Rückkehr auf Raten

Die Bundesregierung will die Vergabe von Entwicklungshilfe an die Bereitschaft der Herkunftsländer koppeln, ihre Flüchtlinge wieder zurückzunehmen.

Gemeinsam sind wir stark: Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Abschiebung von Ausländern zu erleichtern. »Im Moment sind wir in der Anfangsphase, wir listen alle Hindernisse auf, die dazu führen, dass ausreisepflichtige Ausländer nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können«, bestätigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, Rainer Lingenthal, die Pläne. Auch wenn bislang nur die Innenministerien des Bundes und der Länder beteiligt seien, sei es vorstellbar, dass später auch andere Ministerien hinzukämen - z.B. das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit.

Davon will die Sprecherin von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), Brunhilde Vest, vorerst nichts wissen. »Solange sich die Bundesregierung zu dieser Frage nicht abgestimmt hat, sind wir nicht dabei.« Ende der Auskunft.

Der Spiegel hatte im Januar von der staatlichen Suche nach einem »effizienten Rückkehrmanagement für jene in Deutschland lebenden Ausländer« berichtet, »die sich weigern, Angaben über ihre Herkunft zu machen, oder deren Heimatstaaten die Rückführung ihrer eigenen Staatsbürger verzögern oder behindern«. Demnach sollte von der Arbeitsgruppe ein Sanktionskatalog erarbeitet werden, der neben der Rückführung »schwerstrenitenter Personen« mit eigens gecharterten Flugzeugen auch Eingriffe in die bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit vorsah: So sollte etwa die »Berücksichtigung der mangelnden Kooperationsbereitschaft bei der Vergabe neuer finanzieller Hilfen« ins Auge gefasst werden.

Mit anderen Worten: Die Bundesregierung will die Vergabe von Entwicklungshilfe an die Erfüllung eigener innenpolitischer Ziele koppeln - zum Beispiel der nach der Abschiebung unliebsamer Ausländer.

Auch wenn über solche Fragen kaum öffentlich diskutiert wird, ist eine solche Koppelung keinesfalls neu: Erstmals verband die Kohl-Regierung 1995 die Entwicklungszusammenarbeit mit der Erfüllung innenpolitischer Forderungen. 100 Millionen Mark und Exportbürgschaften für Vietnam wurden damals so lange auf Eis gelegt, bis die Regierung in Hanoi das Rückübernahmeabkommen unterschrieben hatte. Damit hatte sich Vietnam verpflichtet, bis Ende 2000 insgesamt 40 000 seiner Staatsbürger, die ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland leben, auch gegen ihren Willen zurückzunehmen. Für Vietnam ungewöhnlich: Im Strafgesetzbuch des südostasiatischen Landes ist die unerlaubte Ausreise ein Straftatbestand, der in der Regel mit einem langjährigen Wiedereinreiseverbot geahndet wird. Zudem müssen sich viele Auslands-Vietnamesen das nach Jahren erworbene Wiedereinreiserecht teuer erkaufen.

Protestiert gegen das Abkommen hatte ausgerechnet die deutsche Großindustrie: 1994 war das US-Handelsembargo gegen Vietnam gefallen, an das sich auch EU-Staaten teilweise gehalten hatten. Das Land verzeichnete Mitte der neunziger Jahre Wirtschaftswachstumsraten um die zehn Prozent. Internationale Investoren standen Schlange. Deutschland folgte unter den Investoren zwischen Rotem Fluß und Mekong nur an 23. Stelle - der fehlenden Exportbürgschaften wegen.

Nach noch nicht einmal fünf Jahren sind Abkommen, in denen Entwicklungszusammenarbeit als Erpressmasse zur Erfüllung innenpolitischer Forderungen der Bundesrepublik eingesetzt wird, beinahe schon Normalität: Mit Rumänien, Bosnien und Jugoslawien wurden bereits Abkommen geschlossen.

Viel gravierender sind aber solche Abkommen zwischen der EU und ihren potenziellen Beitrittskandidaten bzw. Handelspartnern. So gibt es zwischen der EU und allen mittel- und südosteuropäischen Staaten entweder Rückübernahmeabkommen oder aber einfach Rückübernahmeklauseln in Wirtschaftsabkommen. Solche Abkommen wurden auch mit allen Gus-Staaten, ausgenommen Russland, Belorussland und der Ukraine, unterzeichnet. Sie befinden sich derzeit im Ratifizierungsverfahren. Sind sie erst ratifiziert, kann beispielsweise ein armenischer Flüchtling von jedem Flughafen innerhalb der EU postwendend zurückgeschickt werden, noch bevor er sein Asylbegehren vortragen konnte. Der jüngste Wirtschaftsvertrag zwischen EU und Armenien enthält eine Flüchtlingsklausel, nach der Armenien als sicherer Herkunftsstaat eingestuft wird.

Die Unterzeichnerstaaten werden aber auch verpflichtet, Drittstaatler aufzunehmen, die über ihr Territorium in einen EU-Staat eingereist sind. In Vorbereitung sind ähnliche Abkommen mit den Anliegerstaaten des Mittelmeeres.

Nach der Erfahrung der bündnisgrünen Europa-Abgeordneten Elisabeth Schroedter überblicken viele Staaten die Reichweite dieser Flüchtlingsklauseln nicht. »Das habe ich beispielsweise in einem Gespräch mit dem georgischen Vizeaußenminister erfahren.« Er habe, so Schroedter, das Abkommen unterschrieben, weil die damit verbundene Wirtschaftshilfe so attraktiv war. Einrichtungen für die Unterbringung von zurückgeschobenen Flüchtlingen würden fehlen. Schroedter: »In den baltischen Staaten wurde dieses Defizit erst bewusst, als der erste Schübling, der über das Baltikum in einen EU-Staat eingereist war, wieder auf ihrem Flughafen stand.« Weil in diesen Staaten ein Sozialnetz für Flüchtlinge fehlt, wurden die Menschen erst mal in Gefängnisse gesteckt.