Einsicht in die Wirklichkeit

Angela Marquardt hat Recht: »South Park« ist besser als die »Simpsons«.

What the fuck is wrong with German people?« fragt Stan, als die »South Park»-Jungs im Internet auf der Suche nach dem Wort Klitoris zufällig auf ein »German Sick Fetish Video« stoßen, in dem Koprophilie praktiziert wird. Das war in der Originalfassung. Die Wirklichkeit, die in »South Park« präsentiert wird, muss für jene, die für die deutsche Synchronisation des Films verantwortlich sind, unerträglich gewesen sein. Dieser Satz wurde bewusst entstellt: In der deutschen Fassung sind es in der gleichen Szene die Engländer, über deren Sexualpraktiken man schockiert ist.

»South Park« erzählt von einer Welt, in der es zugeht wie in der Wirklichkeit: In einem autoritären Gesellschaftssystem vegetieren bigotte und prüde Kleinbürgerwürstchen, die sich mit den eitlen, korrupten Politikern, die sie gewählt haben, bestens vertragen, weil allesamt an dieselbe schmierige Ideologie glauben. Allerorten gibt es Rassismus, Repression, Krieg, Mord, Totschlag und schlechte Popmusik. Hier ist das Leben nicht so niedlich wie bei den »Simpsons«.

Mitten in South Park, dieser biederen Kleinstadthölle, leben Cartman, Kyle, Stan und Kenny, der jedoch eher stirbt als lebt. Immer. Und immer gewaltsam. Und nie am Stück. Aber es ist nicht alles schlecht in South Park. Auch hier gibt es die wahre Liebe. Stan fühlt sich stark zu Nancy hingezogen. Nur muss er vor Aufregung immer kotzen, wenn er ihr in die Augen sieht. Hat man je Homer Simpson gesehen, wie er Marge ins Gesicht kotzt?

In einer gänzlich heruntergekommenen Welt, in der es Widerstand gegen das herrschende Falsche kaum mehr gibt und der gesellschaftliche Wahn allgegenwärtig ist, besinnen sich die South Park-Kids auf die Kraft des Wortes, das seine Schönheit aus dem Verbotensein bezieht. Die ausgiebige Verwendung des schlimmen Worts mit F, das sie kultivieren, ist eine der letzten subversiven Handlungen, die ihnen im konservativen Amerika noch geblieben ist. Im exzessiven und variantenreichen Gebrauch der Begriffe ass, fuck, fucking, shit, bitch, cunt usw. entdecken sie den Geschmack der Freiheit.

Die trotzig und respektlos wiederholten Schmuddelwort-Kanonaden signalisieren nicht nur gelebte Dissidenz gegen das nackte Grauen der heuchlerischen Erwachsenenwelt. Sie sind auch letzte Zeichen des Humanen in einem weithin gleichgeschalteten Ordnungs- und Sauberkeitskosmos. Wo man sonst nichts tun kann, kann man wenigstens Widerworte geben. Und so wird reichlich und viel stärker als bei der braven Simpson-Family von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Und da man die Welt nicht ruckzuck verändern kann, vertreibt man sich die Zwischenzeit mit Käsebällchen-Essen, Fernseh-Gucken und Fürze-Anzünden. Widerstand und Hedonismus harmonieren miteinander.

Bei den »Simpsons« mag es psychologisch ausgeprägtere Charaktere geben, sie sind aber deshalb auch unwahrer. Allein durch ihre eher der menschlichen Physiognomie nachempfundenen Gesichter gaukeln sie uns vor, dass wir so harmlos seien wie sie. Sie geben vor, Gefühle und Gedanken zu haben, wo tatsächlich nur Hormone und entfremdetes Bewusstsein sind.

Das in seiner Gestalt ungleich stärker stilisierte und typisierte kugelförmige »South Park»-Personal hingegen ist gerade deshalb realistischer, weil es konturloser ist und seine nackte Gemeinheit offen ausgestellt wird. Weit umfassender und radikaler als in Springfield wird in South Park die Fassade einer verlogenen heilen Welt destruiert, die in ihrem Innersten verrottet ist und in der Hass und Gewalt normaler Alltag sind. Was immer wieder gerne als Zynismus missverstanden wird, ist im Grunde nichts anderes als ein ehrlicher Blick auf die erbärmliche und niederträchtige Welt da draußen. Nichts ist so schlimm wie die Wirklichkeit. In »South Park« wird sie so gesehen, wie sie ist. Immer. Bei den »Simpsons« gibt es noch den Feierabend - alles ist dann nicht mehr so schlimm.

»South Park« funktioniert als popkulturelle Ideologiekritik an einer verklemmten Spießergesellschaft, die sich auf dem Weg zum semifaschistischen Staat - im »South-Park»-Film werden Kanadier in Internierungslager gesperrt - befindet. Gleichzeitig sind Serie und Film ein uneingeschränktes Plädoyer für eine permissive Spaßgesellschaft. »South Park - der Film« ist handwerklich schlecht gemacht und seine Figuren sind simpel und eindimensional. So wie die reale Welt und ihre Menschen. Unanständige Wörter und Gesten sind die noch verbliebene Opposition gegen die autoritäre Formierung. Wann haben Sie denn zum letzten Mal einem Nazi ins Gesicht gefurzt? Und wann hat Homer Simpson das getan?