Korporierte in Marburg

Saufen, schießen, sprengen

Saufen, bis die Blase platzt. So gehört sich das bei den Marburger Burschen. Traditionen leben auf, wenn sich die Aktivitas der Burschenschaft Normannia-Leipzig zu Marburg zum kollektiven Besäufnis trifft. Auch Gesang darf bei den geselligen Treffen im Haus der Normannen nicht fehlen.

Doch viel lieber als die Korporiertenhymne »Gaudeamus Igitur« grölen die Marburger Waffenstudenten das nationalsozialistische Horst-Wessel-Lied. Der Krach ärgert die Nachbarn. Als es Anfang Dezember letzten Jahres mal wieder laut wurde, beschwerte sich ein Hausmeister über die nächtliche Lärmbelästigung durch die Verbindungsstudenten. Einer der Korporierten fackelte nicht lange, trat auf den Balkon des Hauses und schoss kurzerhand mit einem Luftgewehr auf den Mann.

Jürgen W. Gansel, einer der Normannen, hatte sich bei der Aktion besonders hervorgetan: Nach Polizeiangaben soll er in der Nacht mit »Sieg Heil»-Rufen, dem Zeigen des Hitler-Grußes und durch die Beleidigung von Polizeibeamten aufgefallen sein. Nach dem bisherigen Ermittlungsstand habe jedoch nicht Gansel, sondern ein weiterer Verbindungsstudent auf den Hausmeister geschossen.

Die Alten Herren der Normannia-Leipzig waren entsetzt. Sie drohten, ihr finanzielles und ideelles Engagement für die Aktivitas zurückzuziehen. Sollten sich die rechten Umtriebe der Burschen fortsetzen, so der Vorsitzende Helmut Göttsche, »würde die Bereitschaft der Alten Herren sicherlich zurückgehen, sich weiterhin in Marburg zu engagieren«.

Die Normannia-Leipzig wurde nach dem Zweiten Weltkrieg »im Exil« gegründet, denn in Leipzig/DDR war das Verbindungsleben verboten. Da es heute wieder eine Burschenschaft Normannia in Leipzig gibt, der sich die Altherrenschaft verbunden fühlt, könnte sie jetzt ihre Unterstützung für die rechtsextremen Burschen in der Stadt an der Lahn beenden.

Um zu zeigen, dass man es ernst meint, wurde Gansel aus der Verbindung ausgeschlossen. Denn dieser ist nicht nur Besitzer des Luftgewehrs, aus dem die Schüsse abgegeben wurden, er betätigt sich außerdem, wie aus dem NPD-Organ Deutsche Stimme hervorgeht, als Schulungsleiter der NPD-Jugendorganisation JN.

Die Konkurrenz von der Marburger Burschenschaft Rheinfranken kann über die Luftgewehrattacken der Normannen nur lachen: Bei einer Veranstaltung Ende Januar über den »Südtiroler Freiheitskampf in den fünfziger und sechziger Jahren« erkundigte man sich nach professionellen Methoden. »In einer Nacht fielen 40 Strommasten. Die Italiener verkrochen sich, als es überall dunkel wurde und krochen einige Zeit später wieder wie die Ratten aus ihren Verstecken«, schwärmte der »Südtirolaktivist« Rigolf Hennig im Verbindungshaus der Rheinfranken.