»Alles schief gelaufen«

Mick Woods von International Workers' Aid über die Situation im geteilten Kosovska Mitrovica

In der Nacht zum 4. Februar begann eine neue Runde der Auseinandersetzungen in Mitrovica. Nachdem in einem serbischen Café eine Bombe explodiert und an anderer Stelle drei Albaner getötet worden waren, gingen Tausende Kosovo-Serben und Kosovo-Albaner auf die Straße. Was dann folgte, ist bekannt: Aufstände gegen Kfor-Einheiten, Zusammenstöße an der Brücke über den Ibar und militärisches Krisen-Management: Ausgangssperren, Waffen-Razzien, Tränengas-Einsatz, Truppenverstärkung.

Ich kam genau an dem Juni-Tag nach Mitrovica, an dem sich die jugoslawische Armee zurückgezogen hatte. Schon damals begannen die ersten Konfrontationen auf jener Brücke über den Ibar, die die Franzosen Austerlitz-Brücke nennen. Viele Kosovo-AlbanerInnen sind aus dem Norden Mitrovicas vertrieben worden. Gleichzeitig muss man sagen, dass es sich dabei vielleicht um den letzten Ort im gesamten Kosovo handelt, an dem sich Kosovo-SerbInnen einigermaßen sicher fühlen können. Leider wird Nord-Mitrovica aber von nationalistischen Fanatikern dominiert. Die Kosovo-AlbanerInnen haben das Recht, in den Norden der Stadt zurückzukehren. Aber wenn das passiert, wohnt nach ein paar Wochen kein einziger Kosovo-Serbe mehr in Nord-Mitrovica. Im Süden sitzen nur noch ein paar alte Leute rund um die orthodoxe Kirche und werden von der französischen Kfor beschützt.

Sie haben von nationalistischen Fanatikern gesprochen, die die Stimmung unter der kosovo-serbischen Bevölkerung im Norden der Stadt bestimmen. Richard Holbrooke, US-Botschafter bei den UN, und Nato-Kommandant Wesley Clark kamen letzte Woche mit dem Generalvorwurf, Nord-Mitrovica werde von Belgrad gesteuert. Der Sprecher des Serbischen Nationalrats Mitrovica, Nikola Kabasic, und französische Kfor-Leute haben das zurückgewiesen.

Über den Einfluss Belgrads auf den Norden des Kosovo wird schon lange spekuliert. Nehmen Sie eine Figur wie Milan Ivanovic. Er wurde als Arzt im Krankenhaus von Mitrovica entlassen, weil er selbst dem französischen Unmik-Krankenhausverwalter Fran ç ois Crémieux zu nationalistisch war. Vor kurzem war er als Redner auf einer Veranstaltung von Karadzics nationalistischer Partei SDS in Brcko zu sehen. Dann gibt es Leute in Nord-Mitrovica, die direkte Verbindungen zu Milosevic und zur SPS haben. Und es gibt eine ganze Reihe militanter Nationalisten aus der Republika Srpska, die nach Mitrovica gegangen sind, um den so genannten serbischen Widerstand zu unterstützen. Als ich im Januar dort war, wurde ein Typ, der am Ibar angelte, von Scharfschützen aus dem Norden umgelegt. Permanent gibt es Zusammenstöße. Die Situation ist furchtbar.

Im Kosovo hat sich eine offiziell nicht anerkannte serbische politische Parallelstruktur gebildet, der Serbische Nationalrat. Sein Präsident Oliver Ivanovic hat Anfang Februar erklärt, der Nationalrat fordere einen Status hoher Autonomie für Nord-Mitrovica und Nordkosovo. Letzten Freitag organisierte der Nationalrat eine Demonstration »Kampf für das Überleben Kosovska Mitrovicas«. Am selben Tag planten Unmik und UNHCR auf einem Treffen die Rückkehr kosovo-albanischer Familien in den Norden der Stadt.

Im Moment besitzen drei Kommunen im Norden Kosovos und von Nord-Mitrovica eine faktische Autonomie. Das verstößt gegen die UN-Resolution 1 244. In diese Gegenden können Kosovo-AlbanerInnen bisher nicht zurückkehren. Sollte es diesen so genannten hohen Status der Autonomie für den Norden geben, dann bedeutet das, dass einige Kosovo-Serben von der ethnischen Säuberung des Kosovo profitieren. Wenn aber die kosovo-albanische Bevölkerung zurückkehrt, ist klar, dass die serbischen Leute fliehen werden.

Vergangenen Montag marschierten rund 30 000 kosovo-albanische DemonstrantInnen von Pristina nach Mitrovica, um gegen eine Kantonisierung des Kosovo zu protestieren. Danach kam es zu einem erneuten Zusammenstoß zwischen kosovo-albanischen Leuten und französischen Kfor-Einheiten. Wer sind die Scharfmacher in der UCK?

Die UCK hat sich aus vielen Fraktionen zusammengesetzt, angefangen von der LDK Ibrahim Rugovas bis hin zu einer Reihe anderer politischer Bewegungen, die zum Teil eher Hashim Thaqi unterstützten. Es besteht kein Zweifel, dass es in der UCK Kräfte gibt, die eine massiv anti-serbische Linie fahren. Wenn wir die Äußerungen der UCK-Kommandanten Agim Ceku und Hashim Thaqi für bare Münze nehmen, unterstützt die UCK keine Akte ethnischen Hasses. Aber es liegt auf der Hand, dass zumindest einige Mitglieder der UCK sie befürworten, hauptsächlich innerhalb der TMK, der Kosovo Protection Force. Das ist die uniformiert auftretende, unbewaffnete und angeblich zivile Organisation, die eine Reihe früherer UCK-Soldaten gegründet haben. Man muss davon ausgehen, dass sogar Teile der neuen Polizei diese Haltung haben. Im Januar habe ich von einem US-amerikanischen Mitglied der internationalen Polizeieinheit gehört, dass eine Reihe ehemaliger UCK-Leute in der Polizei an nationalistisch motivierten Verbrechen beteiligt sein sollen.

Welchen Eindruck haben Sie vom zivilen und militärischen Krisenmanagement von Unmik und Kfor in Mitrovica gewonnen?

Vielleicht war es ein großer Fehler, in Mitrovica französische Kfor-Einheiten einzusetzen, weil sie ein pro-serbisches historisches Image haben. Egal, ob das Image zutrifft oder nicht, in der aufgeladenen Situation der Stadt wirkt das Phantasma französisch-serbischer Konspiration auf Anhieb. An jeder Ecke erzählen sich die Leute, dass die Franzosen mit den Kosovo-Serben fraternisieren. Dieses gute Verhältnis sollte eigentlich kein Problem sein, aber die Stadt ist geteilt. Das läuft der UN-Resolution zuwider, die den Kosovo als gesellschaftliche Einheit projektiert hat. Niemand spricht zwar darüber, was für eine Art von Einheit das werden soll, aber die UN sehen keine Kantonisierung vor. Nun nimmt ja niemand die UN allzu ernst, aber das Problem der französischen Praxis ist, dass die Soldaten nur einen Teil der Bevölkerung schützen.

Handelt es sich dabei nicht einfach um die pragmatische Notwendigkeit, die Kosovo-SerbInnen im Norden vor Angriffen kosovo-albanischer Leute zu schützen?

Der serbische Teil der Stadt wird zum Teil von Leuten angegriffen, die früher da gewohnt haben und in ihre Wohnungen zurückkehren wollen. Die Lage ist schwierig. Ich wäre auch froh, wenn es eine nette, einfache Lösung gebe. Die Frage lautet, ob beide Seiten an einem Ort zusammenleben können, und die Erfahrung der letzten neun Monate sagt, dass sie es nicht können.

Nördlich von Mitrovica liegt der Industrie-Komplex Trepca, in dem Blei, Zink, Silber, Gold, Kadmium, Wismut gefördert werden. Trepca gehört zu den wichtigen Exportindustrien des ehemaligen Jugoslawien.

Trepca ist das ökonomische Juwel der ganzen Gegend. Die Minen sind unglaublich reichhaltig. Im Moment ist die Eigentumsfrage allerdings heftig umstritten. Die Arbeiter von Trepca berufen sich darauf, dass nach dem alten Selbstverwaltungsprinzip ihnen die Anlage gehört. Anfang der Neunziger wurde Trepca serbisch nationalisiert und ein Großteil der kosovo-albanischen Belegschaft wurde entlassen. 1995, nach dem Daytoner Friedensvertrag und der Aufhebung der Sanktionen, stieg das griechische Unternehmen Mytilineos Holdings S.A. bei Trepca ein. Im Juli 1999 erwarb die französische Société Commerciale de Métaux et de Minéraux (SCMM) Anteile, was erneut zu einer Debatte über serbisch-französische Beziehungen geführt hat.

Ist der Reichtum der Trepca-Minen der ökonomische Hintergrund für die Teilung von Kosovska Mitrovica?

Ich bin mir nicht sicher. Bis Oktober letzten Jahres arbeitete nur noch eine kleine kosovo-serbische Restbelegschaft in der Anlage. Kurz vor Weihnachten wurde den Franzosen klar, dass sie die Mine so nicht retten können. Sie forderten rund zweihundert kosovo-albanische Arbeiter auf, die Anlage wieder in Betrieb zu nehmen. Als ich im Januar da war, waren die Arbeiter sehr optimistisch: Die Anlage sei, so gut es gehe, repariert. Im März soll die Produktion wieder anrollen und 1 300 Leute sollen eingestellt werden, was vielleicht ein bisschen zu optimistisch ist.

Als 1988 bis 1989 das kosovo-albanische Management und die Belegschaft aus Trepca hinausgeworfen wurde, organisierten die Arbeiter Anti-Milosevic-Protestmärsche mit Tito-Bildern und jugoslawischen Fahnen. Seit wann ist diese nicht-nationalistische politische Position im Kosovo verschwunden?

Das hängt mit der Marginalisierung der Gewerkschaften im Allgemeinen zusammen. Der pro-jugoslawische Protest kam Ende der achtziger Jahre von Arbeitern, die dem titoistischen Ideal der Gesellschaft anhingen, die die Verfassungsänderung von 1974 affirmierten, mit der der Kosovo autonom geworden war. Heute will die Mehrheit der Kosovo-AlbanerInnen nicht mehr in Jugoslawien bleiben, schon gar nicht in dem, was von Jugoslawien übrig geblieben ist. Sie wollen Unabhängigkeit. Es ist einfach alles schief gelaufen.