Dietmar Dath

»Die Harmonien sind fragwürdig geworden«

Nach zwanzig Jahren der Unabhängigkeit ist das Musikmagazin Spex an die Münchener Piranha Media AG verkauft worden, die unter anderem das HipHop-Magazin Juice herausgibt. Dietmar Dath - Journalist, Übersetzer und Autor - war seit November 1998 Chefredakteur der Spex und zieht sich nun von dieser Position zurück.

Seit klar ist, dass die bisherigen Herausgeber der Spex ausscheiden werden, gibt es die verschiedensten Gerüchte. Was ist denn jetzt wirklich geschehen?

Teile der Herausgeberschaft haben sich außer Stande gesehen, das Heft auf dem Level von persönlichem Verschleiß, auf dem gearbeitet wurde, weiter zu machen. Die Last war ungleich verteilt. Zu viel ist an einem Menschen hängen geblieben, nämlich an Tom Holert.

Von da an gab es für die Redaktion eine Frist von zwei bis drei Monaten, in denen alles Mögliche versucht wurde - von genossenschaftlichen Lösungen bis zu privatwirtschaftlich von stillen Teilhabern getragenen Modellen. Ich glaubte, dass die Leser das wichtigste Kapital eines solchen Projekts sind und eine appellative Vorgehensweise das Beste gewesen wäre. Aber die moralische und numerische Mehrheit in Redaktion und Verlag hat sich gegen solch taz-artige Aktionen ausgesprochen, und im Nachhinein leuchtet mir das auch ein. Denn die Verunsicherung auf Seiten der Anzeigenpartner hätte so etwas ohnehin verunmöglicht. Die Erschütterungen wären größer gewesen als die Idee, die Zeitschrift als virtuelles Eigentum ihrer Leser zu behandeln. Am Ende hat die Piranha Media AG das beste Angebot vorgelegt.

Und was passiert jetzt - bleibt alles so, wie es war? Ändert sich alles?

Ich höre als Chefredakteur auf, was aber daher rührt, dass ich sowieso nur bis zum Sommer bei Spex bleiben wollte und das jetzt als Gelegenheit sehe, anstatt mich in neue Konstruktionen einzubringen, das Ausscheiden vorzuziehen. Ich möchte mich einfach auch wieder verstärkt literarischen Arbeiten zuwenden, die im Gegensatz zu Übersetzen und ähnlichem mit Redaktionsarbeit nicht ohne weiteres vereinbar sind. Deshalb habe ich auch nicht besonders viel Fühlung mit den Piranha-Leuten aufgenommen. Es hieß, sie fänden es gut, wenn da ein Chefredakteur sitzen würde, der der Plattenindustrie das Signal einer größeren Zugänglichkeit gibt. Direkt habe ich so etwas nie gehört.

Die detektivischen Spekulationen darüber, ob jetzt ein inhaltlicher Verfall unausweichlich ist, hängen sich vor allem daran auf, was die Piranha-Leute sonst so treiben, und nicht daran, dass irgendjemand wüsste, was die mit der Spex vorhaben. Und dieses Spekulieren ist günstigstenfalls naiv, ansonsten haftet ihm ein typisches und mir mittlerweile ziemlich verhasstes Fluidum von berechnender Katastrophik an.

Außerdem waren die bisherigen Herausgeber auch keine Engel, die aus zwei Dritteln Hingabe und einem Drittel freischwebender Intelligenz bestanden hätten. Da gibt es einen ehemaligen Werbetexter, einen Modefotografen, jemand, der für Blätter des internationalen Geschmacksparasitentums wie die Vogue geschrieben hat - und trotzdem war es möglich, da etwas Inhaltsorientiertes zu machen. Wer Spex übernimmt, weiß, dass die Umrüstung zu einem Produktberatungsjournal seine Neuerwerbung schneller entwertet, als sich die Übernahmekosten amortisieren können. Man sollte der Redaktion - also Uwe Viehmann, Annett Busch und Uh-Yong Kim und wer immer da noch zu kommen mag - nach Maßgabe dessen, was sie bisher gemacht haben, Kredit einräumen. Und Piranha hat genau die drei auch gefragt, wen sie jetzt als V.i.S.d.P. haben wollen.

Die Organisationsform der Spex, dass Herausgeberschaft und Redaktion nicht eindeutig getrennt waren, sondern dass es Überschneidungen gab, war ja ein historisches Fanzine-Erbe. Auch die Idee, dass das Heft an eine bestimmte soziale Bewegung angekoppelt ist. Ist da eine Geschichte an ihr Ende gekommen?

Mit Sicherheit. Die Frage ist eher, seit wann sich so ein Modell schon überlebt hat. Und das lag vor allem an einer bestimmten Intransparenz. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, weil die Leute, denen die Spex gehörte, auch Schreiber waren, der Effekt eintrat, dass alles, was bei Spex passierte - jeder verschobene Artikel, die Auflagenentwicklung, was auch immer -, als etwas Inhaltliches gesehen wurde. Aha, da hat der Diederichsen wieder. Aha, da hat der Holert wieder. Jeder glaubte, die Auflagenentwicklung der Spex hinge von ihren Inhalten ab. Es gebe Einbußen, weil wir das Mandat verspielt hätten.

Die Spex hat aber im Verhältnis nicht mehr einstecken müssen als andere große Musikblätter. Und eher weniger als die Unterhaltungsindustrie insgesamt. Aber bei denen kommt kein Szene-Gartenzwerg anspaziert und sagt, sie hätten ihr Mandat verspielt. Da begreift jeder, dass eine Rezession auch um Studenten keinen Bogen macht.

Und da sehe ich jetzt eine Chance: Diese Intransparenz und dieser Verschwörungstheorien-Kramladen kann jetzt deutlicher von Autorensubjektivitäten getrennt werden. Auf einer anderen, politischen Ebene ist es natürlich gut, wenn aus der Fanzine-Epoche gewisse Lehren gezogen würden, wenn sie denn im Kulturspartenbereich vorbei sein sollte. Da ist es nicht schlecht, wenn sich ökonomische und inhaltliche Ebene durchdringen.

Was waren das denn für Milieus, die die Spex über die Jahre getragen haben?

Das Problem ist, dass man heute überhaupt vor solche Fragen gestellt ist wie: Wer sind die? Früher war das ja tatsächlich so: Wer es ist, ist klar. Das sind eben die.

»Ihr wisst, wer Ihr seid.«

Das Heft funktionierte im Sinne des englischen »for people who like this sort of thing, this is the sort of thing they like«. Eine Zeit lang hat man versucht, das an Epochenbrüchen festzumachen. Etwa, die Gitarrenmusik ist zu Ende. Oder, die Leute, die eine Baseballkappe aufhaben, sind vorne, weil ihre Musik ästhetisch vorne ist. Aber dazu braucht es Kongruenzen oder Harmonien, die extrem fragwürdig geworden sind. Die heutige Zusammengewürfeltheit von Szene ist eher Ausdruck von allem, was von der Consumerism-Welt ein bisschen marginalisiert wird. Das findet sich jetzt in denselben Randzonen wieder. Denen ist gemeinsam, dass sie randständig sind und sonst nichts. Und dieser Umstand ist begrifflich noch nicht aufgearbeitet.

Texte zur Kunst sind aus Köln nach Berlin gezogen, Spex wird verkauft, hat das auch etwas mit dem Auflösen von bestimmten Kölner Zusammenhängen zu tun?

Nein, das hat mit Berlin zu tun. Es ist ja nicht so, dass die einen nach New York gehen und die anderen nach Wanne-Eickel - alle gehen nach Berlin. Genauso könnte man sich fragen, was in Bielefeld oder Freiburg schief gegangen ist. Zonen wie Köln müssten eigentlich ein Bewusstsein davon entwickeln, nicht mehr das Zentrum von irgendetwas zu sein. Für ein Kölner Bewusstsein ist es schwer zu schlucken, jetzt bestenfalls die regionalistische Provinzopposition geben zu dürfen. Aber vielleicht gibt es da ja auch wieder pfiffige Leute, die sagen, jetzt extra nicht. Jetzt sind wir mutwillig da, wo nur noch das Zweitneueste stattfindet.

Als Du vor einem Jahr bei der Spex angetreten bist, hast Du dem Blatt nach Jahren des unentschlossenen Herumlavierens wieder eine Linie gegeben. Siehst Du den Verkauf als Scheitern?

Es war schon ein Krisenphänomen, dass sie mich überhaupt geholt haben, als jemanden, der nicht für die Tradition stand, sondern für etwas Eigenes. Wenn es so wäre, dass ich durch meinen Auftritt und durch das, was ich gemacht habe, die Auflage so weit gedrückt hätte, dass das Blatt am Ende ist, dann hätten wir es auch nicht verkaufen können. Vielleicht ist durch die Tatsache, dass das Blatt noch einmal Profil bekommen hat und wir noch einmal aufgedreht haben - und das war ich ja nicht alleine - auch dafür gesorgt worden, dass noch einmal ausreichend kenntlich wurde, worum es sich da eigentlich handelt.

Wenn es ein Scheitern gab, dann war das sehr viel kollektiver. Ich laufe ja nicht davon und werfe die Hände in die Luft und sage: »Es ist schief gegangen!« Die Herausgeberschaft tritt ab. Und solange die Leute, die mich geholt haben, nicht sagen, du hast es in den Sand gesetzt, sind andere Spekulationen für mich nicht wichtig. Und das tun sie nicht.

Was mir wichtig ist: Die Leserbriefseite ist immens viel voller geworden. Und nicht nur dadurch, dass ich jeden Brief, der es wert war, abgedruckt zu werden, beantwortet habe. Man konnte beobachten, wie viele Briefe wir bekommen haben, wie es mehr wurden, die Briefe sind inhaltlicher geworden, und das Level, das nach drei Monaten erreicht war, das ist gehalten worden über den Rest der Zeit.