Flitterwochen in Auschwitz

»Mr. Death - The Rise and Fall of Fred A. Leuchter Jr.« zeigt den Biedermann als Erfüllungsgehilfen der Geschichtsrevisionisten.

Das Konstrukt nationalsozialistischer Ideologie, die Geisteshaltung ihrer Strategen und Helfer, die Hannah Arendt als die »Banalität des Bösen« charakterisierte, sucht sich seine Protagonisten nicht zufällig unter den eigentlich Unaufälligen aus dem Spektrum des »Normalen«. Auch der US-amerikanische Ingenieur Fred A. Leuchter ist so ein Zeitgenosse, der erst durch seine Aktivitäten als Erfinder und Propagandist des »humanen Tötens« und seine Verbindung mit neonazistischen Ideologien in die Öffentlichkeit gelangte.

Der Dokfilmregisseur Errol Morris, der mit seinem Porträt von Stephen Hawkings »A Brief History of Time« (1992) bekannt wurde, hat in seinem neuen Film die spektakulären und zeitgeschichtlich brisanten Hintergründe untersucht, die einen Nobody zum Sprachrohr kanadischer und US-amerikanischer Neo-Nazis machte. »Mr. Death - The Rise and Fall of Fred A. Leuchter Jr.« zeigt, wie die Profilierungssucht eines Biedermanns sich mit faschistoiden Haltungen zu einer revisionistischen Pseudowissenschaft verbinden konnte und konfrontiert diese mit den Analysen von Historikern wie Robert Jan van Pelt und der Publizistin Shelly Shapiro.

Begonnen hat Leuchter seine seltsame Karriere u.a. im Auftrag des US-Staates Missouri, mit dem Ziel, die Vollstreckungsgerätschaften - in erster Linie den Elektrischen Stuhl, später die Gift-Injektion und schließlich den Einsatz von Gas bei der Hinrichtung von Straftätern - zu perfektionieren. Hier erwarb sich Leuchter die ersten Meriten, und dieser Auftrag bestärkte ihn wohl auch in seiner Überzeugung, mit seinem Tun auf der Seite von Recht, Gesetz und Ordnung zu stehen und im Prinzip nur sein Expertenwissen als selbst ernannter »Humanist« zur Verfügung zu stellen.

1990 berichtete die New York Times erstmals auf der Titelseite über den Fall Leuchter und seinen Kreuzzug zur Humanisierung der Todesstrafe. Aber erst die Verbindungen zur organisierten Neo-Nazi-Szene gab seinem Fall die politische Dimension

Ernst Zündel, der den Holocaust als »hate propaganda« bezeichnet, ist ein Drahtzieher der Revisionisten. Bekannt wurde er mit einschlägigen Veröffentlichungen wie »Did Six Million Really Die« oder »The Hitler We Loved and Why«. Als Zündel 1988 in Kanada wegen »Verbreitung von Rassenhass und Geschichtsverfälschung« angeklagt wurde, machten sich seine Anwälte auf die Suche nach einem Experten für die Hinrichtung durch Gas und trafen auf Fred Leuchter, den sie als »forensischen Sachverständigen« in Toronto vorluden. Mit der Direktive, »entlastendes Material« beizubringen, fuhr Leuchter nach Polen, klopfte Gipsproben aus dem Verputz der Gaskammern in Auschwitz, hielt dies auf Video fest und veröffentlichte später seinen »Leuchter Report«. Dass Leuchters »Beweisführung« von grundlegend falschen Voraussetzungen ausging - weil Zyanid als Gas nur millimetertief in die Oberfläche eindringt und die daumen- bis faustgroßen Gipsproben nur mehr geringste Mengen des Stoffes aufweisen konnten -, belegt schlüssig seine ideologische Zugehörigkeit. Der Chemiker James Roth, der die Proben damals untersuchte, ohne deren Herkunft zu kennen, führt die Folgerungen Leuchters heute im Film ad absurdum.

Errol Morris zeigt Leuchter als einen unscheinbaren Brillenträger, der, angefeuert von überzeugten Holocaust-Leugnern, die immergleiche Litanei aus Unwahrheiten, Selbstrechtfertigungen und historischen Verfälschungen predigt, und zu einer Karikatur der Eitelkeit und Selbstüberschätzung wurde.

Auch Leuchters Vater war ein Vollstrecker. Er arbeitete für die Justizbehörden als Exekutor. In diesem autoritären Milieu wuchs Leuchter Jr. auf. Mit angenehm-gruseligen Gefühlen erinnert er sich an den Moment, als er als Halbwüchsiger einmal im elektrischen Stuhl sitzen »durfte«. Leuchter ist offenbar fasziniert vom Akt des Strafens, des Quälens und der Vernichtung.

Seine Hochzeitsreise war zugleich die erste Auslandsreise des Kleinbürgers aus der Provinz, sozusagen auf Spesen der Neo-Nazis um Zündel, führte sie ihn nach Auschwitz, wo seine Ehefrau beim »Schmiere stehen« zum Einsatz kam. Während Mrs. Leuchter sich vor der Kamera erinnert, dass sie sich auf der Fahrt im Auto die Zeit mit »Gruselkrimis« vertrieben hat, berichtet der erwachsene Sohn, wie es war, als eines Tages der neue elektrische Stuhl im Vorgarten angeliefert wurde, in »einer ganz normalen Holzkiste«. Familie Harmlos auf Erlebnisreise nach Holocaust-Disney.

Mit bitterem Sarkasmus nennt Regisseur Morris Leuchter die »Florence Nightingale of Death Row«. Leuchter sei bei der Filmarbeit sehr hilfreich gewesen, so berichtet der Regisseur, er habe ihm bereitwillig Zugang zu allen Apparaten und Unterlagen gewährt. Leuchters Gebaren erinnert - ohne dass die beiden Fälle vergleichbar wären - nicht zufällig an Bilder aus »Ein Spezialist« (1999) von Eyal Sivan und Rony Bauman, die anhand der historischen Videobilder vom Eichmann-Prozess das kriminelle Individuum, den Experten der Judenvernichtung als biederen Bürokraten zeigen. Bei Leuchter fällt besonders die Redseligkeit auf, wenn das Gespräch sich um die Tötungsmaschinen dreht. Eine perfide Abenteuerlust und die starke Erregung am Verbotenen sind in allen seinen Aussagen spürbar und machen ihn skrupellos. So bietet er dem Publikum in einem der Schlussbilder einen elektrischen Stuhl an, der wegen öffentlicher »Rufschädigung« bisher unverkäuflich geblieben sei.

»Mr. Death - The Rise and Fall of Fred A. Leuchter Jr.« (USA 1999). R: Errol Morris