Warum er zu spät gekommen sei, will der Richter von einem der Kurzgeschorenen wissen. Dieser muss sich erheben, bringt mühsam eine Erklärung hervor und darf sich wieder hinter seinen Anwalt verkriechen. Nichts deutet darauf hin, dass die Angeklagten hier sind, weil sie gemeinschaftlich einen Menschen in den Tod gehetzt haben.

In wenigen Wochen ist es ein Jahr her, dass der Algerier Farid Guendoul in Guben auf der panischen Flucht vor einer Gruppe von Nazi-Glatzen umkam, als er sich am Glas einer Haustür verletzte und verblutete. Der Prozess am Cottbusser Landgericht ist nach 35 Verhandlungstagen noch immer in der Beweisaufnahme - die Verteidigung zieht das Verfahren in die Länge und erreicht so, dass die Tat aus dem Blickfeld gerät und die Täter als »dumme Jungs« erscheinen, die eigentlich gar nicht wissen, warum sie dort sitzen.

Nur einer von ihnen, René K., hat sich bisher vor Gericht geäußert und zugegeben, den Algerier Khaled Bensaha, der in eine andere Richtung als Guendoul und Issaka Kaba aus Sierra Leone geflüchtet war, verfolgt und getreten zu haben. Insgesamt jedoch dürfen sich die Angeklagten immer mehr als Opfer fühlen, die in jener Nacht aus Zorn über einen angeblichen Angriff auf einen Deutschen unterwegs waren.

Hellmuth Dittberner, einer ihrer Anwälte, sprach öffentlich von einer »Hetzjagd von Ausländern auf Deutsche«. Immer wieder war von einer Machete die Rede, die sich später als ein Stück Blech herausstellte, mit dem ein Kubaner sich seinen Weg aus einer von Nazis belagerten Diskothek frei kämpfte. Trotzdem wird das Bild von Unruhe stiftenden Ausländern und deutschen Opfern erfolgreich in die Verhandlung eingeführt.

Der Tod Guendouls wird so zu einem Unfall, für den er selbst die Verantwortung trägt. Die Verteidigung beharrt darauf, dass sich Guendoul und sein Freund nicht in tödlicher Gefahr befanden. Da die Staatsanwaltschaft zurückhaltend agiert, bleibt es den VertreterInnen der Nebenklage überlassen, die Tat in den Kontext von Rassismus und Rechtsradikalismus zu stellen. Sie müssen deutlich machen, dass Guendoul und seine Begleiter Todesangst haben mussten, als sie von der Horde brüllender Glatzen verfolgt wurden.

Einer der Angeklagten war für Die Nationalen e.V. tätig und wurde dann in der NPD aktiv. Zwei andere sind auf einem ZDF-Video über die Sonnenwendfeier der Gubener Nazi-Szene zu sehen. In den Stunden vor der Hetzjagd hatten die Angeklagten einen Afrodeutschen und seine Freundin mit dem Tod bedroht, zwei asiatische Geschäfte demoliert und rechtsradikale Parolen gebrüllt.

Vor Gericht treten sie immer offener als Neonazis auf - einer erschien mit einem »Nationaler Widerstand»-Aufnäher. Trotzdem versucht die Verteidigung, der die Nazi-Szene-Anwälte Carsten Schrank und Wolfram Nahrath angehören, die Tat zu entpolitisieren. Obwohl Guendoul von seinem Bruder identifiziert wurde, zweifelten die Verteidiger wochenlang seine Identität an, um so die Nebenklage - und damit den rassistischen Hintergrund der Tat - vom Prozess auszuschließen.

Die Haltung der Verteidigung ist kompatibel mit einer öffentlichen Wahrnehmung, in der der Tod Guendouls vor allem ein Unglücksfall für die Stadt Guben war. Ingo Ley, ein leitender Sozialarbeiter der Stadt, fantasierte nach der Tat von Kräften, die von außerhalb das Klima der Stadt vergifteten und ihre Kinder zu etwas verführten, was ihnen eigentlich fremd sei. Sein Konzept für die Jugendeinrichtungen folgt jenem Neutralitätsdiskurs, der durch akzeptierende Sozialarbeit öffentliche Räume für Nazis schafft.

Die Zeugenaussagen vor Gericht machen deutlich, dass die meisten Leute die alltäglichen Zeichen von rassistischem Hass und rechter Gewalt in eine Vorstellung von Normalität überführen, die es ihnen ermöglicht, Nazis nicht mehr Nazis nennen zu müssen. Rassistisches Gebrüll und Hakenkreuze sind alltäglich, sie müssen harmlos sein - diese Haltung macht es so schwierig für die Nebenklage, eindeutige Aussagen zu erhalten.

Egon Wochatz, CDU-Bürgermeister im brandenburgischen Spremberg, fragte im September nach, was Guendoul denn überhaupt nachts auf der Straße zu suchen hatte. Er forderte ein nächtliches Ausgehverbot für Asylbewerber, um die »Eskalation von Gewalt zu verhindern«. Wochatz, der sich für den Erhalt eines rechten Jugendclubs einsetzt, bezeichnete Spremberg als »ganz normale Stadt«.

Da hat er Recht: Rechte Szenen gibt es überall in Brandenburg; Nicht-Deutsche müssen nicht nur in Guben um ihr Leben fürchten. Dort ist nach Einschätzung der örtlichen Antifa-Gruppe die Nazi-Szene nach der Hetzjagd stärker geworden. Schon wenige Tage nach der Tat konnte sich ein Kenianer nur knapp vor einem auf ihn zu rasenden Auto retten. Der Gedenkstein für Guendoul wurde regelmäßig geschändet und am Silvesterabend komplett zerstört.

Rassismus hat in Guben Tradition: Schon 1987 hatte es Übergriffe auf Ausländer gegeben. Heute bemüht sich der parteilose Bürgermeister Gottfried Hain um eine Öffnung Gubens zur polnischen Zwillingsstadt Gubin, steht aber fast allein gegen rechte Mittelständler, die eine Initiative zu seiner Ablösung in Gang setzten. Einer von ihnen wird mit der Aussage zitiert, wer wegen rechter Gesinnung seine Lehrstelle verlöre, könne sich bei ihm melden.

Die Verhandlungen werden vermutlich noch weit in das Jahr hineinreichen. Zuletzt beantragten die Verteidiger eine erneute Ladung der Überlebenden Bensaha und Kaba, wahrscheinlich, um Fragen zu ihrem und Guendouls Status als Asylbewerber zu stellen. Schon in vorherigen Befragungen hatten sie versucht, eine »natürliche« Tendenz zur Paranoia zu konstruieren und die Panik der Opfer als Überreaktion darzustellen: Wer einmal auf der Flucht ist, rennt auch, wenn keine Gefahr droht.

Die Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, die Gubener Antifa und die Cottbusser AG Flucht und Migration, die den Prozess beobachten und dokumentieren, führen ab Ende Januar unter dem Titel »Nur ein Toter mehr?« eine Veranstaltungsreihe zum Prozess durch.