Das Gesetz der Tugenden

Die CDU-Skandale sind zu unbedeutend, als dass eine Tendenz zur Mafiotisierung festgestellt werden könnte.

Die Verschmelzung von Staat und Ökonomie ist so alt wie die Moderne, auch Kapitalismus genannt, und auch andere vermeintlich neue Tendenzen erweisen sich bei näherer Betrachtung als lediglich mit Perwoll gewaschen.

Eine Bestechung ist noch keine Mafia. Welcher Zeuge wurde bei der Affäre um die Spendenzahlungen des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber umgelegt, wo ist die Familie des Paten und welcher Politiker wurde mit dem Tode bedroht? Sicherlich werden im internationalen Waffengeschäft Methoden angewandt, die denen in Gangsterfilmen ähneln. Doch nicht der Waffenhandel steht im Zentrum des gegenwärtigen Skandals, sondern dass Politiker vermutlich Bestechungsgelder angenommen haben. Diese Politiker stammen weder aus den Reihen einer Mafia-ähnlichen Organisation, noch wurden sie von einer solchen eingesetzt oder auch nur unter Druck gesetzt: Es handelte sich nicht um »ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten«. Es sind keine personellen Verflechtungen zwischen den Sphären des Organisierten Verbrechens und der Politik erkennbar, und der parlamentarische Betrieb der Bundesrepublik ist nicht von mafiösen Strukturen durchwirkt.

Eine Story mit Geldkoffer und schwar-zen Konten mag im Kino spannend sein, doch das heißt nicht, dass man in der Realität daran eine allgemeine Entwicklung ablesen kann. Es ist Zufall, dass die Spendenaffäre ans Licht gekommen ist, wir wissen nicht, ob diese Praxis eine neue ist oder ob sie nicht schon seit Jahrzehnten durchgeführt wird. Eine Tendenz zur Verklärung der Vergangenheit besteht immer. Selbst wenn es früher in der Bundesrepublik keine Bestechung gegeben haben sollte, sagt dies weniger über die Bereitschaft der Parlamentarier, solche Gelder anzunehmen, aus, als vielmehr darüber, dass heute Firmen eher bereit sind, extralegale Gefälligkeiten deutscher Politiker zu entlohnen. Die Entwicklung ist also nicht im politischen Bereich festzustellen, sondern beim Waffenhandel.

Im Fall Leuna hat Elf Aquitaine wohl tatsächlich wie ein Geheimdienst agiert, doch das ist nichts Neues: Schon die Formierung des Mineralölkonzerns 1962 geschah zur Durchsetzung strategischer Interessen des französischen Staates im Ausland und war damals wiederum nur die Fortsetzung der Kolonialpolitik mit anderen Mitteln (Jungle World, 2/99). Gerade die Tatsache, dass deutsche Politiker bestochen wurden, zeigt, dass sie hier wohl lediglich als Handlanger und nicht als Initiatoren auftraten.

Doch nicht nur sind die Indizien zu schwach, auch die Relevanz der Vorfälle ist zu gering, als dass sie geeignet wären als Manifestation einer allgemeinen Tendenz zur Mafiotisierung der Politik in der Bundesrepublik behandelt zu werden - womit nichts über die Verhältnisse in anderen Ländern gesagt ist. Der Einfluss, den die Spender vermutlich zu nehmen versuchten, ist ein völlig marginaler. Es ging keineswegs um die grobe Richtung der Politik, sondern lediglich um die Erlaubnis einiger Waffendeals, deren Konsequenzen zwar zweifelsohne für jene, gegen die Waffen eingesetzt werden, furchtbar sind, gleichwohl werden ähnliche Rüstungsgeschäfte auch legal getätigt und sind mitnichten zentral im politischen Programm.

Sowohl die Raffinerie Leuna als auch die Waffengeschäftchen tangieren die strategischen und ökonomischen Interessen des deutschen Staates kaum. Die Aufregung und das Skandalisieren sind in der Sache nicht gerechtfertigt. Nur vor dem Hintergrund der bürgerlichen Vorstellung des Staates als Levia-than, der unparteiisch zwischen den Interessen Einzelner vermittelt, bedarf es einer besonderen Erwähnung, dass der Mächtige das von ihm Beherrschte als sein Eigentum behandelt, solange ihn niemand daran hindert.

Wer die herrschende Ordnung als ganze überwinden möchte, darf nicht die thematische Gewichtung der bürgerlichen Öffentlichkeit übernehmen. Denn diese behandelt es nicht als Skandal, dass die Bundesregierung vermutlich die Lieferung von 1 000 Panzern an eine latente Militärdiktatur, die einen Massenmord durchführt, genehmigt und in der Vergangenheit bereits zahlreiche solcher todbringenden Exporte abgenickt hat, beispielsweise 1991 an Saudi-Arabien. Hier geht es vielmehr um einzelne Persönlichkeiten, die Sekundärtugenden wie Ehrlichkeit und Gesetzestreue nicht befolgt haben. An der Befolgung von Sekundärtugenden aber kann man keine allgemeine politische Entwicklung ablesen.